23. August 2018 Erhard Crome: Kontinuitäten und Wandlungen des Militärbündnisses unter dem Vorzeichen der Trump-Administration

Europäische Zukunft mit der NATO?

In Europa herrscht Unsicherheit über die Zukunft der NATO. Es zeichnet sich ab, dass sie für Präsident Trump kein Bündnis von Gleichgesinnten und Gleichberechtigten mehr ist, sondern vor allem US-amerikanischer Interessendurchsetzung (»America first«) dient. Erhard Crome analysiert die Entwicklung der NATO seit Ende der 1980er Jahre, die Konsequenzen für das Bündnis und die geostrategische Lage.

Drei Entwicklungen kennzeichnen gegenwärtig die europäische Szenerie:

  • Die Europäische Union (EU) ist bemüht, ihre Integrationsprozesse in die Tiefe und mit der Osterweiterung trotz Brexit auch in die Breite fortzusetzen – das schließt die Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, Georgien und Moldawien ein.
  • Die Desintegrationsprozesse im postsowjetischen Raum sind, wie der Konflikt um die Ukraine zeigt, nicht beendet und stehen im Wechselverhältnis zu neuerlichen Integrationsprozessen, etwa in Gestalt der Eurasischen Wirtschaftsunion zwischen Russland, Kasachstan, Weißrussland, Armenien und Kirgisistan.
  • Die Osterweiterung der NATO ist Teil einer von den USA betriebenen Neuordnung der Welt, wobei diese auf differenzierte Interessenlagen der »alten« NATO-Mitglieder einerseits und der »neuen« Beitrittsländer andererseits trifft und seit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten unter dem Vorbehalt einer Neudefinition der Interessen der USA steht.

Im Westen wurde angesichts des Zerfalls der Sowjetunion eine unabhängige Ukraine als Kernpunkt geopolitischer Neuordnung angesehen. Zbigniew Brzeziński (1928-2017), einer der Vordenker US-amerikanischer Globalstrategie, betonte, eine unabhängige Ukraine sei »geopolitischer Dreh- und Angelpunkt« dafür, dass Russland in einer geschwächten Position verbleibt. Das müsse fester Bestandteil einer umfassenden Strategie der USA und des Westens in Eurasien sein.[1]

Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Parag Khanna sieht allerdings drei imperiale Zentren in der Welt: die USA, China und die EU. Die globale Entwicklung hänge davon ab, wie es diesen gelingt, die übrige Welt an sich zu binden, Einflusszonen zu schaffen und diese dauerhaft zu dominieren.[2] Heute existiert weder eine unipolare Welt – mit den USA im Zentrum, wie nach dem Ende des Kalten Krieges viele meinten, – noch eine multipolare Welt, sondern ein »Konzert der Mächte«, in dem wirtschaftlich, militärisch und politisch starke Zentren um Macht und Einfluss ringen. Im Unterschied zu Khanna sind hier auch Russland und Indien sowie – mit Abstrichen – Brasilien und Südafrika zu nennen, die zumindest in ihren Regionen Einfluss ausüben. Sie schufen sich gemeinsam mit China im BRICS-Verbund einen regelmäßigen Koordinierungsmechanismus, der dem Westen machtpolitisch gegenübersteht. Eine ähnliche Rolle spielt die Shanghai-Organisation.

Die USA und die EU – mit Deutschland als hegemonialem Zentrum[3] – sind auf der einen Seite Konkurrenten, auf der anderen miteinander »verbündet«, wo sie sich gehalten sehen, Interessen gemeinsam oder zumindest parallel zu verfolgen. So sind die Osterweiterung der NATO und die der EU nicht »zwei Seiten der selben Medaille«, sondern unterschiedliche, voneinander zu unterscheidende Entwicklungen. Wenn westliche Politiker und Journalisten behaupten, der Westen würde lediglich »seine Werte« ausdehnen, während der russische Präsident Wladimir Putin in einer Manier des 19. Jahrhunderts seinen Einfluss territorial ausdehnen wolle, so ist dies reine Propaganda. Selbstverständlich stellen die NATO und die Europäische Union Raumordnungen dar. Erstere wird von den USA, die zweite von Deutschland dominiert. Beide wurden nach Osten, schließlich bis an die Grenze Russlands, ausgedehnt.

Machtpolitische Weichenstellungen

In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre hatten Michail Gorbatschow und andere, die in Moskau Verantwortung trugen, die USA mit ihrer Friedenspolitik in eine außenpolitische Defensive gebracht, den Rückzug aus Afghanistan und anderen Ländern der Welt sowie einseitige Schritte der Rüstungsbegrenzung und Abrüstung vollzogen und faktisch den Kalten Krieg beendet.

Dr. habil. Erhard Crome, Politikwissenschaftler, WeltTrends-Institut für Internationale Politik, Potsdam/Berlin.

[1] Zbigniew Brzeziński: Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag 1997, S. 74, 216.
[2] Vgl. Parag Khanna: Der Kampf um die Zweite Welt. Imperien und Einfluss in der neuen Weltordnung, Berlin: Berlin Verlag 2008.
[3] Ausführlich dazu: Erhard Crome: Deutschland in Europa. Eine neue Hegemonie, in: Ders./Raimund Krämer (Hrsg.): Hegemonie und Multipolarität. Weltordnungen im 21. Jahrhundert, Potsdam: Verlag WeltTrends 2013, S. 165-205.

Die komplette Leseprobe als pdf-Datei!

 

 

Zurück