1. Oktober 2005 Ingo Schmidt

Exportweltmeister träumt von der Sozialpartnerschaft

Die Stellung der Gewerkschaften im deutschen Kapitalismus hat sich in den letzten drei Jahren grundlegend verändert. Im Frühsommer 2003 verlor die IG Metall den Streik um die Einführung der 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland und stürzte danach in eine schwere Führungskrise. Die bürgerlichen Medien sowie Teile des Gewerkschaftsapparates sahen hierin einen entscheidenden und in Zeiten der Globalisierung notwendigen Schritt in Richtung einer Tarifpolitik, die betriebliche Besonderheiten berücksichtigt. 2004 kam es in einer Reihe von Großbetrieben zu massiven Konflikten, in denen nicht um die Beteiligung der abhängig Beschäftigten am gemeinschaftlich produzierten Reichtum gestritten, sondern über Lohnsenkungen die Sicherung von Arbeitsplätzen erkauft werden sollte.

Was von dieser vermeintlich modernen Tarifpolitik zu halten ist, offenbarte sich, nachdem mit Daimler-Chrysler und Volkswagen zwei deutsche Vorzeigebetriebe im Sommer dieses Jahres unerwartete Neubesetzungen im Top-Management vorgenommen haben. Der neue Daimler-Chef Zetsche sowie ein Hartz-befreiter Pitschesrieder bei VW konfrontierten ihre Beschäftigten mit neuen Sparzielen, die im Rahmen der im Vorjahr abgeschlossenen Tarifverträge kaum umzusetzen sind.

Angesichts dieses Vorgehens ist es wenig überzeugend, wenn Gewerkschaften Sozialpartnerschaft als unverzichtbaren Standortfaktor ins Spiel bringen. Die in Zeiten von Prosperität und Vollbeschäftigung entstandenen Vorstellungen von sozialem Ausgleich und Gerechtigkeit helfen zwar noch immer, Widerstand gegen eine vollständige Zerschlagung von Sozialversicherung und Tarifsystem zu organisieren, können die in letzter Zeit massiv forcierte Kapitaloffensive aber bestenfalls verlangsamen. Um sie zu stoppen und einen anderen gesellschaftlichen Entwicklungsweg einzuschlagen, müssen Gewerkschaften und soziale Bewegungen jedoch Forderungen und Strategien entwerfen, die mehr anstreben als die Verteidigung bestehender sozialer Standards. Dabei müssen sie insbesondere auch jene Menschen ansprechen, die vom Sozialstaat alten Typs keine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage zu erwarten haben.

Ein verschwiegener Konsens...

Über viele Jahre haben Unternehmensführungen Flächentarife im Namen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und hierdurch zu erzielender Beschäftigungsgewinne ausgehöhlt und behauptet, betriebliche Vereinbarungen würden die Interessen von Kapitaleignern und Beschäftigten in Zeiten der Globalisierung wirksam zum Ausdruck bringen. Tatsächlich werden die Unterschiede zwischen Flächen- und Unternehmenstarifen sowohl von Unternehmens- wie auch Gewerkschaftsseite massiv übertrieben. Kapitalvertreter versuchten damit, den bei Beschäftigten verbreiteten Unmut über abgehobene Gewerkschaftszentralen für ihre Zwecke auszunutzen. Umgekehrt konnten sich die viel gescholtenen Gewerkschaftsbosse immer wieder als Bollwerk gegenüber betrieblichen Erpressungsversuchen des Kapitals präsentieren.

Was dieser öffentlich zur Schau gestellte Kampf zwischen Unternehmens- und Gewerkschaftsspitzen jedoch verdeckt, ist der von beiden Seiten weitgehend geteilte Konsens über ökonomische Grundsätze.[1] Demnach sind Lohnhöhe und Profitrate an der individuell von Arbeitern bzw. dem Kapital und seinen Vertretern erbrachten Leistung zu bemessen. Der Wert der von Arbeit und Kapital insgesamt erbrachten Leistung erweist sich auf dem Weltmarkt. Um die Exportfähigkeit, und damit auch Leistung, Löhne und Profite, zu steigern, sind Verteilungskonflikte zu vermeiden und stattdessen ein effizientes Zusammenwirken von Lohnarbeit und Kapital anzustreben.

...über internationale Wettbewerbsfähigkeit als Voraussetzung des Sozialstaates

Dieser Grundkonsens über Qualitätsproduktion, technischen Fortschritt sowie hierdurch ermöglichte Export- und Einkommenssteigerungen ist in den Jahren der Nachkriegsprosperität entstanden und noch immer wirkungsmächtig. Die Niederlage des Hitler-Regimes sowie neue Machtzentren in Washington und Moskau hatten die deutsche Bourgeoisie gelehrt, eigene Weltmachtansprüche aufzugeben und sich ganz auf ihr Kerngeschäft, die Organisation der Wirtschaft zwecks Erzielung maximaler Profite, zu konzentrieren. Die Chancen dafür standen gut: Mit einer Politik permanenter staatlicher Wirtschaftsankurbelung fügten die USA einen anti-sowjetischen Machtblock zusammen, der dem ehemaligen Kriegsgegner Deutschland – Ähnliches galt übrigens auch für Japan – nie gekannte Wachstumschancen eröffnete.

Durch das sozialpartnerschaftliche, und deshalb effiziente, Zusammenwirken von Arbeit und Kapital wurde es möglich, diese Chancen zu ergreifen. Lohnforderungen und Sozialprogramme mussten nicht mehr zulasten der Gewinneinkommen durchgesetzt werden, sondern wurden aus steigenden Weltmarkterlösen finanziert, um schließlich selbst als gesteigerte Massenkaufkraft den eingeschlagenen Wachstumspfad abzusichern.

Diese Aufwärtsspirale aus Effizienz, Export und Binnennachfrage verlor an Schwung, nachdem abhängig Beschäftigte in den späten 1960er Jahren Gefallen an dauernden Reallohnerhöhungen gefunden hatten, Investitionen in neue Produktionsanlagen sich als unerwartet kostenintensiv herausstellten[2] und zudem andere Länder die Wachstumsmodelle Deutschlands und Japans nachzuahmen begannen.[3]

Trotz seither geringerem Wachstum und Massenarbeitslosigkeit werden die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Debatten in Deutschland noch immer durch die Vorstellung bestimmt, Exporterfolge hingen einerseits von der Vermeidung sozialer Konflikte ab und seien andererseits die Voraussetzung für Neueinstellungen und steigende Löhne.

Einerseits bestehen Unternehmer darauf, dass unter Bedingungen eines weltweiten Überangebotes an lebendiger Arbeitskraft härter und länger gearbeitet werden müsse, bis Vollbeschäftigung und Wohlstand für alle wieder möglich seien. Dagegen verstehen Gewerkschaften die deutschen Exportüberschüsse oftmals als Hinweis auf real existierende Verteilungsspielräume.[4] Diese könnten durch höhere Löhne und Sozialleistungen ausgeschöpft werden, ohne dadurch die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu untergraben. Von diesen Grundpositionen ausgehend drehen sich politische und tarifliche Konflikte um die Frage, ob einer durch Lohn- und Sozialabbau herbeizuführenden Prosperität die noch immer vorhandene Blockademacht von Sozialstaat und Gewerkschaften entgegensteht oder ein staatlich gefördertes Wachstumsprogramm am falschen Bewusstsein von Unternehmern und politischem Personal scheitert.[5]

Ob die völlige Zerschlagung des Sozialsystems oder dessen Ausbau zu Wachstum und Vollbeschäftigung führen, muss offen bleiben, weil keines dieser beiden Programme in Reinform umgesetzt werden kann. Mehr als graduelle Verschiebungen in der Machtbalance zwischen Lohnarbeit und Kapital lässt das politische System der Bundesrepublik gegenwärtig nicht zu.

So mussten Gewerkschaften und sozialdemokratische Wählerschaft enttäuscht feststellen, dass die rot-grüne Koalition nach ihrem Amtsantritt nicht den Ausbau eines ökologisch erneuerten Sozialstaats in Angriff nahm, sondern die Sozialstaatsdemontage ihrer schwarz-gelben Vorgängerin fortsetzte und noch verschärfte.[6] Andererseits musste das Unternehmerlager mit ansehen, dass Rot-Grün mit dieser Politik erst eine massive Protestwelle auslöste, den Wandel der PDS von einer Regionalpartei zu einer gesamtdeutschen Linkspartei begünstigte, um sich schließlich erfolgreich als Bollwerk gegen einen sozial entfesselten Kapitalismus zu präsentieren. Nach dem Debakel um den Steuerreformer Kirchhof musste sogar die CDU feststellen, dass sich ohne Rücksicht auf soziale Gerechtigkeitsvorstellungen[7] keine Wahlen gewinnen lassen. Bis auf weiteres sind parlamentarische Mehrheiten, die über den schrittweisen Abbau sozialer Standards hinaus einen fundamentalen Bruch mit sozialstaatlichen Prinzipien erlauben würden, sehr unwahrscheinlich. Da gesetzlich fixierte Standards ökonomisch wie ein Mindestlohn wirken, werden hierdurch auch den Lohnsenkungsstrategien der Unternehmen Grenzen gesetzt.

Basis der Sozialpartnerschaft zerfällt

Allerdings sind den Möglichkeiten, die soziale Gegenreform durch das Einklagen eines fairen Anteils der abhängig Beschäftigten an den gemeinschaftlich am Weltmarkt erwirtschafteten Umsätzen aufzuhalten, Grenzen gesetzt. Nicht durch ökonomische Sachzwänge, wie bürgerliche Medien und Unternehmen behaupten, sondern durch die Ausdünnung der Basis des in Prosperitätszeiten entstandenen Sozialsystems.[8]

Langzeitarbeitslose wurden durch die Hartz IV-Gesetze von dem Deal Arbeit gegen Anspruch auf Sozialleistungen formal ausgeschlossen und zu Wohlfahrtsempfängern gemacht. Wer aber keine Aussicht hat, durch sozialversicherungspflichtige Arbeit nicht nur die laufenden Lebenskosten zu decken, sondern auch Einkommensansprüche für die Fälle von Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Rente zu erwerben, hat auch nur wenig Anreiz, sich für die Verteidigung eines auf Lohnarbeit zentrierten Sozialstaates einzusetzen. Ähnliches gilt auch für ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse. Der steigenden Zahl jener, deren Lohn kaum bis zum Monatsende reicht und keinen Zugang zu den Sozialversicherungssystemen eröffnet, müssen die beständigen Debatten um Sozialversicherungsbeiträge und Leistungsniveau als ein Luxuskonflikt vorkommen, der mit ihrer eigenen Lebenswirklichkeit nichts zu tun hat. Weiter oben auf der sozialen Leiter empfindet eine neue Mittelklasse, deren Aufstieg ohne den massiven Ausbau des öffentlichen Bildungssystems in den 1970er Jahren kaum möglich gewesen wäre, Steuern und Sozialabgaben als dauernde Bedrohung des gerade erreichten Lebensstils.

Zwischen jenen, die vom Sozialstaat alter Prägung nichts mehr zu erwarten haben und jenen, die glauben ohne soziale Sicherungssysteme besser dazustehen, steht die Gruppe der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Von Seiten der Unternehmen stehen sie unter dem Druck, im Namen von Wettbewerbsfähigkeit und Standortsicherung niedrige Löhne und längere Arbeitszeiten zu akzeptieren. Gleichzeitig finanzieren sie mit ihren Beiträgen die laufenden Ausgaben der Sozialversicherung, können sich aber selbst kaum darauf verlassen, von diesem System in Zukunft entsprechende Leistungen zu empfangen. Daher geht selbst für diejenigen, die von der Sozialversicherung noch nicht ausgeschlossen sind, die alte Rechnung, derzufolge vom Weltmarkt als wertbildend anerkannte Arbeit gleichwertige Sozialleistungsansprüche schaffe, nicht mehr auf.

Angesichts dieses Zerfaserns der Basis des deutschen Sozialsystems ist es eher überraschend, dass soziale Gerechtigkeit in Wahlkämpfen und zur Mobilisierung von Streiks und Protesten noch immer eine so große Rolle spielt. Es ist jedoch keineswegs sicher, dass dies auch in Zukunft so sein wird. Insbesondere die Betonung von Sozialpartnerschaft und Bewährung des Standortes Deutschland auf dem Weltmarkt als Bestandteil des bundesrepublikanischen Grundkonsenses könnten für zukünftige Mobilisierungen zu einem Stolperstein werden.

Gefahren des Standortnationalismus

Wo die Gewährung sozialer Rechte an die Verausgabung produktiver Arbeit und deren Anerkennung auf dem Weltmarkt gebunden ist, entstehen Gerechtigkeitsvorstellungen, die in zweierlei Weise verletzt werden können. Entweder dadurch, dass Menschen beanspruchen zu essen, ohne gearbeitet zu haben, oder durch die Missachtung der Fair-Play-Regeln auf dem Weltmarkt. Unter den Bedingungen globaler Überkapazitäten, kommt es dauernd zu solchen Verletzungen des Gerechtigkeitsempfindens: Ganz augenscheinlich gibt es ja Menschen, die zwar arbeiten, aber wegen der Unverkäuflichkeit der von ihnen hergestellten Waren anstelle des erwarteten Lohns die Kündigung bekommen. Ebenso augenscheinlich gibt es andere, die zur gleichen Zeit neue Jobs finden oder in Zeiten zunehmender Arbeitslosigkeit sogar zu Reichtum kommen. Diese Erfahrungstatsachen und das durch sie verletzte Gerechtigkeitsempfinden können zum Widerstand gegen ein globales Wirtschaftssystem anregen, das einen Teil der Menschheit vom Besitz an Produktionsmitteln ausschließt, sie dadurch zur Suche nach lohnabhängiger Arbeit zwingt, durch Arbeitslosigkeit die Löhne niedrig hält und schließlich Beschäftigtengruppen nach Staatsangehörigkeit, Hautfarbe und Geschlecht diskriminiert, um eine effektive Gegenmacht zu verhindern. Der letzte Punkt ist für politische Mobilisierungen der entscheidende.

Statt jener, deren Reichtum von der Arbeit und Konkurrenz abhängig Beschäftigter abhängt, können nämlich auch jene denunziert werden, die froh sind, in ihrer durch die internationale Schuldenkrise wirtschaftlich verwüsteten Heimat endlich einen Job zu finden. In den Kämpfen gegen Betriebsschließungen wird immer wieder der durch Qualitätsarbeit ausgezeichnete Standort Deutschland gegen die Billiglohnkonkurrenz der Entwicklungsländer in Stellung gebracht, ohne nach den Lebensperspektiven der ArbeiterInnen des Globalen Südens zu fragen. Ebenso oft werden MigrantInnen als Bedrohung des Standortes Deutschland diffamiert. Erinnert sei nur an die "Kinder statt Inder"-Kampagnen sowie die Unterschriftensammlung gegen das rot-grüne Zuwanderungsgesetz, mit denen die CDU-Kandidaten Rüttgers und Koch ihre Wahlkampfkampagnen in Nordrhein-Westfalen bzw. Hessen vor einigen Jahren erfolgreich bestreiten konnten. Schließlich, ein Lieblingsthema der FDP, wird jede Form sozialer Sicherung als Einladung an die Faulenzer der Gesellschaft verstanden, es sich auf Kosten ihrer Leistungsträger und Wettbewerbsfähigkeit gemütlich zu machen.

Gerechtigkeit jenseits des Standortes

Um angesichts der Spaltungen innerhalb der Basis des alten Sozialstaatskonsenses und den hiermit verbundenen Möglichkeiten des Gegeneinander-Ausspielens sozialen Widerstand zu organisieren, sind neben der Verteidigung sozialer Standards Forderungen zu entwickeln, deren Umsetzung auch die Lebenssituation jener Bevölkerungsgruppen[9] verbessern würden, die keinen Zugang zum gegenwärtigen Sozialsystem haben. So könnten Langzeitarbeitslose durch ein bedingungsloses Grundeinkommen ihre Einkommenssituation verbessern und die schikanösen Prüfungen ihrer Anspruchsberechtigung im Rahmen von Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II vermeiden. Darüber hinaus würde sich der Lohndruck auf die Beschäftigten verringern. Für die Gewerkschaften ginge es darum, die wachsende Zahl derjenigen zu organisieren, deren Beschäftigung noch immer als "atypisch" gilt. Angesichts der Vielfalt von Beschäftigungsformen, Qualifikationen und Tätigkeiten kann sich eine wirkungsvolle Interessenvertretung nicht an der Produktivität der verausgabten Arbeitskraft, sondern nur an der tatsächlich geleisteten Arbeit orientieren. Andernfalls würde die ohnedies bestehende Spaltung zwischen Beschäftigen in High-Tech- und Low-Tech-Sektoren fortgeschrieben. Darüber hinaus erfordert die große Zahl befristeter und Teilzeit-Arbeitsverhältnisse eine Abstimmung von Tarif- und Sozialpolitik. Über gegenseitige Solidaritätsbekundungen hinaus könnten Gewerkschaften und soziale Bewegungen dabei um gemeinsame Anliegen kämpfen.

Um aber den Drohungen von Produktionsverlagerungen dauerhaft zu entgehen, ist eine internationale Solidaritätsbewegung notwendig, die dem Globalen Süden Entwicklungsperspektiven eröffnet. Mit der oftmals auch von Gewerkschaften propagierten Spezialisierung auf High-Tech-Bereiche können sich Standorte im Norden der gegenwärtig bestehenden Lohnkonkurrenz vorübergehend ein Stück weit entziehen. Nur wird die Zahl derer, die sich hiervon sichere Einkommen und Arbeit versprechen immer geringer, weil technischer Fortschritt nun mal ein anderes Wort für die Einsparung lebendiger Arbeitskraft ist. Dies ist ja der ökonomische Hintergrund der Beschäftigungszuwächse außerhalb der exportstarken Sektoren am Standort Deutschland. Dass immer weniger Menschen in diesen Sektoren Beschäftigung finden ist eben kein Hinweis auf das Ende der Arbeitsgesellschaft, wie neu-sozialdemokratische Theoretiker gern behaupten, sondern auf eine Neuzusammensetzung der ArbeiterInnenklasse, die quer zu alten sektoralen, aber auch nationalstaatlichen Grenzen, verläuft. Ob hieraus eine soziale Kraft entsteht, ist jedoch keine Frage sich stumm vollziehenden wirtschaftlichen und sozialen Strukturwandels, sondern politischer Arbeit.

Ingo Schmidt ist Assistant Professor, University of Northern British Columbia, Arbeitsschwerpunkte: Transatlantische Beziehungen, Europäische Integration, Geschichte sozialer Bewegungen. Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac.

[1] Vgl. Esser, Josef (1982): Gewerkschaften in der Krise, Frankfurt/M. Frappierend bei einer abermaligen Lektüre dieses Standardwerks zum Thema korporatistischer Einbindung der Gewerkschaften in den fortgeschrittenen Kapitalismus ist deren Aktualität. Dass der während des Wirtschaftswunders entstandene Grundkonsens nach drei Jahrzehnten Massenarbeitslosigkeit, neoliberaler Strukturanpassung und deutscher Einheit noch immer fortwirkt, sollte allerdings nicht zu der Annahme verleiten, die soziale Entwicklung in Deutschland würde auf alle Ewigkeit in korporatistischen Bahnen verlaufen. Vgl. dazu: Schmidt, Ingo (2005): Can Germany’s Corporatist Labor Movement Survive?, in: Monthly Review, Jg. 57. Nr. 4, September 2005.
[2] Vgl. Altvater, Elmar et al. (1979): Vom Wirtschaftswunder zur Wirtschaftskrise, Berlin/West.
[3] Die Rolle Deutschlands bei der Herausbildung globaler Überkapazitäten beschreibt: Brenner, Robert (2002): The Boom and the Bubble, London; New York. Zur Rolle der asiatischen Tigerstaaten sei verwiesen auf: Jakob, Martin et al. (1999): Hintergründe und Ursachen der Asienkrise, in: Marxismus, Nr. 16, Wien.
[4] Vgl. Hürtgen, Stefanie (2003): Gestaltung des Anpassungsdrucks, Rückkehr zu bewährter Gewerkschaftspolitik oder Kampf um soziale Transformation? Gewerkschaftliche Positionen zur Globalisierung in Deutschland und Frankreich, in: Prokla, Heft 130, 33. Jg., Nr. 1, 7-29. Kritisch dazu: Detje, Richard (2003): Der Kampf um soziale Transformation sollte nicht in Sackgassen geführt werden, in: Sozialismus, Nr. 9, September 2003, 30. Jg, Heft 269, 45-49.

5 In diesem Sinne lässt sich beispielsweise der Titel des von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 2002 vorgelegten Memorandums verstehen: Blauer Brief für falsche Wirtschaftspolitik, Bonn 2002.
[6] Vgl. Bischoff, J. et al. (2005): Schwarzbuch Rot-Grün – Von der sozial-ökologischen Erneuerung zur Agenda 2010, Hamburg.
[7] Grundlegende Bedeutung und Wandel dieses Begriffes werden geschildert in: Bischoff, J.; Lieber, Christoph (2001): Epochenbegriff "Soziale Gerechtigkeit", in: Supplement der Zeitschrift Sozialismus 5/2001, Hamburg.
[8] Entgegen der verbreiteten These vom Ende der Arbeitsgesellschaft findet seit Jahren ein Prozess der Neuzusammensetzung der internationalen ArbeiterInnenklasse statt, der die bisherigen Grundlagen nationalstaatlich organisierter Sozialsysteme zersetzt. Damit wird die Organisation sozialer Sicherheit aber nicht zu einer alleinigen Aufgabe einer globalen Zivilgesellschaft. Aussichtsreicher dürfte eine Neubestimmung des Verhältnisses von Sozialstaat und globalen sozialen Rechten sein. Zur Neuzusammensetzung der ArbeiterInnenklasse vgl.: Harman, Chris (2002): Workers of the World, in: International Socialism, Nr. 96, Herbst 2002, London, 3-45. Zu politischen Perspektiven, die an die These dieser Neuzusammensetzung ansetzen vgl. Roth, Karl Heinz (2005): Der Zustand der Welt – Gegen-Perspektiven, Hamburg.
[9] Vgl. Bacon, David (2005): Labor needs a radical vision, in: Monthly Review, Jg. 57, Nr. 2, Juni 2005, 38-45 sowie: Tait, Vanessa (2005): Poor Workers’ Unions – Rebuilding Labor from Below, Cambridge/Ms.

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