23. Mai 2019 Katharina Grabietz/Kerstin Klein: Für eine Industriegesellschaft, die weder Mensch noch Klima auf der Strecke lässt

#FairWandel

Die IG Metall ruft am 29. Juni unter dem Titel #FairWandel zu einer Großdemonstration nach Berlin auf. Sie fordert nicht weniger als den sozialen, ökologischen und demokratischen Umbau der Industriegesellschaft.

Einige fragen sich, warum sie gerade jetzt mit einer so groß angelegten Kampagne in die Öffentlichkeit drängt. Ist es die Reaktion auf die unter dem Schlagwort »Industrie 4.0« bekannten Vorstellungen der Arbeitgeberverbände, oder handelt es sich um eine Strategie zur Verteidigung der Arbeitsplätze in der Automobilindustrie gegen immer straffere Emissionsvorgaben?

Wenn wir einen Blick in die Betriebe der Metall- und Elektroindustrie, aber auch ins Handwerk werfen, sehen wir: Es geht um weit mehr. Die Herausforderungen sind komplexer.

Während vor zehn Jahren peu à peu das papierlose Büro oder erste Desk-Sharing-Konzepte ausprobiert wurden, Home-Office Regelungen Einzug in die Betriebe hielten und CAD/CNC-Programmierungen als digitale Arbeitsformen galten, befinden wir uns nun in einer Phase, in der die technischen Möglichkeiten exponenziell zunehmen und genutzt werden.

Eine Umfrage der IG Metall NRW unter Betriebsräten in 2018 ergab, dass bereits in über 80% der befragten Betriebe neueste Techniken und Arbeitsformen Einzug gehalten haben. 3D-Drucker ersetzen mittlerweile Arbeitsplätze in Entwicklungsbereichen, Drohnen werden in der Instandhaltung eingesetzt, Anlagen errechnen anhand von Algorithmen selbständig ihre Wartungsintervalle und ersetzen zukünftig eine große Anzahl von Servicetechnikern. Den größten Umbruch erwarten wir jedoch in den administrativen und logistischen Bereichen. Nach Lean-Office kommen auch dort verstärkt Software-Programme für einfache, sich wiederholende Arbeiten zum Einsatz, und Tätigkeiten, die räumlich ungebunden sind, werden konsequent in billigere Standorte ausgelagert oder von Crowdworkern als Projektarbeiten geleistet. Selbststeuernde Logistiksysteme ersetzen zunehmend Fachkräfte und sind ebenso in der Lage, selbständig Maschinen zu bestücken. Die Daten, die dafür notwendig sind, werden größtenteils von den Beschäftigten selbst eingespeist, dadurch entsteht bei ihnen das makabre Gefühl, sich selbst wegzurationalisieren.

Wer daraus jedoch den Schluss zieht, die Kolleg*innen, die am 29. Juni in Berlin auf die Straße gehen werden, tun dies allein motiviert durch einen engstirnigen Blick auf den Erhalt ihrer Arbeitsplätze (»Hauptsache Arbeit, koste es, was es wolle«), legt eine zu einfache und zynische Denkweise an den Tag.

Katharina Grabietz ist Gewerkschaftssekretärin in der Vorstandsverwaltung der IG Metall. Kerstin Klein ist politische Sekretärin in der IG Metall Geschäftsstelle Köln-Leverkusen.

Die komplette Leseprobe als pdf-Datei!

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