25. Mai 2022

Filmkritik: Blutsauger

Karl Marx bedient sich besonders in Band 1 des »Kapital« einer Vielzahl von metaphorischen Ausdrücken, Vergleichen und Allegorien.

Hans H. Hiebel hat das 2019 in seinem im VSA: Verlag erschienenen Buch »Die Metaphern des Karl Marx« eindrücklich beschrieben. Wer das auf filmischer Ebene auf sich wirken lassen möchte, kann dies mit dem sich als »marxistische Vampirkomödie« bezeichnenden Film »Blutsauger« des Regisseurs Julian Radlmaier tun.

Dieser greift Marx' bildhafte Aussage auf, das Kapital sei »verstorbene Arbeit«, die sich »nur vampirmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit«. Das als Leitmotiv fungierende Zitat findet sich gleich zu Beginn des Films in Form eines am Strand tagenden Marx-Lesekreises, der den Vergleich kritisch hinterfragt und davor warnt, diesen zu wörtlich zu nehmen. Genau dies tut »Blutsauger« in den darauffolgenden knapp zwei Stunden mit viel Fabulierlust, Witz und Kreativität.

Denn eine Dorfgemeinschaft an der Ostsee wird im Jahre 1928 von blutsaugenden Kapitalist*innen heimgesucht, die dem Vampirismus frönen. Dorthin verschlägt es auch den Arbeiter Ljowuschka (Alexandre Koberidze), der im neuen Film von Sergei Eisenstein als Laiendarsteller die Rolle von Leo Trotzki übernimmt. Als Trotzki jedoch den internen Machtkampf gegen Stalin verliert, wird er aus dem Film geschnitten – und seine Karriere als angehender Filmstar wird jäh unterbrochen. Sein Versuch, nach Hollywood zu reisen, endet aus Geldmangel an der Ostsee, wo er sich aus Verzweiflung als sowjetischer Baron ausgibt.

Die reiche und verwöhnte Fabrikantin Octavia (Lilith Stangenberg) nimmt ihn mehr aus Langeweile als aus Mitleid auf und durchschaut ihn relativ schnell. Zwischen beiden entspinnt sich eine leichte Romanze, die aufgrund der Schüchternheit und Unbeholfenheit des »Barons« jedoch nie richtig Fahrt aufzunehmen scheint.

Denn beide trennt die Kluft der Klassengesellschaft: Sie, die mondäne, salonmarxistisch angehauchte und ob ihres Reichtums gelangweilte Intellektuelle in guten Kreisen, er der »einfache« Arbeiter, der verzweifelt versucht, die Verhaltenscodes der Wohlsituierten nachzuahmen, ohne wirklich von ihr und ihren Freund*innen ernst genommen zu werden. Diese unüberwindlich scheinenden Klassengrenzen bringt der Film wunderbar bissig zum Ausdruck.

Der schwarze Humor kommt vor allem in den pointierten Dialogen zum Ausdruck. Beispielsweise wenn Octavias »persönlicher Assistent« Jakob (Alexander Herbst), der der Sympathieträger des Films ist und sich als Literat und Chronist seines Lebens versucht, seine »Unentbehrlichkeit durch besondere Beflissenheit« demonstrieren möchte. Oder in einer wunderbaren Szene rät die Tante der jungen Fabrikbesitzerin, gleich zwei Diener anzustellen, »um ein gesundes Konkurrenzverhältnis herzustellen«.

Die sich in ihrem eigenen Dunstkreis ergehende Bourgeoisie hat dabei völlig den Kontakt zur Lebenswirklichkeit verloren, was immer wieder ironisch vom Film auf die Spitze getrieben wird. Und wenn es doch zum Kontakt zwischen beiden Klassen kommt, befleißigt sich die Oberschicht einer fast schon lächerlich anmutenden Arroganz und einem grenzenlosen Paternalismus.

So wird der Vampirismus der Kapitalist*innen kaschierend als »alte Plage der ungebildeten Schichten« bezeichnet, die auf mangelnde Hygiene zurückgehe. Gipfelnd in der Aussage, nur ein »bürgerliches Leben« böte ausreichend Schutz vor der nächtlichen Heimsuchung. Doch genau dieses Leben wird der unteren Schicht aufgrund der unüberwindlichen Schranken verwehrt. Herrlich ist auch eine Szene, in der sich ein Kapitalist in Selbstmitleid ergeht und für seine blutsaugerischen Bedürfnisse rechtfertigt.

Die große Stärke von »Blutsauger« ist sein überaus komödiantischer Zugang zu den marxistischen Theorien. Er schafft dabei den Spagat zwischen Witz und ernsthafter Interpretation. Es ist eine ungewohnt humorvolle und geistreiche Auseinandersetzung mit den Botschaften von Marx, die auf Dauer nur manchmal etwas zu verkopft daherkommt.

Klaus Schneider, Hamburg

Die Filmkritik gibt es auch als pdf-Datei!

 

 

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