17. Dezember 2018 Konstanze Kriese, Brüssel/Berlin

Filmkritik: Cold War – der Breitengrad der Liebe

Der Pianist Wiktor spielt nach einer langen Probe aus Bachs Goldberg-Variatio­nen. Mit jedem Ton befreit er sich vom akustischen Wahnsinn seiner Tagesaufgabe, das junge sozialistische Polen mit künstlerischem Volksschaffen zu fluten.

Fast rein musikalisch an die »Unendliche Leichtigkeit des Seins« zu erinnern und damit Roman- und Filmgeschichte im Kalten Krieg zu zitieren, ist einer der ungewöhnlichsten Momente in Paweł Pawlikowskis neuem Film. »Cold War – der Breitengrad der Liebe« ist puristisches Quellenstudium im Vergleich zu Philip Kaufmans opulenter Kundera-Verfilmung von 1988. Bei Pawlikowski kann man zusehen, wie existenzielle Fragen nach der Freiheit der Einzelnen im individuellen Freiraum begraben werden.

Glaube

Die Filmerzählung beginnt 1949. Eine einzige Kamerafahrt in eine Kirchen­rui­ne erübrigt alle Fragen an den Schöpfer, an Mütter und Väter nach dem Warum eines unfassbaren Krieges. Woran hält man sich noch fest?  Carolin Emcke schrieb in »Wie wir begehren« (2013) über den Glauben – woran auch immer: »Diese metaphysische Gestimmtheit bedeutete … eine gewisse Unabhängigkeit von der sichtbaren Ordnung der Dinge, ein selbstverständliches Aufgehobensein jenseits all der realen Erfahrung in der Wirklichkeit, eine Form der Unverwundbarkeit. So wie Liebe und Musikalität ist dieser Glaube unverfügbar, er lässt sich nicht beschließen, nicht begründen … so wie die Liebe im Kern grundlos bleibt, eben weil sie geschieht, weil sie einen einnimmt, weil sie den Grund in sich selbst trägt, mit sprachloser Evidenz, so ist dieser Glaube. Wie Liebe oder Musikalität ist diese Vertrautheit mit dem Unsichtbaren ein Geschenk, das sich nicht fordern oder ablehnen lässt.«

Die Chancen der Liebe im Kalten Krieg beantwortet der Film ohne Umschweife. Still und flach atmend starren wir auf den Abspann in der Hoffnung, er möge länger sein als das Leitmotiv des Films, das Volkslied »Dwa serduszka, cztery oczy« (Zwei Herzen, vier Augen). Zuvor sind uns 15 Jahre des Kalten Krieges im Brennglas einer Liebe wachgerufen worden, die so grundlos bleibt wie ihre Verwandten, Glaube und Musik.

Liebe

Weder Leidenschaft noch Ängste skizzieren die Liebe zwischen Wiktor und Zula. Sie bleibt filmische Konstruktion. Ihre Begegnung ist von Beginn an egalitär: keine Anbetung, keine Projektion. Zula hat Bewährung. Wiktor ist Intellektueller, den das Systemvertrauen noch nicht verlassen hat. Sie präsentiert Verrat als Vertrauensbeweis, indem sie ihm ewige Liebe schwört und dann sagt: »Ich bespitzele Dich.« Es ist das Alltagswissen um die repressive Struktur hinter derartigen Denunziationen, welches in diese Offenbarung noch Hoffnung auf Verständnis einschrieb. Schwieriger erscheint Wiktors Verrat in Paris, als sie sich Jahre später wieder begegnen. Er dichtet Zula eine Legende an, die mit ihrer kriminellen Vergangenheit spielt. Das fördere ihre Vermarktung als Sängerin. Ob im Osten oder Westen: Unterwerfung ist allgegenwärtig und der Zwang dabei nicht allein der Bruder des Ostens und die Freiwilligkeit die Schwester des Westens.

Hoffnung

»Das Ensemble Masurek singt nicht von Bodenreformen und Führern«, protestiert Wiktors ältere Kollegin. Ihr Einspruch verhallt. Der Eiserne Bühnenvorhang zeigt Stalin und Tänzerinnen des Volkskunst-Ensembles werden blondiert, wenn sie nicht »slawisch« genug erscheinen. Da bleibt zum einen die subtile Frage, was uns dieses – mit dem 31. Europäischen Filmpreis ausgezeichnete – Werk über Kunst und Politik heute erzählt. Zum anderen ist die Freiheit der Kunst die beste Metapher, um nach Freiheitsversprechen jenseits von Künstlerszenen zu fragen.
Verloren als Sängerin und Pianist, als Mann und Frau, als Liebende zwischen den Systemen bleibt die Hoffnung bis zum Finale, und die Tragödie aus dem Geiste der Musik ist perfekt, wenn Zula sagt: »Lass uns auf die andere Seite gehen, da haben wir eine bessere Aussicht.«

Eine ausführliche Fassung dieser Filmkritik mit Informationen zur Autorin gibt es zum Download.

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