23. Februar 2017 Hasko Hüning, Berlin

Filmkritik: Der junge Karl Marx

Der Film entführt uns in das vorrevolutionäre Europa der 1840er Jahre. Er beginnt mit einer epischen Rahmung in zwei szenischen Bildern:

Bild 1: Sommerliche Idylle im deutschen Wald, dann ärmliche, ausgemergelte Menschen beim Sammeln von Feuerholz, bedrohliches Hufgetrappel – preußische Soldaten brechen in die Stille ein und machen die Holzsammler nieder. Die feudalistisch-rückständige Form des (Land-)Eigentums an der Natur wird gewaltsam gesichert.

Bild 2: Manchester, Schwerindustrie, Elend der Armenviertel, ratternde Webstühle in der Baumwollspinnerei Ermen & Engels, Kinder und Frauen in der Fabrik, männliches Aufsichtspersonal, Kontrollgang des Eigentümers; die Arbeiterinnen führen Klage über die Hungerlöhne und die lebensgefährdende Arbeit, sie drohen mit Streik; der alte Engels schmeißt die Rädelsführerinnen hinaus, der junge Engels interveniert, begehrt gegen den despotischen Vater auf – vergebens. Das kapitalistische Eigentümerrecht an den Produktionsmitteln triumphiert im England der industriellen Revolution über die sozialen Verhältnisse.

Nachdem die preußische Obrigkeit die »Rheinische Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe«, ein Organ bürgerlich-oppositioneller Strömungen, verboten hat, wird ihr Chefredakteur Karl Marx arbeitslos, muss emigrieren und siedelt Ende 1843 mit seiner jungen Familie nach Paris über. Nun führt uns die Handlung von der französischen Hauptstadt nach Brüssel und wieder nach Paris zurück bis in das Jahr 1848. Raoul Peck (Buch und Regie) entfaltet Schritt für Schritt die nächsten politischen Stationen im Leben seiner Protagonisten Karl Marx (August Diehl) und Friedrich Engels (Stefan Konarske). Beider Vertrautheit beginnt ein wenig verhalten und holprig, bevor sie in der Revolution des Denkens zusammenfinden.

In der (lebensweltlichen) Hauptsache gibt der Film dem Privaten, den komplizierten, von den Darstellern glaubwürdig verkörperten Charakteren viel Raum. Es ist die Geschichte lebendiger Figuren, die vom Geist ihrer Epoche geprägt sind. Jenny von Westphalen (Vicky Krieps), Tochter aus adligem Haus, heiratet ihren geliebten Karl, um der Langeweile ihres Standes zu entfliehen, während Mary Burns (Hannah Steele), eine Baumwollspinnerin und Rebellin, Friedrichs Lebensgefährtin wird. Jenny folgt dem bürgerlichen Heiratsideal, Mary sucht die Befreiung von der familialen Autorität, um Herz und Kopf frei zu haben für den proletarischen Kampf. In diesem Punkt bleiben sich beide Frauen fremd, aber beide wissen auch, dass es im Leben um mehr geht als um private Befindlichkeiten. Jede auf ihre Weise werden sie zu intellektuellen Wegbegleiterinnen.

In der (politischen) Hauptsache geht es um die Gründung des Bundes der Kommunisten und um die Niederschrift des Kommunistischen Manifests (1848). Marx und Engels wollen den Boden für eine proletarische Partei bereiten. Das geht nicht ohne theoretische Grundlegung und die Ausarbeitung des Zusammenhangs von ökonomischer Kritik und Revolution. Im Film erhalten wir Einblicke in den Werkstattcharakter ihrer Zusammenarbeit. Marx ist müde, überarbeitet, frustriert von ständigen finanziellen Sorgen. Engels lockt, droht, treibt ihn an. Beide machen aus ihrer Ablehnung der verschiedenen Spielarten eines spekulativen Humanismus keinen Hehl und legen sich mit den führenden Linkstheoretikern an – so mit Bakunin, Proudhon, Weitling. Die Debatten werden rabiat, verletzend und ungeduldig geführt. Mit Blick auf den von Marx und Engels erwarteten historischen Scheitelpunkt, die europäischen Revolutionen von 1848, scheint ihnen eine gerechtere Welt greifbar nahe; eine solch große Erwartung kann offenbar auch zu – inspirierender – Anmaßung und Selbst­überschätzung treiben!

Karl Marx ein Gegenwärtiger? Offenbar ja! Das hat ganz offenkundig mit dem zu tun, womit der Abspann in schnellen dokumentarischen Spots den Bogen bis in die Gegenwart schlägt: Bilder von Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung, von der Barbarei der zivilisierten Welt, von sozialistischem Machtmissbrauch und seinen Sackgassen »stehen neben Größen wie Martin Luther King oder Nelson Mandela …, und so steht am Ende die ansteckende Überzeugung, dass es ebenso notwendig wie lohnenswert ist, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen« (Michael Meyns, filmstarts.de).

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