27. Juni 2021 Alban Werner, Köln

Filmkritik: Der Rausch

Eine eigentümliche Stärke der Filme Thomas Vinterbergs scheint in ihrer Unerbittlichkeit zu bestehen. Sie sind unerbittlich gegenüber den Charakteren, die emotionale Höllenqualen erlitten haben oder erleiden müssen. Unerbittlich sind sie aber auch gegenüber den Zuschauerinnen und Zuschauern, die am Zusammenbruch der vertrauten Lebenswirklichkeit der Figuren teilhaben, und an den Untiefen, die sich dabei offenbaren.

So lässt Vinterberg in »Das Fest« (1998), als dessen Regisseur er berühmt wurde, den Protagonisten die Wahrheit über den sexuellen Missbrauch durch den Familienpatriarchen an ihm selbst und seiner bis in den Suizid verzweifelten Schwester ans Licht bringen – gegen erbitterte Widerstände und eine Mauer der großbürgerlichen Verleugnung und Verlogenheit. Nicht weniger erschütternd schilderte Vinterberg im Drama »Die Jagd« (2012), wie sich das Leben eines geschiedenen Erziehers zwischen Denunziation, Verdächtigungen, Stigmatisierung und Gewaltandrohung auflöst, als diesem fälschlicherweise vorgeworfen wird, sich einem seiner weiblichen Schützlinge sexuell genähert zu haben. Man könnte sagen, Vinterberg ist Experte dafür, das Zusammenbrechen bürgerlicher Existenzen cineastisch einzufangen und in aller Härte vorzuführen, wie sehr diese abhängig sind von Fremdwahrnehmungen und dem sprichwörtlichen Theater der Erscheinungen, bei dem alle mitzuspielen haben (Erving Goffman).

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