23. August 2018 Gerd Siebecke, Hamburg

Filmkritik: Gundermann

Gerhard Gundermann, geboren 1955 und aufgewachsen in der DDR, war Baggerfahrer. Er förderte seit 1975 im Drei-Schicht-Betrieb Braunkohle aus dem Lausitzer Tagebau – bis 1996 die letzten Bagger seiner Grube verschrottet wurden.

Foto: Peter Hartwig/Pandora Film

Während der Schicht diktierte er Texte in sein Diktafon und machte Lieder draus, mit denen er zu späten DDR-Zeiten und nach der »Wende« volle Konzertsäle rockte (siehe auch Lutz Kirschners Würdigung aus dem Jahr 2003 in dieser Zeitschrift). Er starb im Juni 1998 im Alter von nur 43 Jahren an einem Schlaganfall – dabei hatte er nicht geraucht, keinen Alkohol getrunken und sich vegetarisch ernährt.

Andreas Dresen, Jahrgang 1963 und ebenfalls in der DDR aufgewachsen, hat 20 Jahre nach Gundermanns Tod über diesen widersprüchlichen Typ mit Hosenträger, Fleischerhemd und komischen Brillen einen Spielfilm gedreht. Und zugleich 30 Jahre nach dem Ende der DDR einen unaufgeregten, differenzierten und zugleich kompromisslosen Blick auf die Widersprüche des verloren gegangenen Lands geworfen. Gundermann formuliert es im Film so: »Ich gehöre zu den Verlierern. Ich habe aufs richtige Pferd gesetzt, aber es hat nicht gewonnen.«

Denn die Geschichte von Leuten in der DDR, die innerhalb der bestehenden Institutionen die Verhältnisse verändern wollten, ist voller Ambivalenzen und auch Widrigkeiten. Gundermann gehört zu ihnen, ist ein Unangepasster, der sagt, was er denkt und deshalb 1975 von der Offiziershochschule fliegt, weil er sich weigert, ein Loblied auf Armeegeneral Heinz Hoffmann zu singen – das sei Personenkult. Zu den Institu­tionen gehört die SED, die ihm zunächst eine »strenge Rüge« erteilt und ihn später wegen »prinzipieller Eigenwilligkeit« ausschließt. Den SED-Bezirkssekretär fährt er im Film nicht nur wegen dessen Anreise mit einer Westkarre an, sondern kritisiert die Arbeitssicherheit im Tagebau: »Es tut sich nichts.« Auf die Frage eines Parteiveteranen (gespielt von Peter Sodann), warum er dennoch in der Partei bleiben will, heißt seine Antwort: »Wenn's die nicht schon gäbe, die Weltanschauung, da hätte ich auch drauf kommen können.«

Zu den Institutionen gehört auch die »Firma«, mit der sich Gundermann einlässt. Als »ein Mann des Vertrauens« wird er zur Mitarbeit gewonnen und berichtete als IM »Grigori« der Staatssicherheit über Personen in seinem Umfeld (seine Kontaktperson spielt der Münsteraner Tatort-Kommissar Axel Prahl). Als das nach der Wende bekannt wird und ein Betroffener ihn darauf anspricht, weicht er aus: »Weiß ich eben nicht mehr.«

Gundermann hat in der Zeit der Zusammenarbeit die moralische Dimension ausgeblendet und muss sich dem in den 1990er Jahren stellen – auch wenn er selbst von der »Firma« observiert wurde (die »Täterakte« existiert, die »Opferakten« sind verschwunden). Diese Konstellation zeichnet Dresen als Konfrontation Gundermanns mit sich selbst: Was ist wahr, was gelogen? Das betrifft nicht nur ihn (auch die »Fälle« von Heiner Müller und Christa Wolf werden angedeutet), sondern die Situation des Landes, in dem er lebte.

Andreas Dresen – der im Februar 2015 zusammen mit Axel Prahl ein Konzert anlässlich Gundermanns 60. Geburtstags organisierte – zeigt all dies, aber noch viel mehr Facetten eines eigensinnigen und zugleich grundsympathischen Menschen, der an beiden Seiten der Kerze brannte und das mit einem zu frühen Tod bezahlt hat. Einen liebenden Vater und nicht immer einfachen Partner von Freundin und späterer Ehefrau Conny (Anna Unterberger), mit einer höchst problematischen Vater-Geschichte, die ihm zu schaffen machte. Und einen Musiker, der sein letztes Konzert in der Prignitz-Gemeinde Krams eine Woche vor seinem Tod gab.

Der Hauptdarsteller Alexander Scheer ist in Gundermann »mit seiner ganzen Seele« hineingekrochen (Dresen in der Frankfurter Rundschau). Jede und jeder, der je Gundi live erlebt hat, ist irritiert, weil sich der Schauspieler auch Tonfall und Gestik so einverleibt hat, als würde das Original mitspielen. Dass er zudem sämtliche Lieder selbst singt und mit der Gitarre begleitet, könnte dazu beitragen, Gundermann und seine noch immer aktuellen Botschaften auch im Westen bekannter zu machen.

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