24. Februar 2023 Petra Reichert: Die Benachteiligung von Frauen in Deutschland

Gerechtigkeitslücken

Vor gut einem Jahr stellte die Berliner Ampelregierung ihren Koalitionsvertrag der Öffentlichkeit vor, in dem auch etliche Vorhaben zur Verbesserung der Gleichstellung von Mann und Frau angekündigt wurden. Schon damals zeichnete sich ab, dass Gleichstellung nicht mit ähnlicher Dringlichkeit wie Klimaschutz oder digitale Transformation behandelt werden würde.

Obwohl die aktive Umsetzung der Geschlechtergerechtigkeit durch den Staat seit 1994 im Grundgesetz verpflichtend festgeschrieben ist und seit 2011 drei Bundesgleichstellungsberichte mit umfassender Analyse und Handlungsempfehlungen erstellt wurden, hielten die Koalitionspartner*innen es nicht einmal für notwendig, diesem Thema einen eigenständigen Hauptpunkt im Koalitionsplan einzuräumen.[1]

In den zwanzig Jahren nach Erscheinen des ersten Gleichstellungsberichts hat es sicherlich in wesentlichen Bereichen der Gleichstellung etliche Fortschritte zugunsten des weiblichen Bevölkerungsteils gegeben. Dazu gehören zum Beispiel Teilhabe an Bildung und Weiterbildung, angemessen honorierte Erwerbstätigkeit, Aufwertung typischer »Frauenberufe« im Care-Bereich und Umorientierung auf gut bezahlte Berufsbereiche. Hinzu kommen wesentliche Rahmenbedingungen wie institutionelle Kinderbetreuung, Elterngeld und Partnermonate, Möglichkeiten zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung und Homeoffice für Männer und Frauen. Ebenso wie die Einführung verpflichtender Geschlechterquoten in Bereichen wie Politik und Management, in denen Frauen bislang unterrepräsentiert sind. Diese und viele weitere Maßnahmen gehören zu den wesentlichen Voraussetzungen für die Geschlechtergerechtigkeit.

Aus dieser Aufzählung wird aber schon deutlich, welch komplexes Unternehmen der Bereich Geschlechtergerechtigkeit darstellt, und dass es in diesen und etlichen weiteren Bereichen noch deutliche Handlungsbedarfe gibt, wenn das Ziel erreicht werden soll, dass Frauen und Männer im Lebensverlauf gleichermaßen gut von ihrem Einkommen leben, sich beruflich entwickeln und Fürsorgeaufgaben wahrnehmen können! Schauen wir uns die aktuelle Datenlage an.

Ein zusammenfassender Gleichstellungsbericht der Bundesregierung dazu wäre wünschenswert, ist aber nicht in Sicht. Dafür hat es jüngst Schlagzeilen über die immer noch skandalös hohen Verdienstunterschiede von Frauen und Männern gegeben. Zum einen wurde ein Bundesarbeitsgerichtsurteil zugunsten einer klagenden Frau veröffentlicht. Zum anderen kommentierte Marcel Fratzscher,[2] Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts zum sogenannten Gender Pay Gap.

Petra Reichert arbeitet mit in der Sozialistischen Studiengruppe (SOST).

[1] Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung findet sich im 6. Hauptpunkt »Freiheit und Sicherheit, Gleichstellung und Vielfalt in der modernen Demokratie« der Unterpunkt »Gleichstellung« mit einigen wichtigen Maßnahmen zur Geschlechtergerechtigkeit, aber ohne umfassendes Gesamtkonzept.
[2] Marcel Fratzscher, Die Lohnlücke ist ein Armutszeugnis für Deutschland, Blog Marcel Fratzscher vom 3. Februar 2023.

Die komplette Leseprobe als pdf-Datei!

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