1. Februar 2007 Berthold Huber

Gewerkschafter, Demokrat, Sozialist

Auf der Trauerfeier für den im Dezember 2006 verstorbenen Georg Benz am 8. Januar auf dem Frankfurter Südfriedhof sprachen der 2. Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber, und das frühere geschäftsführende Vorstandsmitglied Horst Klaus. Wir dokumentieren in der Printausgabe von Sozialismus 2-2007 beide Trauerreden, hier als Leseprobe den Beitrag von Berthold Huber.

Georg Benz, unser Freund und Kollege, ist am 19. Dezember des letzten Jahres in Garmisch-Partenkirchen gestorben. Mit ihm ist wieder einer derjenigen gegangen, die nach dem Schrecken des Zweiten Weltkrieges und den barbarischen Verbrechen des Nationalsozialismus unsere IG Metall mit aufgebaut haben. Er ist einer derjenigen, die großes Leid in diesen finsteren Jahren erfahren mussten. Die daraus ein "Nie wieder" folgerten, die Freiheit, Demokratie und Solidarität zu ihrem Lebensinhalt machten und alles daran setzten, dass unabhängige und starke Gewerkschaften in der damaligen Bundesrepublik entstanden. Als Gegenmacht gegen die Allmacht des Kapitals, als autonome Stimme der Interessen der Arbeitnehmer, als Gestaltungskraft in den Betrieben, als Korrektur der Politik und Mitgestalter der Republik.

Unter den gegebenen Bedingungen ist das "Schorsch" und seiner Generation gelungen. Er sagt selbst in einem Interview Anfang der 1990er Jahre: "Wir haben mit der Schaffung der Einheitsgewerkschaft, unserer Kampffähigkeit, unserer Leistung in dieser Gesellschaft Außergewöhnliches geschafft und haben den Menschen hier in unserem Land einen sozialen Besitzstand gebracht, auf den wir stolz sein können. Die Gewerkschaften haben mit ihrer Stärke den politischen Prozess beeinflusst wie kaum anderswo." Wer das zu Recht als Lebensresümee sagen kann, hat sich ein "gutes Leben" erarbeitet.

Georg Benz wurde am 20. November 1921 im streng katholischen Würzburg geboren, der Vater, ein Schneidermeister, starb früh im Jahre 1932. Sechs Kinder, eine starke Mutter. Volksschule, dann vier Jahre Lehre bei König und Bauer als Modellschreiner. Nach der Ausbildung 1941 zur Wehrmacht. Einsatz im Osten und in den Balkanländern. Malaria, Typhus, dann noch 1945 eine schwere Verwundung, die ihn bis 1949 arbeitsunfähig machte.

Auf der Suche nach ihm scheint es mir so, dass diese Jahre des Krieges und der Kriegsfolgen ihn stark geprägt haben. Er selbst berichtet darüber in Interviews wenig und etwas spröde. Akkordeon habe er gespielt und viel gelesen. Beides taucht mehrfach bei ihm auf: Lesen und Musik. Und die Berge und das Skifahren.

Das alles ist dann ab 1949 zu kurz gekommen. Anfang 1949 Wiedereinstellung bei König und Bauer. Am 1. Mai desselben Jahres Mitglied der IG Metall. Ein Jahr später Betriebsrat, Jugendleiter der IG Metall und Ortsverwaltungsmitglied. Dann, das für die IG Metall untypische: Im März 1953 wird Schorsch mit 32 Jahren zum 1. Bevollmächtigten gewählt. Mehrere verdiente Kollegen ziehen ihre Kandidatur wegen ihm zurück. Ca. 4.000 Mitglieder hatte die IG Metall damals in Würzburg. Drei Jahre später wird Georg Bezirkssekretär in München. Hans Brümmer, damals geschäftsführendes Vorstandsmitglied und zuständig für Personal, schrieb an Otto Brenner: "Er ist ein junger, äußerst intelligenter und sachlicher Kollege, der wirklich gewerkschaftspolitisch gesehen nach jeder Hinsicht einwandfrei ist. Ich vermute sogar stark, dass er in der Zusammenarbeit mit dem Kollegen Essl denselben etwas in seinem sprunghaften Wesen beeinflussen wird."

Und so kam es dann, dass der Beirat der IG Metall Schorsch 1964 zum geschäftsführenden Vorstandsmitglied wählte. Als einigermaßen kenntnisreicher Mensch würde ich sagen: eine Ochsentour im Galopp. Es gibt Gründe dafür. Sie liegen wohl in erster Linie in der Persönlichkeit von Georg, diesen eher zierlichen, aber umso energischeren Menschen. Sie sind aus meiner Sicht in seiner Glaubwürdigkeit, seiner überzeugenden Ausstrahlung und seinem vorbehaltslosen Engagement begründet.

Ab 1964 war Georg für Jugend, Berufsausbildung und Werbung, dann ab 1971 für Jugend und Betriebsräte und ab 1976 auch noch für die Mitbestimmung ’76 im Vorstand zuständig.

Bis zu seinem Ausscheiden aus der aktiven Arbeit 1983 hat Georg den Bereich Jugend verantwortet. Bis heute ist die IG Metall die größte und erfolgreichste politische Organisation in der Werbung junger Menschen. Das geht wesentlich auf ihn zurück. Er hat für die Themen der Jugend in der IG Metall nicht nur gekämpft, sondern sie zum Thema der IG Metall gemacht. Es sei hinzugefügt, die Auseinandersetzungen waren insbesondere in den 1970er Jahren gewiss kein Zuckerschlecken. Revolte und Revolution, Ziel und Wege einer realistischen und möglichen Gewerkschaftspolitik auf diesen Feldern sind in diesen Jahren äußerst kontrovers besprochen worden. Bis zur Grenze des erträglichen. Georg hat das austariert. Noch heute haben der damals erreichte Jugendarbeitsschutz und das Berufsbildungsgesetz Norm und Substanz.

Ab 1971 kamen dann die Felder Betriebsräte und Betriebsverfassungsrecht dazu, 1976 folgerichtig die Mitbestimmung ’76. Georg Benz und der IG Metall gingen die Reformen des Betriebsverfassungsgesetzes durch die sozialliberale Koalition 1972 nicht weit genug. Rückblickend bleibt festzuhalten, dass die Gewerkschaften und wesentlich die IG Metall nach Verabschiedung dieses Gesetzes in jahrelangen betrieblichen Kämpfen und in Auseinandersetzungen vor den Gerichten unseres Landes die Chancen und Möglichkeiten dieses Gesetzes entschlossen angepackt hat. Auch wenn Schorsch das – soweit ich es überblicken kann – so dezidiert nie artikuliert hat, ist meine Einschätzung, dass dieses Gesetz und die erkämpfte Anerkennung der Rechte der Arbeitnehmer und ihrer frei gewählten Interessenvertreter ein großer Schritt in Richtung Mitsprache und Mitbestimmung war und bis heute ist. Die Grundlage dafür hat Georg mit geschaffen. Das ist sein bleibender Verdienst.

Wir sollten aber im Sinn von Georg beachten: Das einmal erreichte ist nicht auf Dauer gesichert. Auch wenn die Betriebsverfassung und ihre Praxis heute die am wenigsten von der Kapitalseite in Frage gestellte Säule der Mitbestimmung ist, bleiben die Sätze des damaligen BDI-Präsidenten vom Herbst 2003 in unserem Gedächtnis. Herr Rogowski hat damals seine Tagträume zum Besten gegeben wonach er "Tarifverträge und Betriebsverfassung im Lagerfeuer brennen sehen will".

Die Mitbestimmung ’76 ist heftig umstritten. Georg war immer der Meinung, dass dieses Gesetz nur eingeschränkt den Titel "Unternehmensmitbestimmung" verdient. Das Zweitstimmrecht des von der Kapitalseite gestellten Aufsichtsrats-Vorsitzenden und die im Kern undemokratische Konstruktion des Leitenden Angestellten lassen bei Lichte besehen auch keine andere Interpretation zu. Trotzdem gilt heute, dass wir nicht zulassen dürfen, dass der Status quo geschliffen wird, Arbeitnehmer mit einer Drittel-Beteiligung abgespeist werden und die Mitbestimmung zu einer lächerlichen Alibi-Veranstaltung degradiert wird.

Ein wichtiges und von ihm immer betontes Credo war für Georg sein politisches Leben lang die Aussage: Die Basis unserer Arbeit ist der Betrieb! Dieses Credo gilt heute mehr denn je. Im Betrieb gewinnen wir Mitglieder und ohne Mitglieder sind wir letztlich nichts. Im Betrieb finden wichtige Auseinandersetzungen statt. Um die Anerkennung der Beschäftigten als die Träger des wirtschaftliches Fortschritts, um ihre Rechte auf Beteiligung und auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Zugespitzt will ich im Sinne von Georg Benz sagen: Den Zustand, die Reife oder den Verfall eines sozialen und demokratischen Gemeinwesens kann man an der Realität in den Betrieben und Unternehmen erkennen.

Mir scheint das heute nicht entschieden. Der Shareholder-Kapitalismus hat auch in unserem Land längst überwunden geglaubte Geister wieder geboren. Unsere IG Metall steht mehr denn je vor der Aufgabe, diese Wiedergeburt des rücksichtslosen Kapitalismus in die Schranken zu weisen und zu zivilisieren. Und die erste und wohl entscheidende Auseinandersetzung darüber findet in den Betrieben statt. Nur dort, wo wir stark an Mitgliedern und standhaften Funktionären sind, werden unsere Werte letztlich Bestand haben.

Man würde Georg, seiner Überzeugung und seinem Handeln nicht gerecht, wenn man sein dezidiertes politisches Engagement unbeachtet ließe. Die auf der 7. Bundesjugendkonferenz der IG Metall im Mai 1965 formulierte Aufforderung: "Wir wollen uns auch künftig an politischen Aktionen und Demonstrationen in unserem Land beteiligen", hat er nicht so daher gesagt. Er hat das gelebt. Das hat ihm auch in der IG Metall nicht nur Freunde eingebracht.

Für meine Generation war er ein glaubwürdiger Mann, obwohl unsere Vorstellungen teilweise über das hinaus gingen, was er bereit war zu vertreten. Drei Themen sind mir gegenwärtig. Zuerst das Engagement gegen die Notstandsgesetze. In der ersten Reihe der Gegner stand Georg Benz. Dann sein entschiedenes Eintreten Ende der 1960er Jahre gegen die Renaissance des Rechtsradikalismus. Und zum Dritten sein unbedingtes Eintreten für den Frieden. Ich will an seine Rede 1981 im Bonner Hofgarten erinnern. Ich war selbst anwesend und meine ahnen zu können, dass Georg zwischen Organisationsloyalität und erlebtem Kriegsleid und daraus erwachsener Überzeugung in diesen Tagen Höllenqualen gelitten hat. Wie hätten wir uns in diesem Zwiespalt entschieden?

Georg hat auf der vorher genannten Jugendkonferenz der IG Metall 1965 in seinem Referat, das den Titel "Friede durch eine bessere Gesellschaft" trug, gesagt: "Ihr Völker, teilt euren Kindern die leidvollen Erfahrungen mit und gebt ihnen Mut, es besser zu machen. Ihr Lehrer, zeigt den Weg des friedlichen mit- und nebeneinander und verbannt endlich die Glorifizierung des Krieges aus den Schulen. Ihr Staatsmänner der Welt, verzichtet auf imperialistische Machtpolitik und verwirklicht die große Sehnsucht der Menschheit, den Frieden."

Georg Benz ist einer der Menschen, die der IG Metall ihr Gesicht gegeben haben: als Gegenmacht zum Kapital, als Organisation, die für Demokratie im Betrieb kämpft, als Organisation, die für die Gleichberechtigung der Arbeit steht, die gegen Rassismus und Nationalismus eintritt und für den Frieden alles zu geben bereit ist. Wir in der IG Metall danken Georg für seinen selbstlosen Einsatz.

Willy Brandt hat als eines seiner Lebensresümees festgehalten: "Jede Zeit verlangt unabdingbar eigene Antworten." Beim Nachsinnen über Schorsch Benz kam mir: Aber dann braucht auch jede Zeit ihre eigenen Persönlichkeiten. Unser verstorbener Freund und Kollege war eine Persönlichkeit seiner Zeit: Gewerkschafter, Demokrat, Sozialist.

Die IG Metall hat ihm viel zu verdanken. Wir denken an ihn mit großer Sympathie und Solidarität.

Berthold Huber ist 2. Vorsitzender der IG Metall.

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