25. September 2010 Otto König / Richard Detje: Gerechtigkeit geht anders

Aktionswochen im Herbst

Die Bundesregierung hat ihr 80 Milliarden-"Sparpaket" auf den Weg gebracht. Statt Banken, Spekulanten und Vermögende an der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zu beteiligen, werden die Kosten der Finanzkrise auf die sozial Schwächeren abgewälzt: Arbeitslose, Hartz IV-Empfänger, Kinder und Familien. Die Wirtschafts- und Finanzkrise wird zu einer weiteren Entsolidarisierung der Gesellschaft genutzt.

Wir brauchen einen Kurswechel!

Was die Bundesregierung "ein ausgewogenes Konzept" zur Konsolidierung der Staatsfinanzen nennt, ist Umverteilung pur: keine Anhebung des Spitzensteuersatzes, keine Reform der Erbschaftssteuer, keine Vermögens- und Finanztransaktionssteuer. "Die Kosten der Finanz- und Wirtschaftskrise werden auf den Schultern der kleinen Leute abgeladen. Restriktive Sparprogramme, Kürzungen der Sozialleistungen, Einschnitte in öffentliche Daseinsvorsorge und das Bildungssystem verschlechtern die Arbeits- und Lebensbedingungen", heißt es im DGB-Aufruf für die Aktionswochen im Herbst.


Gerechtigkeit geht anders

Die Themen und Forderungen sind breit gefächert. Die IG Metall mobilisiert für einen "Kurswechsel für ein gutes Leben", bei dem die Themen "unsoziales Kürzungspaket", "Rente mit 67" und "Leiharbeit" im Vordergrund stehen. Auch für die IG Bau ist die Rücknahme der "Rente mit 67" ein Schwerpunkt. Für ver.di kommen unter dem Motto "Gerecht geht anders" die Themen "Kommunen in Not" und "Ausgestaltung des Gesundheitswesens und dessen Finanzierung" hinzu. GEW und GdP mobilisieren auch gegen die Sparpakete in den Landeshaushalten. Die NGG streitet gegen die Zwei-Klassen-Medizin und damit gegen die skandalöse Kopfpauschale. Die IGBCE protestiert zugleich gegen das Bestreben der EU-Kommission, den deutschen Kohlekompromiss aufzukündigen.

Dennoch wäre es sinnvoll, sich auf zwei oder drei Themen zu konzentrieren. Dazu gehört auf jeden Fall die Verhinderung der Einführung der "Rente mit 67". Sie ist nichts anderes als ein Rentenkürzungsprogramm und verschärft die ohnehin drohende Altersarmut. In den Betrieben ist diese Forderung auf jeden Fall mobilisierungsfähig.

Dass vielen Städten und Gemeinden längst das Geld für die notwendigsten Investitionen fehlt, trifft alle ArbeitnehmerInnen unabhängig von ihrer Organisationszugehörigkeit. Sie sind gleichermaßen von der Schließung öffentlicher Bäder, Jugendzentren, Theater und der Erhöhung der Gebühren für die Straßenreinigung, Kindertagesstätten oder Büchereien betroffen. Eine Gemeindefinanzreform zur Stärkung der Einnahmebasis der Kommunen muss ein gemeinsames Ziel aller Gewerkschaften sein.

Darüber hinaus sind von den Belastungen im Gesundheitsbereich durch den eingeleiteten Systemwechsel – Einfrieren des Arbeitgeberanteils und der schrittweisen Einführung der Kopfpauschale – und die Erhöhung der Zusatzbeiträge alle Arbeitnehmer betroffen. Noch mehr Zwei-Klassen-Medizin? Nicht mit uns, lautet das Aktionsmotto.


"Annahme verweigert": betriebliche Aktionen, öffentlicher Protest

Von Ende September bis zum 13. November rufen der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften zu Aktionen vor Ort, in den Betrieben und Verwaltungen auf. Bewusst haben sie sich für dezentrale Aktionen entschieden. Mit Betriebsversammlungen, Aktionen während der Arbeitszeit und vor den Werkstoren soll der Druck auf die Politik und die Arbeitgeber aufgebaut werden. Stoßrichtung aller Aktivitäten ist die Ablehnung des Sparpakets. So lautet eine der vielfältigen Aktionen: "Annahme verweigert – zurück an den Absender".

In verschiedenen Regionen rufen die Gewerkschaften zu Demonstrationen und Kundgebungen auf: am 6. November in Hannover, am 13. November in Dortmund, Nürnberg und Stuttgart, am 18. November in Kiel. Zuvor findet am 30. Oktober in Hamburg eine "Barkassen-Demo" mit anschließender Großveranstaltung auf dem Fischmarkt statt.

Ein erster Höhepunkt war der 29. September: der europaweite EGB-Aktionstag unter dem Motto "Nein zu Sparmaßnahmen – Vorrang für Beschäftigung und Wachstum". Die deutschen Gewerkschaften beteiligten sich an der zentralen Demonstration in Brüssel. Attac bereitete für diesen Termin einen "Bankenaktionstag" vor.

Obgleich das "Sparpaket" die Kosten der Finanzkrise auf jene abwälzt, die am dringendsten auf soziale Leistungen angewiesen sind, fällt es Arbeitsloseninitiativen, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden schwer, einen starken zivilgesellschaftlichen Protest der unmittelbar Betroffenen zu organisieren. Die Politik eines "strafenden Staates", der die Opfer seiner Politik massiv unter Druck setzt und ins Abseits drängt, zeigt Wirkung. Die Orientierung der Gewerkschaften auf breite gesellschaftliche Bündnisse bleibt gleichwohl wichtig. Strategische Allianzen in der Zivilgesellschaft sind Voraussetzung für einen erfolgreichen Widerstand, der auch über den 13. November hinausreicht.

Otto König ist Vorstandsmitglied der IG Metall; Richard Detje ist Redakteur von Sozialismus.

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