1. November 2008 Christina Ujma

Heißer Herbst und viele Querelen

Wer im Spätsommer und Frühherbst über die zahlreichen Stadt- und Straßenfeste Italiens schlenderte, wähnte sich gelegentlich in einem sehr fortschrittlichen Land, denn es erklang viel linke Musik, die die Freiheit, Avanti popolo und Commandante Che Guevarra beschwor. Wenn die italienische Folkrockgruppe "Modena City Ramblers" von der Revolution singt, dann stimmt ihr in die Hunderttausende gehendes Publikum fröhlich mit ein, und wenn die jüngeren Folkrock Bands den Mangel an Freiheit und gesellschaftsverändernder Utopie beklagen, geht ein begeistertes Seufzen durch die fast noch halbwüchsige Zuhörerschaft.

Erfolgreicher Berlusconi

Kulturell mögen Links- und Alternativbewegung sich weiterhin großer Beliebtheit erfreuen, politisch sieht es für sie eher düster aus. Denn am Ende des milden Herbstes 2008 strahlte Berlusconi mit der Sonne um die Wette. Seine Umfragewerte sind trotz Finanz- und Wirtschaftskrise, diverser peinlicher Auftritte seiner zwischen Post- und Neofaschismus oszillierenden Koalitionspartner von der Alleanza Nationale, marodierender Fußballfans und gewalttätiger Ausländerfeinde einfach glänzend. Er kann zudem damit prahlen, dass er die Probleme, an denen sich die Regierung Prodi die Zähne ausgebissen hat, im Handstreich gelöst hat, womit er die Neapolitanische Müllkrise und die Privatisierung des bankrotten Staatsfliegers Alitalia meint. Während die Regierung dabei ist, das Land in die 1950er Jahre zurückzuführen, hört man von den linken Parteien wenig. Die Gewerkschaften, die im Konflikt um Alitalia gegen Abbau von Personal, ArbeitnehmerInnenrechten und Gehaltseinbußen kämpften, mussten weitgehend ohne Unterstützung der linken Parteien auskommen. Übrig bleibt das hilflose Fluchen der Basis auf Romano Prodi, dessen desaströse Regierungspraxis die WählerInnen Berlusconi in die Arme getrieben habe.

Veltronis PD organisiert den kritischen Diskurs

Während Berlusconi triumphierte, ergaben sich in diesem Frühherbst doch wesentliche politische Entwicklungen auf der Linken, die auch mit der politischen Kultur zu tun haben. Die vor einem Jahr gegründete linksdemokratische PD hat sich nicht zuletzt durch die Selbstdemontage der sozialistischen bzw. kommunistischen Oppositionsparteien faktisch als einzige Kraft der Linken etablieren können, die über starke Mobilisierungsfähigkeit und viel Rückhalt in der Bevölkerung verfügt, was sie auf dem diesjährigen Feste dell’Unita, die in den meisten Regionen heute Festa PD heißen, beweisen konnte. Veltronis Partei hat sich zudem als einzige gesellschaftliche Kraft profiliert, die den politischen und kulturellen Diskurs über Parteigrenzen hinweg organisiert. Die Besucherzahl auf den Hauptfesten in Florenz, Mailand, Rom und Bologna erreichte mühelos eine Million oder mehr. Insgesamt war die Mischung aus etablierter und regionaler Politik, bekannten und weniger bekannten Intellektuellen, nationaler und internationaler, etablierter und junger bzw. marginaler Literatur und Kultur durchaus produktiv. Aus deutscher Sicht beneidenswert, denn weder in der Bundesrepublik noch in Frankreich oder Großbritannien hätten die großen linken Parteien die Fähigkeit oder das Interesse, sich als führende intellektuelle und kulturelle Kraft zu profilieren. Auch die Politiker der sonstigen Linken wie der rechten Parteien nahmen die Einladungen zu den PD-Festen gern an. Als der Kulturminister der Rechtsregierung seine Gastgeber damit erfreuen wollte, Gramsci zum nationalen Kulturerbe zu erklären und ihn fest im Curriculum der Schulen zu etablieren, erntete er allerdings vom Schattenkulturminister der PD wenig Gegenliebe, der mit dem in seinen Augen altmodischen Theo­retiker nichts zu tun haben wollte.

Zerstrittene Linke

Dieser eher anekdotische Zwischenfall macht deutlich, dass die PD bei aller Diskussionsfreudigkeit nur Ausschnitte des ehemals im PCI organisierten Linksspektrums repräsentiert und Gramscis Erbe immer noch verwaist ist. Die potenziellen Erben, die Parteien links von der PD sind zutiefst gespalten. Daran änderte auch die Demonstration des 11. Oktober nichts, bei der Rifondazione, PDCI, Grüne und Sinistra Democratica immerhin 200.000 Leute gegen Berlusconi auf die Straße brachten. Über die durchaus ansehnliche Zahl der Demonstranten haben sich alle sehr gefreut und niemand mochte so recht daran erinnern, dass man vor einem Jahr noch eine Million Menschen mobilisieren konnte. Angesichts der Querelen im Vorfeld ist das Ergebnis durchaus respektabel, zumal die sozialistische Linke und der Vendola-Flügel von Rifondazione auch noch zu den Mitorganisatoren der Demonstration am 25. Oktober gehörten, wo es zusammen mit Veltronis PD gegen Berlusconi ging. Im Gegenzug marschierten einige Protagonisten des linken Flügels der PD auf der Demonstration am 11. Oktober bei den Linkssozialisten mit.

Die Vorgeschichte der Demonstrationen vom 11. Oktober ist charakteristisch für das gegenwärtige Klima in der italienischen Linken, die auch angesichts der Finanzkrise über inhaltliche Allgemeinplätze nicht hinauskommt, aber sich tagelang öffentlichkeitswirksam darüber streiten kann, wer nicht mit wem aufs Podium, bzw. wer nicht Seit an Seit schreiten will. So kam es, dass die Kräfte, die eine Neugründung der Linkspartei anstreben, Claudio Fava, Achille Occhetto von der SD und Nichi Vendola sowie Franco Giordano von der Rifondazione-Minderheit in einem separaten Zug marschierten. Einer der wenigen Gemeinsamkeiten blieb, dass man sich auf der Abschlusskundgebung auf das gemeinsame Singen traditioneller Lieder wie Bella Ciao und Avanti Popolo einigen konnte. Kurioserweise bleiben die Grünen die einzigen, die sich mit allen anderen verstehen, aber aus Unlust am linken Gerangel statt in der Linkspartei vielleicht doch lieber mit Veltronis PD zur Europawahl antreten, der bereit ist, ihnen einen Sitz abzutreten. Die Hoffnungen, dass die Demonstration vom 11. Oktober einen neuen Auftakt zur linken Einheit geben wird, haben sich nicht erfüllt, im Gegenteil. Bertinot­ti wurde ausgepfiffen und der Vendola-Flügel gelegentlich mehr oder minder offen aufgefordert, Rifondazione zu verlassen. Denn prinzipiell wurde am 20. September mit der Unterstützung von Rossana Rossanda, Alberto Asor Rosa, Mario Tronti, Franco Giordano und anderen prominenten Linken die Neugründung einer Linkspartei beschlossen und nach ein paar Tagen hatte sich auch Nichi Vendola zur Unterstützung entschlossen, allerdings vorerst ohne die Mitgliedschaft bei Rifondazione aufzugeben.

Di Pietro gegen Veltroni

Für zusätzliche linke Friktionen sorgt Antonio di Pietro mit seiner Partei Italia di Valori. Der ehemalige Staatsanwalt und wackere Streiter gegen Mafia und Korruption hat sich gleich nach den Wahlen als entschiedener Gegner von Berlusconi profiliert und ist mit zahlreichen Initiativen vorgeprescht, was seinen Bündnispartner Veltroni nicht wenig ärgerte. Statt sich auf linke Querelen einzulassen, macht er unverdrossen Front gegen die korrupten Praktiken der Regierung Berlusconi und hat eine Referendumskampagne gegen das Gesetz Alfano, mit dem sich die Regierung Berlusconi quasi über das Recht stellt, eingeleitet, was bei den anderen Linken auf wenig Gegenliebe gestoßen ist, die das Instrument des Referendums lieber für entscheidendere Fragen aufsparen wollen. Die Referendumskampagne macht beim Sammeln der 500.000 für die Einleitung des Volksbegehrens notwendigen Unterschriften jedenfalls gute Fortschritte und wird auch sonst immer populärer.

So konnte sie es sich leisten, am 11. Oktober quasi in Konkurrenz zu den Linken ebenfalls in Rom zu demonstrieren. Di Pietros Demonstration hatte zwar deutlich weniger Teilnehmer als die der zerstrittenen Linken, aber dafür die attraktivere Kundgebung, auf der neben Anti-Mafia-Initiativen auch Dario Fo sowie zahlreiche Musiker und Künstler vertreten waren, weshalb diverse TeilnehmerInnen der anderen Demonstration dort gern vorbeischauten. Die Parlamentsfraktion von Italia di Valori, die neben zahlreichen linksbürgerlichen Antikorruptionskämpfern auch die wenigen verbliebenen Linken umfasst, profiliert sich im Abgeordnetenhaus deutlich als kleiner, aber aktiver Gegenpol zu Berlusconi. Dieser ist für seine unsauberen Geschäftspraktiken bekannt und hat, ganz in der Tradition der italienischen Rechten, der Mafia gegenüber wenig Berührungsängste, dafür aber ein starkes Interesse daran, die Macht der Staatsanwälte einzudämmen, die immer wieder die Korruption der herrschenden Klasse und deren Mafia-Verstrickungen aufdecken.

Di Pietro wirft der PD vor, sich gegenüber dem organisierten Verbrechen, das in den letzten Jahren viel politisches Terrain zurückerobern konnte, viel zu kompromissbereit zu verhalten. Dies ist ein beständiger Streitpunkt zwischen den beiden verbündeten Parteien gewesen. Ob es klug von Veltroni war, wegen dieser Differenzen die Allianz am 19. Oktober einfach nebenbei in einem Fernsehinterview aufzukündigen, wird nicht nur von seinen linken Parteikollegen bezweifelt. Di Pietro beschuldigte Veltroni im Gegenzug der Kollaboration mit Berlusconi, womit er einen auf der Linken sehr verbreiteten Eindruck in klare Worte fasste. Veltronis Entscheidung stößt auf viel Kritik, denn die PD, die in Meinungsumfragen in dem Maß sinkt wie Italia di Valori steigt, kann kaum auf das Spektrum verzichten, das der kämpferische Ex-Staatsanwalt mobilisieren kann.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass auf der italienischen Linken nun wirklich alle zerstritten sind, zumindest auf nationaler Ebene, aber dass man in den Regionen auch harmonisch für den Machterwerb bzw. -erhalt zusammenarbeiten kann. Dies gilt nicht nur für die PD und Italia di Valori, sondern auch für die PD und die Parteien der zerstrittenen Linken. Denn eines ist klar, ohne Zusammenarbeit könnte man kaum ein Rathaus oder eine regionale Präsidentschaft halten.

Die Basis organisiert den heißen Herbst

Insgesamt eindrucksvoller als die von sektiererischen Streitigkeiten geprägte Großdemonstration der Linken war der Streik bzw. der Aktionstag gegen Kürzungen im Bildungssektor, der am 17. Oktober im ganzen Land stattfand. Flankiert wurden die Aktionen durch Streiks im Gesundheitswesen und in den Bereichen des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, die allesamt massiv durch staatliche Kürzungen betroffen sind. Die Breite und Intensität des Protests, der weitgehend auf gewerkschaftliche Basisinitiativen zurückgeht, überraschte selbst die Organisatoren, wie auch die Tatsache, dass die Teilnehmerzahl an dezentralen Kundgebungen wie an der zentralen Demonstration in Rom die der Linksdemonstration bei Weitem überstieg. Die Mehrheit der Demonstranten und Protestierer waren LehrerInnen, SchülerInnen, Eltern, Studierend, HochschuldozentInnen und BibliothekarInnen. Sie haben gute Gründe für ihren Zorn. Die Sparmaßnahmen im Schul- und Universitätsbereich laufen auf Schulschließungen und ein reduziertes Unterrichtsangebot an Schulen- und Hochschulen sowie eine Verödung der Wissenschaftslandschaft hinaus. Zudem werden sie auch viele bisher noch mit Zeitverträgen angestellte LehrerInnen und ProfessorInnen arbeitslos machen. Dabei ist das italienische Bildungssystem bereits jetzt unterfinanziert, das trifft vor allem die miserabel bezahlten Lehrkräfte. Die Pisaergebnisse, bei denen die italienische Kulturnation regelmäßig mit Bulgarien oder der Türkei um die hinteren Plätze konkurriert, haben italienische Regierungen bislang kaum beeindruckt.

Wider die theoretische Sprachlosigkeit

Angesichts der fortlaufenden Krise der Linken, die so massiv ist, dass weite Teile der politischen Öffentlichkeit des In- und Auslandes Rifondazione, aber auch die Linkspartei bereits abgeschrieben haben, ist es einmal mehr Rossana Rossanda, die versucht, der ermatteten Linken inhaltlich Dampf zu machen. Am Tag der Großdemonstration des 11.10. forderte sie auf der ersten Seite von Il Manifesto die versammelten Linken auf, zur Abwechslung mal etwas anderes als interne Querelen zu diskutieren und die theoretische Sprachlosigkeit durch Wiederbelebung der ehemaligen Paradedisziplinen Wirtschaftstheorie und Kapitalismuskritik zu überwinden. Damit bei der Diskussion auch etwas herauskommt, stellt sie fünf Leitfragen, die gleichzeitig auch auf fünf zentrale strategisch-programmatische Punkte verweisen. Sie betreffen vor allem das Verhältnis zwischen Staat und privatem Sektor. Fast zornig fragt sie, weshalb die Linke ideologisch die Privatisierung von staatlichen Dienstleistungen mehr oder minder mitgetragen hat, warum sie die Steuererleichterungen für große Firmen und Betriebe murrend akzeptiert hat, weshalb sie aufhörte, den Anspruch zu erheben, die arbeitende Bevölkerung zu vertreten und warum es ihr nicht gelungen ist, aus dem wenig innovativen Denkschema der low wage–low skill-Ökonomie auszubrechen. Die politische Aufgabe nach einer Relegitimierung staatlichen wirtschaftlichen Handelns und die Forderung nach einem New Deal hält Rossanda bei entsprechenden europaweiten Initiativen für durchaus erfolgversprechend. Wie immer man das einschätzen mag, zumindest ihr Aufruf zur Diskussion hat sich als erfolgreich erwiesen.

Einmal mehr lässt sich konstatieren, dass die italienische Linke ohne ihre eindruckvolle Garde der Altintellektuellen, die allesamt ihr politisches Handwerk bei den Partisanen und in der Arbeiterbewegung der repressiven 1950er Jahre erlernt haben, theoretisch ähnlich armselig dastehen würde wie die der meisten europäischen Nachbarländer. Einer der farbigsten Repräsentanten dieser Generation, Vittorio Foa, starb am 19.10.2008 im Alter von 98 Jahren. Wie Bruno Trentin entstammt er der legendären Intellektuellenpartei Partito d’Azione und deren Partisanengruppe Giustizia e Liberta. Wie Trentin war er führender Funktionär der CGIL und Generalsekretär der FIOM. Stärker noch als Trentin war er auch als Gewerkschaftspolitiker ein Schriftsteller und Intellektueller, der dem libertären Sozialismus verpflichtet war, weshalb er sich dem PCI nicht anschließen mochte, dafür aber Rossana Rossanda und der Il Manifesto-Gruppe. Nachdem er in den 1970er Jahren in Gruppierungen der neuen Linken aktiv geworden war, ging er in den 1980er Jahren als Unabhängiger für den PCI/PDS in den Senat und wirkte ansonsten als linker Intellektueller. Auf der säkularen Trauerfeier am Sitz der CGIL waren die führenden Politiker sämtlicher linken Parteien und die Gewerkschaftsführer Italiens versammelt.

Wehmütig wurde in den Reden eine Zeit beschworen, in der Arbeiterbewegung und Linke trotz aller Differenzen meist gemeinsam für Arbeiterrechte und Freiheit stritten, während einige Straßen entfernt der Protest der Studierenden und Lehrenden gegen die Kürzungen im Bildungsbereich weiterging, der weitgehend ohne die Unterstützung von Parteien und Gewerkschaften auskommen muss.

Christina Ujma arbeitet als Wissenschaftlerin und Autorin in Berlin. Sie schreibt in Sozialismus regelmäßig über Italien. Zuletzt erschien von ihr in Nr. 9/2008: Am Tiefpunkt. Die italienische Linke nach der Parteitagssaison.

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