1. Mai 2004 Joachim Bischoff

Hoffnung PDS

Michael Schumann, Hochschullehrer an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR, wurde im November 1989 zum Delegierten des Parteitages der SED gewählt. Am 16. Dezember 1989 hielt er das Hauptreferat: "Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System", mit dem die Transformation des reformerisch-kritischen Teils der Einheitspartei in die PDS eröffnet wurde. Michael Schumann wirkte bis zu seinem tödlichen Unfall im Dezember 2000 in der Führungsspitze der PDS und als Abgeordneter im Landtag von Brandenburg.

Wolfram Adolphi hat jetzt eine Auswahl von Reden, Aufsätzen und Entwürfen dieses Intellektuellen und Politikers veröffentlicht und eine kluge, verständnisvolle Einordnung seines politischen Wirkens im Transformationsprozess Ostdeutschlands vorgenommen.[1]

Schumann war selbst überrascht von der ihm zugedachten politischen Rolle: "Nie hätte ich mir träumen lassen, vor über zweieinhalbtausend Delegierten eines SED-Parteitages zu sprechen... Die Aufgabe, die man mir zugedacht hatte, bereitete mir Unbehagen. Ich konnte und wollte keine Rede halten, die andere geschrieben hatten und mit deren Inhalt ich möglicherweise nicht völlig übereinstimmte... und ich fragte mich einen misstrauischen Moment lang, warum die Mitglieder des Arbeitsauschusses mich zum Referenten nominierten und nicht selbst in Erscheinung treten wollten." (95)

Das letztlich gehaltene Referat trug dann auch die Handschrift von Michael Schumann und dieser Prozess führte ihn in die Reihen der bekannteren Politiker der PDS.

Die in dem Band versammelten Texte geben Aufschluss über die programmatisch-theoretische Entwicklung der PDS. Schumann unterscheidet sich von vielen anderen Mitstreitern in dieser überwiegend ostdeutsch geprägten politischen Kultur, dass er nicht das deklarierte Selbstbild ins Zentrum seiner Betrachtungen und Aktivitäten stellt.

"Die 'aufgepflanzte Fahne' einer Partei ist vor allem ein Selbstporträt. Aber sowenig man ein Individuum nach dem beurteilt, was es über sich selbst dünkt, wird man auch eine Partei letztlich nicht danach beurteilen, was sie von sich selbst sagt, sondern danach, was sie tut und kraft ihres Einflusses durchzusetzen in der Lage ist." (106) Es ist einfach zu erkennen, dass sich Schumann hier an einem Hauptsatz der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie orientiert, und in der kreativen Handhabung dieser Erkenntnis wird das herausragende Verständnis eines erneuerten Marxismus deutlich: "Sowenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich dünkt, ebenso wenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihren Bewusstsein beurteilen, sondern muss dieses Bewusstsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens" erklären (Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie).

Viele der in diesem Band aufgenommen Texte verdeutlichen zugleich, dass vermeintlich marxistische Strömungen, Foren, Parteien und Institutionen eben nicht nach dieser Methode der politisch-theoretischen Arbeit verfahren. Ein Großteil der Tragik der PDS besteht eben darin, dass die proklamierte Erneuerung nicht angenommen oder umgesetzt wurde; Schumann wollte sich nicht mit dieser dürftigen Praxis eines vermeintlich demokratisch rein gewaschenen Marxismus-Leninismus zufrieden geben.

Während etliche Mitstreiter in der PDS die xte Nacherzählung eines bolschewisierten Marxismus als Handlungsrichtlinie propagierten, andere sich in dem letztlich geistlosen Pragmatismus des politischen Alltagsgeschäfts wohnlich einrichteten, versuchte Schumann die sozialistische Erneuerung.

Für ihn gab es weder die falsche, weil verlogene Trauer über das Scheitern des Staatssozialismus noch die resignative Unterordnung unter die neoliberale Entfesselung des Kapitalismus.

"Es ist die reale politische Entwicklung des vergangenen Jahrzehnts auf dem europäischen Kontinent, deren Analyse zu der Schlussfolgerung führt, dass die Krise der sozialistischen Bewegung von 1989/91 in die Neuformierung dieser Bewegung münden kann, wenn sie es versteht, die richtigen Lehren aus der Geschichte zu ziehen und davon ausgehend eine neue programmatische und politische Identität zu entwickeln, die sie nicht nur für Minderheiten zum unverzichtbaren Partner für die Durchsetzung grundlegender sozialer, ökologischer und politischer Interessen und Bedürfnisse werden lässt." (177)

Schumann war in diesem Sinne überzeugter Marxist und Sozialist. Für andere Spitzenpolitiker der PDS kann dies sicher nicht gesagt werden; er war für die Erneuerung des kapitalismuskritischen Orientierungsrahmens und die Entwicklung einer politischen Kultur auf der Höhe des 21. Jahrhunderts. Für das Politikverständnis eines erneuerten Sozialismus, so seine Schlussfolgerung, kann als Orientierung gelten: "Es gibt offensichtlich eine falsche Ideologisierung der Politik, wie es eine falsche Entideologisierung gibt." (183) Dies markiert keine einfache Position in einer demokratischen sozialistischen Partei, die einer beständigen Zerreißprobe zwischen entideologisierter Politik und schlechter Ideologisierung des Marxismus ausgesetzt war.

Gibt es eine Zukunft für eine so verstandene Erneuerung in der PDS, d.h. für den Prozess der Entfaltung gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit sozialistisch-marxistisch geprägter Institutionen und Subjekte unter den modernen Bedingungen?

Schumann wusste, dass dies eine Herausforderung ist. Schon 1995 formulierte er: "Die PDS benötigt dringend eine Aktivierung/Reaktivierung ihres intellektuellen Potentials, und auch ein Nachdenken über neue Formen, die es ermöglichen, die theoretische, programmatische und historische Diskussion in der Breite der Partei zu verstetigen, zusammenzufassen und zu konstruktiven Ergebnissen zu führen." (107)

Der Buchtitel "Hoffnung PDS" ist insofern gelungen. Der Herausgeber Adolphi weiß um die Herausforderung: "Das Erbe von Michael Schumann als Aufruf zum Weiterarbeiten zu verstehen, heißt auch, sich klar zu machen, was er nicht geleistet hat... Die Niederlage der PDS bei den Bundestagswahlen im September 2002 hat die Defizite auf diesem Weg in aller Schärfe hervortreten lassen." (31)

Dass dieser Band mit wichtigen Texten endlich erscheint, könnte ja als neuer politischer Frühling gedeutet werden – zumal der alte und neue Vorsitzende der PDS, Bisky, in seinem Geleitwort versichert, dass er bis heute stets verstohlen auf die Plätze schaut, die Schumann im Parteivorstand und im Landtag einzunehmen pflegte.

"Michael Schumann hat seine Auseinandersetzung mit anderen Argumentationen regelmäßig mit Vorschlägen beendet... Da ihm die besonders bei Linken nicht selten denunziative Form der Auseinandersetzung gänzlich fremd war, wurde er nie hämisch. Allerdings trieb ihn die bornierte Einfalt, die Dummheit auf die Palme. Wie er konnten sich nur wenige freuen und ärgern... Sozialisten sollten in ihrem aktuellen Verhalten in der PDS die Kultur einer künftigen solidarischen, sozial gerechten, demokratisch sozialistischen Gesellschaft antizipieren, gewissermaßen als Vorwegnahme der Vision in einer entsolidarisierten Gesellschaft der Ellenbogen. An Michael Schumann liegt es wahrlich nicht, wenn wir uns von dieser Vision eher zu entfernen scheinen als uns ihr zu nähern." (9)

An Schumann liegt es nicht, es liegt an uns. Wer Anregungen für eine Methodik der politischen Arbeit für Marxisten-Sozialisten braucht, hat eine weitere gute Gelegenheit: "Den vorliegenden Band als Arbeitsbuch zu begreifen und zu nutzen, kann ... nur heißen, sich der Methoden des Michael Schumann zu versichern: seiner Analytik, seines Geschichtsbewusstseins und seiner begründeten Hoffnung." (32)

Joachim Bischoff ist Mitherausgeber von Sozialismus.

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