1. März 2008 Christina Ujma

Hoffnungslos, aber nicht ernst

Das neapolitanische Müllchaos und Romano Prodis Senats-Niederlage am 24. Januar 2008 mit dem darauffolgenden Rücktritt ließen bei den deutschen Medien alte Italienklischees wieder aufleben: die Zeit, das Flagschiff des deutschen Bildungsbürgerjournalismus unter Leitung des Deutsch-Italieners Giovanni di Lorenzo, meinte sogar in ihrer Ausgabe vom 17.1.2008, in Italien einen "failing state" ausgemacht zu haben, andere Zeitungen sprachen von Italien am Abgrund, von heillosem Chaos oder einfach von italienischen Verhältnissen.

Randalierende Senatoren sind natürlich ideales Medienfutter, aber angesichts der starken Präsenz deutscher Journalisten vor neapolitanischen Mülltonnen und der geringen Resonanz, die die politischen Kontroversen der Prodi-Regierung in deutschen Zeitungen fanden, wundern sich interessierte LeserInnen schon. Denn bei der Millionendemo im Oktober 2007 oder den Streiks der letzten Monate ging es nicht um exotisch-mafiöses Gebaren, sondern um Wohlbekanntes: um Kürzungen im Sozialbereich, Prekarisierung und zu niedrige Löhne und eine Linke, die nicht bereit war hinzunehmen, dass ihre eigene Regierung dies tolerierte oder beförderte.

Chronik eines angekündigten Abgangs

Es wird gern übersehen, dass über das Ende der Regierung Prodi schon länger spekuliert und von gutinformierten Beobachtern für Februar 2008 prophezeit wurde. Die Vertrauensabstimmung im Senat gestaltete sich dann eher als große Oper denn als Politik, mit Ohnmachten, Tumulten und Abgeordneten am Rande des Nervenzusammenbruchs. Die italienischen Zeitungen bezeichneten es als dramatisch inszenierten politischen Selbstmord auf offener Bühne. Dabei war es bereits die 32. Vertrauensabstimmung des Romano Prodi und es war schon im Vorfeld klar, dass diesmal die Gewinnchancen so schlecht standen, dass selbst Präsident Napoletano Prodi bedrängte, darauf zu verzichten und wie vor einem Jahr einfach zurückzutreten, um dann vielleicht mit der Fortsetzung der Regierungsarbeit beauftragt zu werden. Was aber den drögen Professore, wie Prodi von den Italienern gern genannt wird, dazu bewog, seinen Abgang als Showdown im Senat zu inszenieren, kann nur gemutmaßt werden. Schließlich konnte Prodi selbst in der vorletzten Vertrauensabstimmung den Senat in der Frage des Afghanistaneinsatzes nur gewinnen, weil Altpräsident Cossiga der Regierung zur Hilfe kam, denn auf der Linken konnten nicht alle Senatoren davon überzeugt werden, sich der Bündnisdisziplin zu unterwerfen. Gerade die linken Mitglieder der Regierung standen in einer ständigen Zerreißprobe, den Sozialabbau der Prodi-Regierung mittragen und andererseits ihre Basis zufrieden stellen zu müssen, die zwar heftig Kritik an der Regierung übte, andererseits von den eigenen Regierungsvertretern verlangte, Prodi nicht zu stürzen und damit Berlusconis Rückeroberung der Macht zu verhindern.

Amtsmissbrauch und Korruption

Anders als in Prodis erster Regierungsperiode von 1996-98 waren es diesmal nicht die linken Koalitionspartner, die den Professore stürzten, sondern Clemente Mastella, der Justizminister von der kleinen christdemokratischen Partei UDEUR, der sowieso eine beständige Quelle der Peinlichkeit für die Regierung war, aber auch anzeigt, wie sehr die politische Klasse in Italien runtergekommen ist. Wenn kein einziges der Gesetze, die Silvio Berlusconi zum Schutze seiner selbst und diverser korrupter Kollegen erlassen hat, von der Mitte-Links-Regierung zurückgezogen wurde, liegt das nicht nur am mangelnden politischen Willen der Regierung, sondern auch an Mastella, der bereits vielen Herren gedient hat und im Ruf stand, selber von diesen Gesetzen zu profitieren. Im September 2007 zog er einen Staatsanwalt in seiner Heimatregion Kalabrien ab, der den zahlreichen Bestechlichkeitsvorwürfen gegen Mastella nachging. Nachdem gegen Mastellas Gattin und zahlreiche Parteifreunde Haftbefehl erlassen wurde und auch gegen Mastella wegen des dringenden Verdachts des Amtsmissbrauchs und der Korruption ermittelt wird, war er als Minister nicht mehr zu halten, obwohl die meisten Regierungsmitglieder ihm ihre Unterstützung aussprachen und ihn beschworen, nicht zurückzutreten. Dabei ist das Olivenbaumbündnis Mastella immer wieder weit entgegengekommen, nicht nur in der Tolerierung zweifelhafter Praktiken, sondern auch im Verzicht auf Gesetzesinitiativen, die das Missfallen der kleinen Christdemokratischen UDEUR gefunden hätten. Das eigentlich Bezeichnende für den gegenwärtigen Stand der politischen Kultur Italiens ist, dass Mastella im anstehenden Fall die Solidarität der Regierungskollegen nicht weit genug ging und er keinerlei Anlass sah, wegen der Gesetzesverstöße Reue zu mimen. Im Gegenteil verteidigte er seine Praktiken und verlangte Gleiches von den Regierungskollegen, denen das dann doch zu weit ging, woraufhin Mastella demissionierte, seine Partei aus der Regierung abzog und sogleich Berlusconi andiente, der den Exminister aus seinem ersten Kabinett gerne willkommen hieß.

Wenn Prodi seinen linken Koalitionspartnern gegenüber ähnlich nachgiebig gewesen wäre wie den Rechten, dann wären wohl ein paar mehr Reformen in den 20 Monaten Regierungszeit herausgekommen und die Bevölkerung würde der Linken nicht so desillusioniert gegenüberstehen.

Sozialabbau und neue Bewegung

Mit dem Aufräumen der von Berlusconi hinterlassenen Missstände hat sich die Mitte-Links-Koalition so viel Zeit gelassen, als hätte sie gewusst, dass es sich kaum lohnt, da Berlusconi bald wieder zurück an der Regierung sein wird.

Rossana Rossanda kommentiert, "Prodi ist ein Europa-Technokrat. Er hatte sich ... ganz auf die Sanierung des Haushalts konzentriert und dabei zwei andere wichtige Projekte vernachlässigt: Eine Lösung für den Interessenkonflikt, also die Konzentration von wirtschaftlicher und politischer Macht in Berlusconis Hand, und zweitens ein neues Wahlgesetz. Das jetzige hatte sich Berlusconi auf den Leib geschneidert – seine Koalition schaffte das seinerzeit in drei Tagen. Die Regierung Prodi hat es in anderthalb Jahren nicht geschafft, dieses Problem auch nur anzugehen, obwohl sie eine ausreichende parlamentarische Mehrheit dafür hatte. Demokratie heißt nicht nur Mehrheiten schmieden, sondern sie auch nutzen. Hier hat eine Mitte-Links-Regierung zum zweiten Mal versagt. Sie lernen einfach nichts aus ihren Erfahrungen."[1]

Statt die Geschicke des Landes zu lenken, waren die Regierungsparteien fast ein Jahr lang damit beschäftigt, das Parteiensystem umzubauen, was in der Vereinigung der DS und der linken Christdemokraten zur Demokratischen Partei PD resultierte.[2] Während die eigenen Anhänger mit Primaries/Vorwahlen in amerikanischem Stil in Atem gehalten wurden, gingen die verbliebenen Linken gegen Sozialabbau und Privatisierung auf die Straße. Für Maßnahmen wie diese fand die Regierung dann doch einmal Zeit, genau wie für die Sanierung des von Berlusconi gebeutelten Staatshaushaltes, während der unter Berlusconi forcierte Abbau der Sozialsysteme und die massenhafte Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen unangetastet blieben. Immerhin ist durch Prodis Rücktritt die Privatisierung des dauerdefizitären Staatsfliegers Alitalia einmal mehr verschoben worden.

Mehrheitsfähig war diese Politik kaum, man kann Prodi sogar zugute halten, dass seine Regierung der Militanz und Kampfbereitschaft der Arbeiterbewegung sowie der Linken ungemein auf die Sprünge geholfen hat. Seit der Millionendemo am 20. Oktober 2007 gab es kaum eine Woche ohne Riesendemo oder Streik; die Eisenbahner, die Metallarbeiter, Hafenarbeiter, LKW-Fahrer, das Flughafenpersonal und Teile des öffentlichen Dienstes traten in den Ausstand. Mit seinem Rücktritt kam Prodi einem weiteren Generalstreik am 28. Januar zuvor. Die Probleme stellen sich angesichts sinkender Reallöhne und steigender Lebenshaltungskosten ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland dar, was breitere Teile der italienischen Bevölkerung zur politischen Aktion motivierte. Interessanterweise ist diese Widerstandsbewegung ziemlich unkoordiniert, da die linken Parteien wegen ihrer Beteiligung an der Regierung zumindest formal zur Protestabstinenz gezwungen waren. Dies wurde natürlich nicht strikt eingehalten, aber insgesamt gab es kein organisatorisches Zentrum der Bewegung. In diese Bresche sind teilweise die Linkszeitung Il Manifesto gesprungen, die die Millionendemo vom Oktober maßgeblich mitorganisiert hatte, aber auch Teile der Gewerkschaft CGIL, deren Führung allerdings genauso zur politischen Zurückhaltung gezwungen ist wie Rifondazione.

Auch wenn es momentan auf der Linken keiner laut sagen mag, die Mitte-Links-Regierung blieb nur deshalb im Amt, weil es Berlusconi zu verhindern galt und man nicht zum Sündenbock für Prodis erneutes Scheitern werden wollte.

Wahlrechtskapriolen

Auf die Dauer kann man aber weder mit Vertrauensfragen, Rücktrittsdrohungen und dergleichen Politik machen, das musste auch Prodi einsehen. In den deutschen Zeitungen war oft zu lesen, das Wahlrecht, welches in einer Parteienzersplitterung resultierte, sei an dem Debakel schuld. Natürlich war das 2005 von Berlusconi eingeführte Wahlrecht die Rache an seinen potenziellen Nachfolgern und natürlich haben die kleinen Parteien das Regieren für Prodi mühsam gemacht. Andererseits war das Wahlrecht aber auch Erpressungsmittel gegen die kleinen Parteien, denn wenn die nicht brav waren, wurde mit der Einführung eines französischen oder englischen Wahlrechts gedroht und im Falle des Wohlverhaltens gab es dann eine Rückkehr zur Reform nach deutschem Vorbild, bei dem die Fünfprozenthürde durch Bündnisse überwunden werden könnte. Angesichts dieser Drohkulisse haben die kleinen Parteien jeglicher Couleur schon lange mit der Idee gespielt, die Koalition platzen zu lassen, denn sofortige Neuwahlen würden nach dem alten, die kleinen Parteien begünstigenden Wahlrecht stattfinden. Diese Wahlrechtsquerelen waren sicherlich auch ausschlaggebend für den Koalitionsbruch durch Mastellas Kleinpartei UDEUR, wie auch die Tatsache, dass Walter Veltroni, frischgekürter Chef der neuformierten Demokratischen Partei, vor kurzem das Olivenbaumbündnis aufkündigte und kundtat, die Demokratische Partei werde zukünftige Wahlkandidaturen ohne Partner bestreiten.

Die italienischen Medien kritisieren jedenfalls mittlerweile Prodis Schuldzuweisung ans Wahlrecht und die kleinen Parteien, die er für das Scheitern der Regierung und die Untätigkeit seiner Koalition verantwortlich macht. Vergegenwärtigt man sich aber, dass die Mitte-Links-Koalition im Frühjahr 2006 nur äußerst knapp, nämlich mit 25.000 Stimmen Vorsprung die Wahlen gewonnen hatte, dann wird deutlich, dass jedes Wahlrecht, das die Stimmung der Bevölkerung adäquat wiederspiegelt, knappe und wacklige Mehrheiten produziert hätte. Ob es mit einem Mehrheitswahlrecht zu schöneren Ergebnissen gekommen wäre, sei dahingestellt, denn das durch ein Referendum 1994 eingeführte Mehrheitswahlrecht mit Elementen des Verhältniswahlrechts hat nur eine stabile Regierung produziert und das war Berlusconis zweite Amtszeit von 2001-2006.

Das Land ist nun einmal zutiefst zwischen Rechts und Links gespalten und Mitte-Links ist nur sehr bedingt mehrheitsfähig; Prodis Politik tat jedenfalls wenig, um Mehrheiten in der Bevölkerung zu gewinnen, eher im Gegenteil. Die Regierung ist zum Schluss so unbeliebt gewesen, dass Präsident Napoletano krampfhaft versuchte, Neuwahlen herauszuzögern. Senatspräsident Marini zu beauftragen, eine Regierung der tecnici, der Fachleute, zu bilden, gehörte zu dieser Verzögerungstaktik, denn Oppositionsführer Berlusconi möchte gern von der herrschenden Unzufriedenheit profitieren, die Linken dagegen hoffen auf das kurze Gedächtnis der Bevölkerung und darauf, dass vielleicht wieder eine Anti-Berlusconi-Stimmung entsteht, die die Niederlage glimpflicher ausfallen lassen würde, als derzeit von den Demoskopen prophezeit.

Erste oder dritte Republik?

Der mit der Bildung einer Übergangsregierung gescheiterte Senatspräsident Marini (PD) ist ehemaliger Vorsitzender der christlichen Gewerkschaft CISL. Er galt als Verhandlungsgenie, eine Fähigkeit, die er in der untergegangenen ersten Republik erlernte, als seine Partei, die Democrazia Christiana, die Regierungen dominierte und es verstand, über ein System der Gratifikationen und Postenvergabe politische Konflikte zu befrieden bzw. unter den Teppich zu kehren. Als in den 1980er Jahren die christdemokratische Vorherrschaft aufgeweicht wurde und die verbündeten Sozialisten Bettino Craxis eine immer wichtigere und gierigere Rolle bekamen, uferte die Korruption aus und das Ancien Régime wurde Anfang der 1990er Jahre durch mani puliti, die engagierten jungen Staatsanwälte und Richter, die sich gegen bestechliche Politiker vorzugehen trauten, weggefegt. Es gab eine Art Neuanfang, die Tangentopoliparteien Democrazia Christiana und Sozialisten verschwan­den sang- und klanglos von der politischen Bühne, aber die Rechte formierte sich unter Berlusconi wieder schneller, als die Erneuerungsbemühungen Fuß fassen konnten. Trotzdem, die so genannte zweite Republik schien gelegentlich einen korrekteren Politikstil zu verkörpern, wozu in erster Linie die diversen Mitte-Links-Regierungen von 1996-2001 beitrugen. Die neue politische Kultur manifestierte sich aber vor allem in den Städten, die von den populären progressiven Bürgermeistern regiert wurden. Antonio Bassolino in Neapel, Leoluca Orlando in Palermo, Rutelli/Veltroni in Rom und Massimo Cacciari in Venedig zeigten, dass eine nicht mafiöse bzw. nicht verfilzte progressive, städtische Politik auch in Italien erfolgreich sein und das Leben der Bevölkerung wirklich verbessern kann.

Insgesamt scheint von dem damaligen Aufbruch aber wenig übriggeblieben zu sein, die Müllkrise in Neapel und der Fall Mastella machen den Eindruck, als sei die dritte Republik, von der nach Berlusconis jüngsten Änderung des Wahlrechtes gelegentlich gesprochen wird, ganz die alte bzw. die erste, wozu natürlich vor allem die zweite Regierungszeit Berlusconis beitrug. Prodis Mitte-Links-Regierung, die zwar von einer neuen Kultur der Legalität schwadronierte, aber den Worten höchstens dann Taten folgen ließ, wenn es darum ging, illegale Roma und Rumänen des Landes zu verweisen, hat ihren Wählerauftrag nicht erfüllt. Sie hat nicht mit den Missständen der Berlusconi-Ära aufgeräumt, sondern sich darauf konzentriert, den Haushalt zu sanieren, wovon jetzt vermutlich Berlusconi profitierten wird. Damit hat sie besonders in der linken Wählerschaft Zynismus und Politikverdrossenheit befördert und Vorschub geleistet für Beppe Grillos populistische Kampagne gegen korrupte Politiker und eine politische Klasse – politische Kaste nennt er sie –, die sich allzu gern darauf beschränkt, die eigene Kasse oder die eigenen Leute zu versorgen. Sein Ärger gilt der überreich mit Privilegien ausgestatteten Politikerzunft, die den Leuten Wasser predigt, aber selbst gern Wein und Exklusiveres konsumiert. Deshalb hassen die etablierten italienischen Politiker Grillos schrilles Politik- und Protestspektakel ebenso sehr, wie die ausländischen Medien es lieben. Die primär dem progressiven Lager zuzurechnende Anhängerschaft Grillos, genauso wie die zahlreichen Streiks und Proteste gegen den Sozialabbau der Prodi-Regierung zeugen insgesamt von einer politisch wachen und mobilisierungsfähigen linken Basis, die sich schon lange nicht mehr auf ihre parteipolitischen Vertreter verlassen mag.

Das gesellschaftliche und politische Klima in Italien ist aufgeheizt und aggressiv, das zeigt sich auch im beginnenden Wahlkampf, in dem die linken Parteien sich lieber gegenseitig angiften als die Rechten zu attackieren. Die katholische Kirche mischt sich zugunsten der Rechtsparteien so massiv in die italienische Politik ein, wie seit den längst vergangen geglaubten Zeiten der ersten Republik nicht mehr. Es mag sich aber auch als Fehler erweisen, dass die katholischen Oberhirten versuchen, die rechten Parteien vor den Karren ihrer dumpfen Kampagne gegen die Abtreibung zu spannen. Denn seit dem spektakulären Referendum, in dem die Italiener 1979 gegen den Willen der katholischen Kirche und fast aller Parteien mehrheitlich für eine Legalisierung der Abtreibung stimmten, ist das Thema ein heißes Eisen, an dem sich schon diverse Politker die Finger verbrannt haben. So auch unlängst Berlusconi, der versuchte, das Thema Abtreibung in den Wahlkampf zu bringen, aber nach den Demonstrationen am 14. Februar, in denen viele Frauen und einige Männer in diversen italienischen Städten für das Recht auf Abtreibung demonstrierten, anfing zurückzurudern, was ihm aber wenig half, denn seine Umfragewerte gingen prompt in den Keller. Angesichts der Wut, die auf diesen spontanen Demonstrationen anlässlich eines polizeilichen Übergriffs auf eine Krankenhausabtreibung in Neapel zum Ausdruck kam, stellt sich die dringende Frage, welche politische Kraft es schaffen könnte, den angestauten Frust im linken Lager angemessen in Politik umzusetzen.

Ob sich bei den Wahlen die progressiven WählerInnen trotz der entäuschenden Amtszeit der Regierung Prodi von den allesamt neuformierten politischen Kräften ihres Lagers überzeugen lassen, d.h. von der entsozialdemokratisierten Demokratischen Partei Walter Veltronis oder dem neuen Linksparteienbündnis aus Rifondazione, der demokratischen Linken, den linkssozialdemokratischen Überbleibseln der DS, den Grünen und einer weiteren neokommunistischen Kleinstpartei, bleibt abzuwarten. Angesichts der Schärfe der Klassenkämpfe und Auseinandersetzungen der letzten Monate wirkt Walter Veltronis Versuch, Barack Obama und seine Slogans zu imitieren und ansonsten eine dümmliche Show abzuziehen, die mit Steuersenkungen, Primaries und vollkommen unangebrachtem Optimismus zu überzeugen versucht, recht deplaziert. Die Übernahme von Obamas Slogan "Yes, we can!" provoziert bei Zuschauern wie bei Medien die Rückfrage, was man eigentlich könne, regieren doch wohl eher nicht.

Die neugegründete Linksformation setzt sich deutlicher von der alten Regierung ab, kann sich aber erwartungsgemäß auf wenig einigen, noch nicht einmal auf einen Namen. So firmiert sie gegenwärtig unter La Cosa Rossa, Arcobaleano oder La Sinistra und streitet sich ganz fürchterlich darüber, ob man Hammer und Sichel weiterhin im Emblem haben darf oder nicht. So verwundert es wenig, dass der ehemalige Generalsekretär/Vorsitzender der DS Achille Occhetto, der jetzt wegen seiner Mitgliedschaft bei der demokratischen Linken zum Linksparteienbündnis gehört, sich öffentlichkeitswirksam darüber Sorgen macht, dass es in Italien keine moderne demokratische Linke gibt, die es schaffen könnte, die Lücke zu schließen, die die Entsozialdemokratisierung der DS hin zur Demokratischen Partei auf der Linken gerissen hat.[3] Occhettos Nachfolger im Amt des Vorsitzenden der DS, Massimo D’Alema, attackiert dagegen seinen Nachfoger Walter Veltroni, den jetzigen Vorsitzenden der Demokratischen Partei, der diesmal ohne Parteienbündnis in den Wahlkampf ziehen will und damit signalisiert, dass es ihm weniger um den Wahlsieg als um die Etablierung seiner neuen Partei geht, denn das geltende Wahlrecht sieht nun einmal einen Bonus für die stärkste Partei vor. Ohne diesen Bonus aber tendieren die geringen Chancen von PD und Linker, unter günstigen Bedingungen doch wieder irgendeinen Einfluss auf die nächste Regierung zu haben, gegen Null.[4] Die Lage ist einmal wieder reichlich verworren und verzwickt, oder wie man in der ersten Republik sagte, hoffungslos, aber nicht ernst, denn die italienische Linke ist schon aus anderen Sackgassen halbwegs unbeschadet wieder herausgekommen, nicht zuletzt wegen der ungebrochenen oppositionellen Energie ihrer leidgeprüften Anhänger.

Christina Ujma arbeitet seit 1994 als Hochschuldozentin am Department of European and International Studies an der Loughborough University, GB. Zu Italien erschienen von ihr zuletzt in Sozialismus: Widerständig, elegant und intellektuell. Rossana Rossandas Lebenserinnerungen auf Deutsch (1/2008).

[1] Tagesspiegel, 12.2.2008.
[2] Christina Ujma, Gramscis verschleudertes Erbe – Die italienische Linke im Prozess der Neuformierung, in: Sozialismus 10/2007, S. 58/59.
[3] Il PD vira a destra ma in Italia manca una vera sinistra, Il Giornale, 6.2.2008.
[4] Nicht nur Rossana Rossanda sieht darin einen finsteren Plan zur späteren Koalition mit der Rechten, wenn sie sagt: "…(Veltroni) möchte bei der vorgezogenen Neuwahl im April allein antreten, ohne die kleinen linken Parteien. Er will sich von jedem Schatten linker Ziele befreien. So wird er diese Wahl zwar verlieren, denn das herrschende Wahlgesetz belohnt Koalitionen. Aber er macht sich dadurch akzeptabel für spätere Bündnisse mit der rechten Mitte." Tagesspiegel, 12.2.2008.

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