1. Februar 2000 Joachim Bischoff

Internet-Wirtschaft oder Monopolherrschaft?

Unternehmen sind zu einer Handelsware geworden, sie werden gekauft, umgebaut, ausgeplündert oder veredelt und weiterverkauft. Die so genannten Mega-Fusionen bestimmen die Schlagzeilen. Das Übernahmeangebot von Vodafone an die Aktionäre von Mannesmann ist die bislang teuerste Verschmelzungsoperation: Transaktionsvolumen 240 Mrd. DM. Hierbei handelt es sich um ein feindliches Angebot, das vom Mannesmann-Management abgelehnt wird. Der Kampf um die Entscheidung der Aktionäre (Eigentümer) wird vor einem breiteren Publikum ausgetragen und eröffnet einen Einblick in das Fusions-Geschäft.

Rund 400 Millionen Dollar investieren der Käufer (Vodafone) und das Objekt der Begierde (Mannesmann) in die Öffentlichkeitsarbeit, um den Deal zustande zu bringen bzw. abzuwehren. Der Großteil der deutschen Privatanleger und ein Teil der ausländischen Aktionäre von Mannesmann ist von den Vorteilen dieser Kapitalverschmelzung nicht überzeugt und traut dem Mannesmann-Konzern eine noch profitablere Geschäftsstrategie zu.

Das weltweite Fusionskarussell, das schon im vergangenen Jahr mit hoher Geschwindigkeit kreiste, wird in diesem Jahr ganz offensichtlich noch weiter beschleunigt. Mit der geplanten Mega-Fusion zwischen AOL und Time Warner – geschätzter Börsenwert 350 Mrd. Dollar – ist nicht nur ein neuer Rekord bei den Transaktionen der Unternehmenswerte in Sicht, sondern eine »Zeitwende« (Spiegel) markiert: »Die Ära der Internet-Wirtschaft hat begonnen. Es ist eine ganz neue Ökonomie mit eigenen Gesetzen – und tiefgreifenden Folgen für alle.« [1] Die Internet-Wirtschaft gibt es seit längerem. Gemeint ist damit: Die Zukunftsmärkte wie Internet-Telekommunikation, Finanzdienstleistungen, Energie, Pharmazie etc. fusionieren zu unvorstellbar großen Einheiten, indem sie nationale und kontinentale Grenzen überschreiten. Die Telekommunikation hat die Führung übernommen; bei einem Umsatz von über 30 Mrd. Dollar wird mit einem Börsenwert von über 300 Mrd. Dollar gerechnet.

Die Goldgräber-Stimmung an den Wertpapierbörsen wird von den Internet- und Telekommunikationsunternehmen genährt. Nach Angaben von Goldman Sachs werden Aktien des Bereiches »moderne Technologien« weltweit mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 68 gehandelt – also der Gewinn von 1999 wird mit dem Faktor 68 multipliziert. Solche Bewertungen unterstellen, dass in den nächsten Jahren weiterhin extrem hohe Gewinne im Bereich von Telekommunikation/Internet erwirtschaftet werden müssen, um die Börsenkapitalisierung dieser Firmen zu erhalten.

Die geplante Verschmelzung eines Internet-Unternehmens wie AOL mit einem Giganten aus der Medien- und Kulturindustrie setzt Horrorphantasien frei: »Die kapitalistische Welt durchläuft derzeit einen tiefgreifenden Wandel. Über Hunderte von Jahren haben wir die natürlichen Ressourcen der Erde in Dinge verwandelt; und plötzlich produziert man Reichtum, indem man kulturelle Ressourcen in kommerzielle Unterhaltung verwandelt. Die Fusion von AOL und Time Warner unterstreicht noch einmal, dass eine neue Art von Hyperkapitalismus entsteht, der auf einer tiefgreifenden Veränderung des menschlichen Zeitempfindens basiert. ... eine solche umfassende Kontrolle menschlicher Kommunikation hat es in der Geschichte noch nie gegeben... Wenn die Kultur völlig in der Wirtschaft verschwindet, dann hält nur der Kommerz noch die Gesellschaft zusammen. Die Frage ist aber, ob die Zivilisation dann überhaupt noch existieren kann.« [2]

Rifkin warnt vor einem Hyperkapitalismus, in dem monopolistische Medienunternehmen eine Standardisierung der Erfahrungen und eine Nivellierung der kulturellen Besonderheiten hervorbringen. Doch auch diese These von der drohenden Zersetzung von Kultur und Zivilisation ist nicht plausibler als frühere kulturkritische Ansätze. Zu oft schon ist der Untergang der Zivilisation als Konsequenz moderner Technologie und Veränderungen der Sozialstruktur behauptet worden. Das Gefährdungspotenzial durch Trivialunterhaltung ist nicht höher als durch das Fernsehen und Video. Anders steht es allerdings mit den Fragen nach der ökonomischen Dimension: Was hat diese historisch einzigartige Welle an Unternehmensfusionen ausgelöst, welche Veränderungen schließt diese enorme Zusammenballung wirtschaftlicher Macht ein und kann die Politik (bzw. können die öffentlichen Selbstverwaltungsgremien) in den kapitalistischen Metropolen überhaupt noch die Kontrolle dieser ökonomischen Einheiten beanspruchen?

Das globale Fusionskarussell

Für 1999 wird der Unternehmensmarkt (Mergers & Acquisitions) weltweit auf 2700 bis 3000 Mrd. Dollar geschätzt (1998: 2100 $). Das zentrale Feld für den Umbau der Unternehmensnetze sind die USA. Dort ist knapp die Hälfte aller Arbeitsplätze von Fusionen und Unternehmenskäufen betroffen. In Deutschland wurden im zurückliegenden Jahr ca. 500 Mrd. DM in Fusionen und Kapitalbeteiligung gesteckt; auch der Unternehmensbereich in Japan hat deutlich zu dem Weltmarktführer aufgeschlossen.

Die Verschmelzung von Unternehmen ist eine ständige Begleiterscheinung des Kapitalismus, wenngleich die Dimensionen, bezogen auf das jeweilige gesamtgesellschaftliche Produkt oder den Wert der Unternehmen insgesamt, höchst unterschiedlich ausfallen. Eine mit der heutigen vergleichbar mächtige Fusionswelle, die rund 10% des gesamten Bruttoinlandsprodukts der Welt erreichte, ereignete sich vor 100 Jahren in den USA. Damals wurde vor dramatischen Preisverzerrungen und monopolistischer Bereicherung gewarnt. »Allein die jüngsten Fusionen haben ein Ausmaß angenommen, das alle, die diese Entwicklung mitverfolgt haben, alarmieren muss.« [3] Hintergrund dieser Fusionswelle waren nach einer längeren Depressionsperiode einschneidende technologische Umwälzungen und die beginnende wissenschaftlich angeleitete Organisation des Produktions- und Wertschöpfungsprozesses. Die Furcht vor marktbeherrschenden Unternehmen war damals darin begründet, dass in einzelnen Branchen Marktanteile zwischen 40-70% erreicht wurden. Solche Größenordnungen sind heute die Ausnahme. Zwar wird vor allem von Anhängern der marxistischen Monopoltheorie vor einer bevorstehenden Umverteilungspolitik durch monopolistische Preisfestsetzungen gewarnt, aber die Zentralisationsbewegung des Kapitals ordnet sich heute in eine Phase verschärften Kapitalwettbewerbs ein. Sowohl für die wichtigsten Branchen als auch in der Gesamtwirtschaft der kapitalistischen Hauptländer ist eine Verzerrung der Preis- und Verteilungsstrukturen nicht auszumachen. Auf der Weltmarktebene sind die Marktanteile von Großunternehmen keineswegs beängstigend. In dem wichtigsten Fall, wo nach Einschätzung der US-Justizbehörde wettbewerbspolitische Schieflagen vorliegen – bei dem Softwareunternehmen Microsoft – basiert diese Marktstellung nicht auf einem Verschmelzungsprozess zu einem Kartell.

Vertreter der Monopoltheorie sprechen von einem »gravierenden Einschnitt in der Entwicklung des Kapitalismus« und sehen das Zeitalter der »Supermonopole« heraufziehen. »Sie drängen verstärkt Politik, Staaten und Staatengemeinschaften unter ihr Diktat. Aus der Sicht der marxistischen Monopoltheorie, die das Monopol als das heute charakteristische, entsprechend neuen historischen Bedingungen weiterentwickelte Kapitalverhältnis versteht und keineswegs nur als eine Organisationsform von Großunternehmen, ist es daher nicht nur wichtig, neue Tendenzen in den materiellen Produktionsbedingungen zu analysieren, sondern die für heute gültigen Kriterien des Monopols sichtbar zu machen, die die Machtansprüche der großen Konzerne in der Welt bedingen. Es geht mit diesem Schub in der internationalen Kapitalkonzentration um eine neue Entwicklungsstufe des kapitalistischen Eigentums dergestalt, dass die Großkonzerne mit den Veränderungen in den Strukturen des Monopols alle anderen Eigentümer in ihren Profit- und Einkommensansprüchen beschneiden.« [4]

Seit einem Jahrhundert rufen die Vertreter der Monopoltheorie den Untergang der kapitalistischen Konkurrenz, die Vorherrschaft des Monopolprofits und damit Preisverzerrungen aus, die die gesamtgesellschaftliche Warenzirkulation und die Proportionierung der Einkommens- und Wertschöpfungskreisläufe zerstören müssten. Die Zentralisation des Kapitals hat im 20. Jahrhundert die Unternehmensnetze in den kapitalistischen Hauptländern – in den USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Japan – gewiss grundlegend verändert. »In diesen fünf Staaten, die Anfang des Jahrhunderts die Weltwirtschaft beherrschten, sind auch heute noch 90 Prozent der 200 größten Konzerne der Welt ansässig. Diese 200 Mega-Unternehmen decken die Gesamtheit aller menschlichen Aktivitäten ab, von der Industrie zu den Banken, vom Groß- zum Detailhandel, von der extensiven Landwirtschaft bis zur letzten – legalen oder illegalen – Nische in der Finanzdienstleistungsbranche.« [5] Diese Unternehmen sind ökonomisch und politisch mächtiger denn je, aber eine Tendenz zum Supermonopol und zur Aushebelung der konkurrenzförmigen Regulierung und Profitsteuerung ist nicht zu erkennen.

Der Motor des Fusionskarussells

Die außerordentlich starke Fusionswelle im Übergang ins 21. Jahrhundert spielt sich grenzüberschreitend vor allem im Bereich des Wirtschaftsraumes der Triade ab. Wenn es auch in vielen deutschen Unternehmen wie auf einer Großbaustelle zugeht – Konzentration und Ausweitung des Kerngeschäftes, Aufwertung von zukunftsträchtigen Geschäftsfeldern, Abstoßen von Verlustsektoren –, dann sind dafür drei Gründe verantwortlich.

Erstens die Ausrichtung auf einen gemeinsamen Markt- und Produktionsraum in Europa. Ein Vergleich auf der Ebene der Industriestruktur kann das Restrukturierungspotenzial andeuten: Bei der Herstellung von Industriebatterien zählen wir in den USA 5 Hersteller, in Europa sind es noch 47 Unternehmen. »Landwirtschaftmaschinen mit 124 Unternehmen in Europa, aber nur 14 in den USA, Haushaltsapparate mit 297 Firmen in Europa, aber nur 19 in den USA.« [6] Wir sind also noch längst nicht am Ende des Zentralisationsprozesses. In Europa sorgt die Wirtschafts- und Währungsunion – neben anderen Faktoren – für das Treibhausklima, in dem die Umgruppierung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals beschleunigt vonstatten geht. »Wer vom Euro spricht, denkt in erster Linie an die Folgen für die Industrie. Dank der Schaffung einer Einheitswährung wird in Europa, dem zweitgrößten Wirtschaftsraum der Welt, die Planungssicherheit für die Industrieunternehmen zunehmen und eine Konzentration auf wenige Standorte erlauben. Nicht alle Unternehmen werden den härteren Wettbewerb im Alleingang bewältigen können. Unternehmenszusammenschlüsse und Akquisitionen sowie Ausgliederungen von Unternehmensteilen werden deshalb in der europäischen Industrie massiv zunehmen.« [7] Der Wettbewerbsdruck zwingt europäischen Unternehmen eine Transformation auf. Die Ära des Euros bewirkt neben einem weiteren Anstieg von Unternehmenskonkursen auch eine Beschleunigung des Fusionskarussells.

Zweitens: Mit der großen Fusionswelle zu Beginn der fordistischen Betriebsweise (1895-1904) hat der aktuelle Zentralisationsprozess gemeinsam, dass die Umbruchprozesse in den technologisch-organisatorischen Strukturen des Wertschöpfungs- und Verwertungsprozesses noch nicht abgeschlossen sind. Zwar ist die Informations- und Kommunikationstechnologie zum Schlüsselbereich oder zum Leitsektor für die Verschlankung der Wertschöpfungskette und den Re-engeneeringsprozess der gesamten Wirtschaft geworden. Aber es zeichnet sich weder ein neues industrielles Paradigma noch ein neues Akkumulationsregime ab.

Die Heftigkeit des aktuellen Konkurrenzkampfes erklärt sich zu großen Teilen aus der chronischen Überakkumulation. Es ist so, dass »ein Teil des Kapitals ganz oder teilweise brachliegt, weil es erst das schon fungierende Kapital aus seiner Position verdrängen muss, um sich überhaupt zu verwerten, und der andre Teil durch den Druck des unbeschäftigten oder halbbeschäftigten Kapitals sich zu niederer Rate des Profits verwertet.« [8] Diese Brachlegung und relative Entwertung von Teilen des Gesamtkapitals ist ein wichtiger Begleitumstand des Konkurrenzkampfes und der Zentralisation des Kapitals.

Drittens: Neben den betriebswirtschaftlichen Skalenvorteilen durch eine Vergrößerung von Produktion und Absatz und einer geringeren Belastung der Warenpreise infolge einer Erhöhung des Kapital- und Forschungsaufwandes spielt die erzwungene Erhöhung der Eigenkapitalrenditen eine zentrale Rolle. Die Unternehmen in der kapitalistischen Triade finanzieren sich immer weniger durch Bankkredite, sondern durch Operationen auf den Kapitalmärkten. Bestandteile dieser Verschiebung ist eine Veränderung der Machtstrukturen im Unternehmen (corporate governance). Die Vertreter von Investoren und Aktionären fordern höhere Renditen, was die Restrukturierung der Geschäftsfelder, die Verschlankung des betrieblichen Wertschöpfungsprozesses und die Ausrichtung auf wenige Kernaktivitäten vorantreibt. Daher ergibt sich auch aus der Shareholder value-Orientierung eine massive Tendenz zur Restrukturierung von Unternehmensnetzen. Die Übernahmen und Fusionen orientieren sich auf jene Leistungsbereiche, in denen eine überdurchschnittliche Verwertungsposition gegeben ist.

Durch den zunehmenden Erfolgsdruck auf den Kapital- und Vermögensmärkten wird der Aktienwert (Shareholder value) zum wichtigsten Entscheidungskriterium für den Umbau der Unternehmensnetze. »Mit dem Ziel eines möglichst hohen Aktienkurses orientieren sich die Unternehmensentscheidungen am Interesse eines abstrakten künftigen Aktionärs, dem die Beteiligung an diesem Unternehmen möglichst schmackhaft gemacht werden soll. Das ist der Kern des heute so genannten Shareholder value-Prinzips.« [9] So konzentrierte sich z.B. der breit diversifizierte Chemiekonzern Hoechst unter dem Druck der Aktionärs- und Investorinteressen im Laufe der 90er Jahre auf die Geschäftsbereiche Landwirtschaft und Pharma (life science). Die Zahl der im Konzern Beschäftigten wurde von 177.000 Ende 1991 auf knapp 97.000 Ende 1998 abgeschmolzen. 1999 wurden diese Kerngeschäftsfelder mit dem französischen Konzern Rhone-Poulenc verschmolzen – die Aktionäre sind hoch zufrieden, Hoechst verschwindet aus der Unternehmenslandschaft, die Beschäftigten wurden an diesem Umbau nicht beteiligt. [10]

Schlussfolgerungen

Bei Mannesmann geht es darum, den Umbau des Unternehmensnetzes zu vervollständigen. Mannesmann ist zu Beginn des fordistischen Zeitalters mit der Röhrenproduktion auf einer eigenen Stahlbasis groß geworden. Noch 1970 machte der Röhrenstahlbereich über 77% des Umsatzes aus. Zur Zeit macht der Röhrenbereich weniger als 10% des Umsatzes aus und – gleich wie die Aufforderung zum Aktientausch ausgeht – dieses verlustbringende Geschäftsfeld wird abgestoßen werden. Die Bereiche Automotive (29% vom Umsatz) und Engineering (35%) werden als selbständige Unternehmen an die Börse gebracht, also auch verkauft. Die große Auseinandersetzung dreht sich um das Geschäftsfeld Telecommunication mit 27.000 Beschäftigten, wo zwei Drittel des gesamten Unternehmensgewinns erwirtschaftet werden. Die Medienkampagne von Vodaphone richtet sich an die entscheidenden Shareholder, von denen 79% durch professionelle Vermögensverwalter (Fonds, Banken) vertreten werden und 14% Privatanleger oder Kleinaktionäre sind.

Die Machtverschiebung wird nicht in den Warenpreisen sichtbar (Monopolaufschlag), sondern erfolgt über die Eigentümerseite, die »capital gains« der Anteile. Der Trend zu Rekorden bei Fusionen und Unternehmensbeteiligungen wird anhalten, soweit nicht die Konjunktur (Krise) oder politische Interventionen diese Entwicklungstendenz unterbrechen oder stoppen. Von der Fusionskontrolle oder dem Kartellrecht gehen minimale Bremseffekte aus.

Wie in den 70er Jahren steht in den Metropolen die Entwicklungsrichtung des Kapitalismus auf der Tagesordnung: Entweder man überlässt weiterhin den Finanzmärkten und dem Shareholder die Ausgestaltung der Ökonomie, oder aber man kehrt zu einer Politik der Kapitalkontrolle und der Wirtschaftssteuerung zurück.

Joachim Bischoff ist Redakteur von Sozialismus.

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