25. Oktober 2024 Klaus Bullan: Die Ergebnisse der neuesten Shell-Jugendstudie
Jugend 2024: Aufwachsen in einem multiplen Krisenmodus
Die Ergebnisse der Europawahlen und der Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg haben zu alarmierenden Signalen in der öffentlichen Debatte geführt, vor allem die Jugend ist in den Brennpunkt geraten.
Die Stimmanteile der AfD bei den 16- bis 24-Jährigen bei den Europawahlen und in Brandenburg, der 18- bis 24-Jährigen in Thüringen und Sachsen sind überproportional gegenüber den vorherigen Wahlen gestiegen und haben die AfD bei den Jugendlichen in den drei östlichen Bundesländern zur stärksten Partei und bei den Europawahlen zur zweitstärksten Partei knapp hinter der CDU gemacht. 16% der jungen Wähler*innen bei den Europawahlen, 31% bei den Wahlen in Brandenburg und Sachsen sowie 38% in Thüringen haben die AfD gewählt gegenüber einem Gesamtergebnis der AfD in den drei neuen Bundesländern von 33% in Thüringen, 31% in Sachsen und fast 30% in Brandenburg.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass einige ältere Bevölkerungsgruppen der AfD noch höhere Zustimmung gaben und die Linkspartei, die SPD und die Grünen bei insgesamt katastrophalen Gesamtergebnissen und starken Rückgängen bei den Jungwähler*innen (vor allem bei den Grünen) noch immer überdurchschnittliche Ergebnisse bei den jungen Wähler*innen erzielten. In einer Zeit, in der völker- und menschenrechtliche Grundsätze bei der Abwehr von flüchtenden Menschen auch von den etablierten Parteien in Frage gestellt werden, Ressentiments immer mehr Einzug in den Alltag halten und rechtsradikale, menschenverachtende Lieder auch in Sylter Clubs von einem Teil der jugendlichen Eliten gegrölt werden, ist der Befund »Deutschlands Jugend ist rechts« schnell zur Hand und wird entweder als (spät)pubertäre Protesthaltung gegen die älteren Generationen oder als notwendige Desillusionierung einer ehemals linken Jugend interpretiert. Die wenigsten unterziehen sich der Mühe, die Hintergründe für die aktuellen Wahlentscheidungen der Erst- und Jungwähler*innen genauer zu betrachten.
Eine Ausnahme ist die Shell-Jugendstudie 2024. Unter den zahlreichen empirischen Studien über die Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutschland ragt diese heraus.[1] Seit 1953 wird sie in regelmäßigen Abständen herausgegeben, zuletzt im vier- bis fünfjährigen Rhythmus. Unabhängig von gesellschaftlichen Konjunkturen und kurzfristigen Anforderungen an aktuelle Ereignisse zeichnet sie ein differenziertes Bild der jungen Generation im Zeitverlauf. Auch die Studie über die Jugend 2024 ist eine repräsentative Untersuchung der 12- bis 25-Jährigen mit einem qualitativen Teil, in dem 20 Jugendliche in ausführlichen Gesprächen interviewt werden.[2] Es ist m.E. lohnend, sich mit einigen Ergebnissen der Jugendstudie 2024 auseinanderzusetzen. »Die 19. Shell-Jugendstudie zeichnet das Bild von Jugendlichen in Deutschland als einer vielfältigen, durch unterschiedliche Einstellungen und Lebenslagen, ungleich verteilte Chancen und divergierende Zukunftssichten gekennzeichneten Generation.« /33/
Aufwachsen in einer Zeit multipler Krisen
»Seit dem Erscheinen der letzten Shell Jugendstudie im Jahr 2019 ist in Deutschland und der Welt viel passiert: eine weltweite Pandemie, ein Angriffskrieg gegen die Ukraine, ein massiver Terrorangriff der Hamas auf Israel und ein darauf folgender Krieg im Gazastreifen, eine drohende Energiekrise und nicht zuletzt damit verbundene erhebliche Preissteigerungen, eine zunehmend wahrnehmbare Umwelt- und Klimakrise und ein Erstarken politisch extremer und populistischer Parteien vor allem am rechten Rand. Die Intensität einzelner Entwicklungen ist nur schwer zu vergleichen. Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass in Deutschland, wie in vielen anderen Ländern, die schwierigen Entwicklungen des Weltgeschehens vor allem in ihrer Kombination inzwischen als problematisch und krisenhaft wahrgenommen werden. Um das zentrale Ergebnis vorwegzunehmen: Trotz aller Herausforderungen der letzten Jahre bleiben die Ziele, Einstellungen und Werte von jungen Menschen in Deutschland bemerkenswert stabil.« /270/
Bemerkenswert stabile Ziele, Einstellungen und Werte der jungen Generation bedeutet nun gerade nicht, dass die Jugend von dieser Lage mehr oder weniger unberührt bleibt. Sie ist vielmehr stark von den Veränderungen betroffen, wie man bei der Bedeutung der Vielzahl von Problemen und Besorgnissen der Jugendlichen und ihrem Blick in die Zukunft für sie persönlich und die Gesellschaft insgesamt erkennen kann.
Klaus Bullan ist Mitherausgeber von Sozialismus.de. Zuletzt schrieb er in Heft 9-2024 »Das Leben des Antonio Gramsci«.
[1] Albert/Quenzel/de Moll/Verian (2024): 19. Shell Jugendstudie: Jugend 2024 – Pragmatisch zwischen Verdrossenheit und gelebter Vielfalt, Weinheim/Basel. Alle Seitenzahlen beziehen sich auf diese Studie.
[2] Die Befragung wurde im ersten Quartal 2024 durchgeführt, also vor der als Messerattacke von Solingen bekannten Aktion und der danach verschärften Debatte um Aufnahmestopps und Rückführung von Flüchtenden und vor den Wahlen zum Europaparlament und den ostdeutschen Landtagswahlen. Parteienpräferenzen werden in der Shell-Studie nicht erhoben.