28. Oktober 2021 Otto König | Julika Bürgin: 50 Jahre IG Metall Bildungszentrum Sprockhövel

Kampf um die Köpfe | Bildung und Eigensinn

»Der bildungspolitische Auftrag, der sich aus der unmittelbaren Interessenlage unserer Mitglieder im Produktionsprozess ergibt, kann und darf nicht zur Anpassung oder zur Vermittlung von Befriedungstechniken aufgefasst werden.

Es geht nicht darum, sich immer und stets anzupassen, sondern es geht letztlich um die Aneignung eines größeren Freiheitsspielraumes, um mehr Rechte, um weniger Bevormundung und um mehr Demokratie«, so umriss der IG Metall-Vorsitzende Otto Brenner bei der Einweihung des Bildungszentrums Sprockhövel am 3. September 1971 den Bildungsauftrag der Gewerkschaften.

50 Jahre später stellt Julika Bürgin in ihrer Festrede in Sprockhövel [die in diesem Heft ebenfalls abgedruckt und Bestandteil dieser Leseprobe ist] fest: »Als aus der Zeit gefallen gilt vielen heute die Vorstellung, mit gewerkschaftlicher Bildung die Gesellschaft verändern zu können. Aber um nicht weniger ging es. Den Gewerkschaften wurde zugetraut, einen wesentlichen Beitrag dazu zu leisten, die Gesellschaft grundsätzlich zu reformieren oder sogar zu revolutionieren. […] Vor einem halben Jahrhundert ging es auch um einen originären Bildungsbegriff der Arbeiterbewegung. Die Emanzipation der Klasse sollte schließlich die Klassengesellschaft aufheben.«

Fakt ist: Die Bildungsarbeit der IG Metall definiert sich seit den 1970er Jahren als »Zweckbildung« für die sozialen Auseinandersetzungen. Ihr Ziel ist es, die Teilnehmer:innen zum gesellschaftspolitischen Engagement zu befähigen. Dieser programmatische Anspruch geht davon aus, dass die Bildungsarbeit die konkreten Erfahrungen in der betrieblichen und gesellschaftlichen Realität aufgreift, Eckpunkte einer Kapitalismuskritik vermittelt und daraus abgeleitet, die Teilnehmer:innen zu kollektiver Handlungsfähigkeit ermächtigt.

Ein Blick zurück: Im Jahr 1965 hatte die IG Metall auf dem 8. ordentlichen Gewerkschaftstag in Bremen den Bau einer weiteren Bildungsstätte beschlossen. Die Kapazitäten an den zentralen Bildungsstätten Lohr am Main, Heidehof/Heidekrug (Dortmund) und der Jugendbildungsstätte Pichelsee (Berlin) reichten nicht mehr aus. Am 1. August 1968 war es so weit: Im westfälischen Sprockhövel wurde der Grundstein für das größte Bildungszentrum gelegt. Dass das am Rande des Ruhrgebiets geschehen ist und nicht wie ursprünglich vorgesehen in der »heimlichen Landeshauptstadt von NRW«, Dortmund ist der geschickten Strategie der beiden geschäftsführenden Vorstandsmitglieder Willi Michels und Heinz Dürrbeck zu verdanken. Willi Michels, zuständig für das Stahlbüro, stellte den Kontakt zur Gemeinde her. »Amtsdirektor und Bürgermeister von Sprockhövel standen zum Empfang bereit und geleiteten die Gewerkschafter zum alten Kauerhof. Das waldreiche, für Bildung und Erholung wie geschaffene Gelände dicht am Rande des Reviers mit 26 Verwaltungsstellen und 750.000 Mitgliedern im Umkreis von 50 Kilometern gefiel den Metallern (um Otto Brenner) auf Anhieb.«[1]

Otto König ist Mitherausgeber von Sozialis-mus.de. Er arbeitete von 1971 bis 1980 als pädagogischer Mitarbeiter im Bildungszentrum, bevor er zum Ersten Bevollmächtigten in Hattingen gewählt wurde.
[1] Frank Bünte: Willi Michels – Ein Leben für den Neuanfang, Dortmund 2008.

Julika Bürgin ist Professorin an der Hochschule Darmstadt, Fachbereich Soziale Arbeit. Bei diesem Beitrag handelt es sich um die geringfügig gekürzte Festrede zu 50 Jahre IG Metall Bildungszentrum Sprockhövel am 3. September 2021.

Die komplette Leseprobe als pdf-Datei!

 

 

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