26. September 2012 Joachim Bischoff / Björn Radke

Kanzlerin-Höhenflug, Politikwechsel und Anforderungen an eine moderne Linke

Kategorie: Linksparteien

Die Bundestagswahl 2013 wirft ihre Schatten voraus. Ist die Linke dafür gut aufgestellt? Darüber diskutierten in den letzten beiden Heften u.a. ­Michael Brie, Horst Arenz, Elmar Altvater, Andrea Ypsilanti und die Redaktion des »prager frühling«. Joachim Bischoff und Björn Radke machen deutlich, dass die Linke (in Klein- und Großbuchstaben) noch viele offene Fragen zu bearbeiten hat. Im November-Heft werden die Vorsitzenden der Partei DIE LINKE, Katja Kipping und Bernd ­Riexinger, sicherlich einige davon abarbeiten.

Während der Trend aus den jüngsten Umfragen ergibt, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel trotz massiver Krisenängste bei den WählerInnen unangefochten an der Spitze der Beliebtheitsskala liegt, gibt es innerhalb der CDU aktuell entschiedene Minderheitenpositionen zur Machtstruktur und politischen Kultur: Das »System Merkel« verhindere grundsätzliche Debatten. Der CDU-Mittelstandschef Josef Schlarmann kritisiert: Er habe erhebliche Zweifel daran, dass die Union mit Merkel an der Spitze noch genügend Stimmen bei Wahlen holen könne. Ein potenzieller Nachfolger habe allerdings keine Chance, nach oben zu kommen. Karriere mache nur noch, wer auf Merkels Linie liege, das habe man beim entlassenen Umweltminister Norbert Röttgen erlebt.[1]

Zu den parteiinternen Kritikern zählen auch der CDU-Fraktionsvorsitzende im Hessischen Landtag, Christean Wagner, und der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach, die die Notwendigkeit einer organisierten konservativen Strömung innerhalb der Partei mit dem regen Interesse von CDU-Mitgliedern begründen. Mehrere tausend Zuschriften würden sie regelmäßig erreichen und ermuntern, dem »Berliner Kreis« einen offiziellen Anstrich und auch einen eigenen Internetauftritt zu geben. Die Führung der CDU hat dies bisher immer mit dem Hinweis abgelehnt, die Partei verkörpere sowohl konservative als auch liberale und christlich-soziale Werte. Eine der drei Säulen durch die offizielle Anerkennung eines parteiinternen Kreises aufzuwerten, sei nicht im Interesse der Partei insgesamt.

Schließlich hat sich auch die konservative Publizistin Gertrud Höhler mit einem Buch zu Wort gemeldet, dessen Titel das System Merkel in die Nähe mafiöser Strukturen rückt.[2] Sie sieht in der Bundeskanzlerin eine prinzipienlose Machtpolitikerin, die »leidenschaftslos und wertneutral« handelt und CDU, CSU, SPD, FDP, Grüne und Linke zu einer »Quasi-Einheitspartei« geformt habe. »Merkel agiert als politische Heuschrecke« und sie, längst »Kanzlerin aller Parteien«, wolle nun »Kanzlerin aller Europäer« werden. Unter Merkel werde das Parlament immer öfter übergangen oder »All-Parteien-Entscheidungen« durchgesetzt. Frau Merkel erkläre ihre Politik unzureichend und der Rückbezug auf moralisch-ideologische Wertorientierungen fehle. Letztlich habe die Regierung Merkel mit ihrer neo­liberal-pragmatischen Sparpolitik den Pfad der Demokratie verlassen. Es möge Ausnahmesituationen geben, in denen Entscheidungen staatspolitisch alternativlos erscheinen. Die Verantwortlichen in der Regierung hätten es sich aber zu einfach gemacht. Für Politik müsse geworben und sie müsse überzeugend begründet werden. Angela Merkel müsse erklären, wohin es mit Europa geht, und sie müsse sagen, wohin sie ihre Partei steuern möchte.


Stimmungshoch für Merkel …

Diese innerparteiliche Kritik an der Kanzlerin steht quer zu dem Trend in den Umfragergebnissen: Trotz massiver Krisenängste würden sich 49% der WählerInnen bei der nächsten Bundestagswahl für die Christdemokratin Merkel entscheiden, hieße ihr Gegner Frank-Walter Steinmeier. Der SPD-Fraktionschef käme auf 26%. 50% würden Merkel wählen, wenn sie von Ex-Finanzminister Peer Steinbrück (28%) herausgefordert würde. Weit abgeschlagen in der K-Frage käme SPD-Chef Sigmar Gabriel nur auf 16% der WählerInnenstimmen. Ihm stünde eine Kanzlerin mit 60% Zuspruch gegenüber.

Die Person Angela Merkel verschwindet immer mehr hinter ihrer öffentlichen Rolle als Kanzlerin. Vom einstigen »Mädchen« Kohls ist nichts mehr übrig geblieben. Der Respekt, der ihr in ganz Europa entgegengebracht wird (und der ihr selbst noch in den Beschimpfungen als »Diktatorin Europas« erwiesen wird), scheint sie auch den politischen Auseinandersetzungen in Deutschland, ja selbst in ihrer Koalition, zu entheben. Personelle Fehlgriffe, man denke an den Baron zu Guttenberg oder Ex-Umweltminister Norbert Röttgen, können das Ansehen der Bundeskanzlerin ebenso wenig beschädigen wie das politische Lavieren in der Krise der Eurozone oder das Fiasko in der Energiepolitik. Die Kanzlerin schwebt von einem Umfragehoch zum anderen. Diese Konstellation hat natürlich Konsequenzen für das politische Kräfteverhältnis im Land: Während die Union in einer aktuellen Umfrage in der Wählergunst zwei Punkte auf 38% zulegen kann, verliert die SPD zwei Punkte und kommt bei 26% zum Stehen. Mit zwölf Prozentpunkten ist es der größte Abstand zwischen den beiden Parteien seit der vergangenen Bundestagswahl. Der Demoskopie-Experte Klaus-Peter Schöppner von Emnid kommentiert: »Die Machtposition von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der CDU ist so stark wie nie. Das größte Vertrauen strahlt für die Bürger Frau Merkel aus.« Die SPD hingegen schrecke die Wähler mit Selbstbeschäftigung ab: »Außerhalb der Frage, wer denn nun Kanzlerkandidat werden soll, ist von der SPD nicht viel zu hören.«[3]


… bei schwächelnder Opposition

Diese Tendenz trifft auch für die anderen Parteien zu. Die Grünen sind von ihrem Hoch zu Zeiten der Fukushima-Katastrophe wieder bei dem Niveau ihres Bundestagswahlergebnisses angekommen (11-13%). Auch für die Piraten gilt, dass ihr Höhenflug zum politischen Olymp in den Sinkflug gewechselt ist. Und für die neoliberale und rechtskonservative FDP zeichnet sich ebenso wie für die Partei DIE LINKE ein Kampf um den Wiedereinzug in den Bundestag ab.

Diese Konstellation gilt auch für die Umfragewerte zu den noch anstehenden Landtagswahlen bis Ende 2013. Vier Monate vor der Landtagswahl ist die CDU – trotz etlicher Skandale und wenig überzeugender Leistungsbilanz – die beliebteste Partei in Niedersachsen. Sie liegt in der Wählergunst bei 37%. Die SPD ist mit 33% zweitstärkste Partei, die Grünen kommen auf 15%. Da FDP (3%), DIE LINKE (4%) und Piraten (4%) nach diesen Prognosen den Einzug in das Parlament verpassen würden, wäre die Bildung einer von SPD und Grünen angestrebten rot-grünen Koalition von der Mandatsverteilung her gesehen zwar möglich, aber ein Machtwechsel hin zu Rot-Grün bleibt offen.

Noch eindeutiger stellt sich in Umfragen das politische Kräfteverhältnis in Bayern dar: Die Rückkehr der CSU zur absoluten Mehrheit scheint wieder möglich, die Partei steht aktuell bei 47%. Das ist zwar nur eine kleine Verbesserung gegenüber dem Wahlergebnis von 43,4% im Jahr 2008. Je nachdem wie viele Parteien in den Landtag einziehen, könnte dies aber locker für die absolute Mehrheit der Parlamentssitze reichen. Die SPD liegt bei 21%, die Grünen kämen auf 10% und den Freien Wählervereinigungen werden 9% attestiert. Während die Piraten mit etwas Glück den bayrischen Landtag mit 5% entern könnten, sind FDP und LINKE mit 3 bzw. 2% völlig abgeschlagen. Das Agieren des SPD-Oberbürgermeisters Christian Ude als ernsthafter Gegenkandidaten zu Horst Seehofer hat also durchaus etwas beim politischen Gegner bewirkt. Die CSU agiert so geschlossen wie seit Jahren nicht mehr und der Ministerpräsident will zwar noch bis 2018 weiterregieren, installiert aber schon mit der Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner eine potenzielle Nachfolgerin.

Für die Bundesebene deutet sich also eine Verlängerung des System Merkels an. Rot-Grün hat mit 39% Zustimmung keine gesellschaftliche Mehrheit. Die Bundesbürger wünschen offenbar, dass die künftige Bundesregierung von einer großen Koalition gebildet wird. Eine solche Regierungszusammenarbeit von CDU/CSU und SPD ist die einzige Parteienkombination, die von einer absoluten Mehrheit der Befragten (54%) positiv bewertet wird. Lediglich 23% bewerten diese Konstellation negativ, 21% ist das egal.
Allerdings hat die Kanzlerin und CDU-Chefin ihre Partei vor einer Debatte über eine große Koalition nach der Bundestagswahl 2013 gewarnt. Es schade der Union, wenn sie schon vor der Wahl darüber spekuliere: »Niemand bereitet eine große Koalition vor«, sie sei mit der FDP »sehr glücklich« (das sehen die WählerInnen anders, nurmehr eine Minderheit von 19% betrachtet die schwarz-gelbe Koalition als das beste Zukunftsmodell).
Zugleich unterstreicht sie: »Ausschließen kann man so etwas nicht. Aber ich werde jedenfalls nicht darauf hinarbeiten.« Entscheiden wird sich die Frage des politischen Kräfteverhältnisses an der Einstellung zur Bewältigung der Krise der Euro-Zone.

Die Bundeskanzlerin will mit ihrer europapolitischen Option die Bundestagswahl gewinnen und im Wahlkampf 2013 den weiteren Kurs der Europäischen Union zum Thema machen: »Ohne Europa können wir unsere Werte, unsere Vorstellungen, unsere Ideale überhaupt nicht mehr gemeinsam vertreten.« Europa müsse verbindlicher werden, der europäische Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin sei ein Schritt auf diesem Weg. Darum werde im nächsten Jahr hierzulande darüber abgestimmt, wo Europa steht.

Die sozialdemokratische und die grüne Opposition kritisieren bei grundsätzlicher Übereinstimmung mit Fiskalpakt und Rettungsschirmen die Zaghaftigkeit des Regierungshandelns. Die SPD wirft der Kanzlerin vor, sie sei allein auf ihren Machterhalt bedacht.[4] Die Regierung handele nur unter dem Druck der Finanzmärkte und übernehme mit erheblicher Verspätung die unverzichtbaren Maßnahmen einer gemeinschaftlichen Bekämpfung der Überschuldung vieler Euro-Länder. Beim unbestreitbaren wirtschaftlichen Erfolg der Bundesrepublik zehre die Regierung von den Vorräten, die einst SPD und Grüne mit ihren Agenda 2010-Reformen angelegt hätten. »Es waren Sozialdemokraten und Grüne, die das Fundament für den Erfolg von heute gelegt haben.«

Sozialdemokratie und Grüne werden mit dieser Kritik nicht überzeugen, geschweige Mehrheiten gewinnen, zumal die Kanzlerin geschickt darauf verweist, dass schwere Finanzkrisen nicht mit einem großen politischen Wurf bewältigt werden. Solche schweren Krisen dauerten üblicherweise eine Dekade: »Jetzt haben wir vier, fünf Jahre hinter uns.« Sie stimmt also die BürgerInnen auf eine länger dauernde Krise ein, deren Lösung noch Zeit und viele kleine Schritte erfordere.

Angesichts des aktuellen Alltagsbewusstseins der BundesbürgerInnen dürften die Aussichten auf einen rot-grünen Politikwechsel mitten in einer der schwersten Krisen der »sozialen Marktwirtschaft« eher unrealistisch sein, zumal die Einschätzung von den segensreichen und zukunftssichernden Maßnahmen der Agenda 2010 unter Schröder/Fischer von vielen Betroffenen nicht geteilt werden.

Als Zwischenergebnis lassen sich drei Punkte festhalten:

  1. Die Krise der Kapitalakkumulation in der Euro-Zone ist weder von der politischen Elite ausreichend gedeutet worden, noch konnten alternative Vorschläge plausibel gemacht werden. Folglich bleibt das Verständnis von den Antikrisenmaßnahmen bei einem Großteil der Bevölkerung unklar.
  2. Allerdings überzeugt das Argument gegen die Bundeskanzlerin vom europapolitischen Zick-Zack-Kurs so wenig wie die These von einem kompletten Scheitern der Antikrisenpolitik. Die Befunde des Alltagsbewusstseins lassen sich eher dahingehend zusammenfassen, dass der Großteil der Wahlbevölkerung über das anstehende Zeitalter der Austerität und verschärfter Verteilungskonflikte wenig Illussionen hat. Der Sozialwissenschaftler Wolfgang Streeck fasst wohl zutreffend zusammen: »Den reichen Demokratien, die von Steuer- zu Schuldenstaaten mutiert sind, steht eine lange und schmerzhafte Rosskur bevor. Austerität ist das Gebot, nicht nur der Stunde, sondern vieler kommender Jahre. Politik unter der Kuratel der Finanzmärkte und ihrer geschäftsführenden Ausschüsse in Gestalt der internationalen Organisationen wie der Europäischen Union oder des Internationalen Währungsfonds heißt Haushaltsausgleich und Schuldenabbau durch Ausgabenkürzung und, zum geringeren Teil, höhere Steuern, diese aber nur für die breite Masse derjenigen, die ihr Geld nicht außer Landes schaffen können. Die Staaten werden schrumpfen und die Märkte als Verteiler von Lebenschancen noch wichtiger werden. Der Abstand zwischen oben und unten wird weiter wachsen, die soziale Unsicherheit ebenso, und vieles von dem, was heute der Staat bereitstellt, werden die Bürger sich morgen privat verschaffen müssen, sofern sie es sich leisten können. Der Staatsumbau des Neoliberalismus wird weitergehen, damit die nächste Generation abzahlen kann, was im ›Pumpkapitalismus‹des ausgehenden 20. Jahrhunderts längst konsumiert wurde. Lässt sich das durchsetzen?«[5]
  3. Die Gegner der Merkelschen Eurorettungspolitik müssen heute ernüchtert erkennen: Sie haben in den zurückliegenden Krisenjahren eine Schlacht nach der anderen verloren. Auch die in der Großen Krise eher noch weiter zurückgedrängte Linke der Linken (also jenseits der an der Entwicklung wesentlich mitbeteiligten Sozialdemokratie) hat aus dem Scheitern des neoliberalen Umbaus des gegenwärtigen Kapitalismus wenig Stärkungs- und Modernisierungsimpulse aufgreifen können.

Der Großteil der Bevölkerung (über 75%) erwartet, dass der schlimmste Teil der Krise noch bevorsteht. Befeuert wird dies noch von einem Misstrauen gegenüber den Politikern, die über die Hälfte der Deutschen (55%) für überfordert hält. Noch deutlicher aber ist die Furcht (60%) vor einem zusätzlichen Missmanagement in Brüssel und EU-Beschlüssen zulasten Deutschlands. Nach den jüngsten Umfragen sind 50% der Befragten gegen die Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB), Staatsanleihen von Schuldenstaaten zu kaufen, nur 13% sind dafür. Die übrigen Befragten geben offen zu, dass sie diese komplizierte Materie nicht beurteilen können. Dazu passt, dass – trotz des positiven Urteils des Bundesverfassungsgerichtes – der ESM (Rettungsschirm) von 62% abgelehnt wird, nur 33% sind dafür. Der Fiskalpakt, der den in Schieflage geratenen Euro-Staaten nur bei Übernahme einer knallharten Austeritätspolitik unter Inkaufnahme der Entmachtung der nationalen demokratischen Institutionen finanzielle Hilfe gewährt, erhält von 78% Zustimmung. Sollte die Troika (EU, EZB, IWF) Griechenland die nächsten Kredite verweigern und damit den Staatsbankrott auslösen, würden das 43% befürworten, 48% wären allerdings dagegen.


Sozialdemokratisches Eigenlob und Realitätsblindheit

Obwohl die SPD seit Monaten versucht, mit leichten Korrekturen an ihrer »Jahrhundertreform« Agenda 2010 manche »Fehlentwicklungen« zu entschärfen, und sich– wie die Sozialisten in Frankreich – der Forderung nach einer höheren Besteuerung von Reichen verschrieben hat, zudem die Notwendigkeit der Streichung von Subventionen im Steuerrecht betont, die Erhöhung der Kapital-, Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung sowie ein höherer Spitzensteuersatz fordert, ist sie von dem Wahlziel »Rot-Grün« weit entfernt. So wie die Dinge stehen, wird es weder einen Regierungswechsel zur Sozialdemokratie noch gar einen Politikwechsel geben.

Der von SPD-Chef Sigmar Gabriel vorgestellte Rentenentwurf offeriert eine steuerfinanzierte Grundrente von 850 Euro, besteht aber auf Beibehaltung der Absenkung des Rentenniveaus bis 2030 auf 43% des durchschnittlichen Einkommens. Mit einem moderaten Mindestlohn und einer »Sozialrente« allein können die drohenden Verarmungsprozesse allenfalls abgemildert werden. Nach der Umfrage des ARD-Deutschland­trends sind 48% der Befragten der Überzeugung, dass das Geld bei der gesetzlichen Rente sicherer ist, als bei der privaten Altersvorsorge. Die Zeiten von »Privat vor Staat« sind zumindest auf dem Feld der Rente offensichtlich vorbei. Deshalb möchten die Deutschen auch, dass die Rentenversicherung finanziell gut ausgestattet ist und Rücklagen bildet, statt die Beiträge zu senken. Eine große Mehrheit von 83% plädiert für diesen Weg.

Noch jüngst hat Altkanzler Schröder die Maßnahmen der Agenda 2010 grundsätzlich verteidigt. Durch die Arbeitsmarktreformen seien Verkrustungen beseitigt worden, dies habe die hohe Sockelarbeitslosigkeit abgebaut. Der Niedriglohnsektor sei dagegen »politisch gewollt gewachsen«. Im großspurig »Projekt Zukunft – Deutschland 2020« genannten Papier des SPD-Fraktionsvorstandes wird dann auch selbstgefällig resümiert: »Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben Deutschland nach 1998 modernisiert, Strukturreformen in Angriff genommen, die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte angepackt und unsere Volkswirtschaft gemeinsam mit den Sozialpartnern im internationalen Vergleich wieder wettbewerbsfähig gemacht. Es ist heute allgemein anerkannt, dass die Arbeitsmarktreformen die Beschäftigungsschwelle des Wachstums gesenkt und dass insbesondere die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe nicht nur die Statistik ehrlicher gemacht, sondern auch manche Perspektivlosigkeit überwunden hat.«[6]

Kein Wort zu den Folgen dieser Politik, die der jüngsten Publikation des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) zufolge zu »großer Ungleichheit« geführt habe und kein bloßes Gerechtigkeitsproblem, sondern ein Hauptgrund für die Krise sei. Seit der Jahrtausendwende sind die Löhne gesunken, die Lohnquote gemessen am Bruttoinlandsprodukt verringerte sich zwischen 2001 und 2007 um 5%. Die dadurch schlechtere Binnennachfrage führte zu Leistungsbilanzüberschüssen zuungunsten der Nachbarländer, in denen die soziale Situation verschärft wurde, so das IMK. Und auch im Armuts- und Reichtumsbericht bemerkt das Arbeitsministerium lapidar, dass dadurch das »Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung« verletzt werde. 77,7% der Deutschen stimmen der Aussage »Zu großer Reichtum führt zu Spannungen in der Gesellschaft« zu. Dass Reiche ungerechtfertigte Vorteile genießen, sagten 68,3%.

Solange die SPD sich um die politische Verantwortung für ihr Handeln herumdrückt, das im Ergebnis »nicht nur die Einkommen … in unserer Gesellschaft ungleich verteilt (hat), sondern ... auch die Lebens- und Teilhabechancen«, wie zumindest im Zwischenbericht eingeräumt wird,[7] dürfte sie in der Glaubwürdigkeitsfalle steckenbleiben.

In ihrem Beitrag in der letzten Ausgabe von »Sozialismus« stellt Andrea Ypsilanti zwar leichte Veränderungen in ihrer Partei fest.[8] Zugleich muss sie jedoch auch konstatieren: »Diese Verschiebungen kranken freilich daran, dass es nach wie vor keine fundierte Aufarbeitung der Agenda und der Regierungspolitik von Rot-Grün und Schwarz-Rot gegeben hat. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die rhetorischen Korrekturen nicht zu bedeutsamen Zuwächsen bei Umfragen und Wahlen geführt haben. Zumal auch noch nicht absehbar ist, welche der neuen Verlautbarungen Erkenntnisgewinn sind und welche den Zeitgeist abbilden.«

Sie warnt deshalb auch vor der von den Führungseliten der SPD und GRÜNEN propagierten Option einer rot-grünen Koalition: »Es ist augenfällig, dass vermeintlich progressive Wählerstimmen nicht mit dem Taschenrechner zu addieren sind, um daraus parlamentarische Mehrheiten zu basteln. Stimmungen und Umfragen und sogar rechnerische Mehrheiten bei Wahlen sind noch lange keine gesellschaftlichen Reformmehrheiten. Die letzte rot-grüne Koalition kann da nur Warnung sein. Gerade in dieser vermeintlich progressiven Gestaltungsmehrheit wurde der Reformbegriff ad absurdum geführt. Eines der größten Probleme der heutigen Linken in der SPD ist die verpasste Verweigerung gegen diese Reformen wie zum Beispiel die Agenda 2010 oder aktuell gegen den Fiskalvertrag.«

Wir können Andrea Ypsilanti zustimmen, wenn sie sich für eine Öffnung hin zu einer gemeinsamen radikalen Reformpolitik aller Kräfte der politischen Linken ausspricht, dabei auch DIE LINKE ausdrücklich nicht ausnimmt: »Eine progressive Mehrheit, die auch politisch und parlamentarisch zum Ausdruck kommt, wird es nicht als Wunsch, sondern aus Notwendigkeit geben können. ... Bisher konnten SPD, Grüne und Linke immer Gründe anführen, warum progressive parlamentarische Bündnisse nicht zustande kommen. Bei der Debatte in der Partei DIE LINKE hat das bis zum Göttinger Parteitag sogar bizarre Züge angenommen. Progressive Wissenschaft, Kunst und Kultur, Sozial- und Commonsbewegung haben aber die Aufgabe dafür zu sorgen, dass diese Gründe nachrangig werden. Das ist ein mühsamer Weg.«


DIE LINKE: Noch viele Fragen offen

Die Linkspartei hat an gesellschaftlich-politischem Rückhalt eingebüßt. Mit dem Führungswechsel hat sie eine weitere Schwächung abdämpfen können. Gegenwärtig liegen die Zustimmungswerte nur noch zwischen 6 und 8%. Andersherum: Als kritisches Korrektiv und Alternative zur Mehrheitsströmung in der Politik hat sie in der aktuellen Krisenzuspitzung nicht zulegen können. Die politischen Projekte links der gesellschaftlichen Mitte stagnieren. Warum aber profitiert die politische und gesellschaftliche Linke so gut wie überhaupt nicht von der tiefen Krise des Finanzmarktkapitalismus in Europa?

Für Bernd Riexinger, seit dem Göttinger Parteitag Anfang Juni gemeinsam mit Katja Kipping Vorsitzender der Partei DIE LINKE, ist die Zustimmung für Merkel »erstaunlich, da doch auf der Hand liegt, dass ihr Krisenmanagement jämmerlich gescheitert ist«. Das Scheitern liegt dann doch wohl nicht so klar »auf der Hand«, konstatiert er doch zu Recht: »Offensichtlich zieht das Argument, dass dieses Land noch vergleichsweise gut durch die Krise gekommen ist, weil rechtzeitig gespart wurde und die scheinbar notwendigen Reformen durchgesetzt worden sind ... Und es erfolgt kein Generalangriff auf Arbeitnehmer- und soziale Rechte. Es ist eher ein schleichender, kontinuierlicher Prozess, der es schwer macht, kollektiven Widerstand aufzubauen.«[9]

Oskar Lafontaine setzt einen anderen Akzent: In einem Beitrag für die FAZ schreibt er: In einer Gegenwart, die von den »Werten der Finanzmärkte« bestimmt ist, wirke DIE LINKE mit ihrem Eintreten für mehr Gemeinschaft, Zusammenhalt und Solidarität wie aus der Zeit gefallen. Für ihn liegt die gegenwärtige Schwäche der Linken darin, dass »zu viele (…), die in Deutschland nicht mehr wollen, ... einfach nicht mehr zur Wahl (gehen). Würden diese Nichtwähler stattdessen Parteien, die linke Ideen vertreten, zur Mehrheit verhelfen, dann müsste eine linke Regierung systemüberwindende Reformen in Angriff nehmen, die die heutigen Machtstrukturen verändern. Voraussetzung dafür wäre, dass die Linke weit mehr als bisher ihre eigenen Begriffe und ihre eigene Sprache entwickelt, um den Boden für wirkliche Reformen zu bereiten. Und der Verhöhnung und Zerstörung ihrer Ideale muss sie die Überzeugung entgegensetzen, dass es Werte gibt, die man nicht kaufen kann, und dass genau diese Werte dem menschlichen Leben die Würde geben.«[10]

Die Betonung eigener Werte ist sicher nicht falsch, aber die Schwierigkeiten liegen doch eher noch auf unteren Ebenen. Der Vorschlag der Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger einer vorsichtigen Entkrampfung und Öffnung gegenüber den von Andrea Ypislanti beschriebenen Problemlagen, die Linke solle sich nach einem im Bundestagswahlkampf 2013 die Möglichkeit als Regierungspartei offenhalten, ist von den Chefs der SPD und den Grünen prompt zurückgewiesen worden. Dabei haben Kipping und Riexinger nun wahrlich keine fundamentalistischen Voraussetzungen für ein »Linksbündnis« formuliert. »Zwar werden wir im Wahlkampf unsere Eigenständigkeit betonen und nicht unsere (mögliche) Funktion in einem (Regierungs-)Bündnis bzw. bei der Abwahl von Schwarz-Gelb, aber auf die Koalitionsfrage werden wir mit einem offensiven Reformprogramm antworten: Aufbauend auf den roten Haltelinien, entwickeln wir ein nach vorn gerichtetes Reformprogramm. Soll heißen: Wir sind bei einer Linksregierung dabei, die: 1.) für eine friedliche Außenpolitik steht, und dazu gehört ein sofortiger Stopp von Rüstungsexporten sowie die Ablehnung von Militäreinsätzen im Ausland; 2.) sicherstellt, dass kein Mensch unter 1.000 Euro im Monat fällt (Mindestrente, sanktionsfreie Mindestsicherung, Mindestlohn); 3.) Reichtum couragiert besteuert.«

Einen neuen Akzent setzt das Papier im Umgang mit der SPD: einerseits eine klare Kritik ihrer Positionen, »anderseits sollten Vorschläge, die in die richtige Richtung gehen, positiv aufgegriffen und gleichzeitig mit dem konkreten parlamentarischen Verhalten abgeglichen werden. Es gilt, die Diskrepanz zwischen Worten und Taten zu kritisieren und gleichzeitig die Möglichkeiten gesellschaftlicher Mehrheiten – über pure Rhetorik hinaus – für eine andere Politik deutlich zu machen«.

Diese vorsichtige Wendung hin zu einer offensiven, inhaltlichen Auseinandersetzung mit der SPD, ist intern nicht unumstritten. Vor allem der antikapitalistischen Linken hat er die Zornesröte ins Gesicht getrieben, die diesen Ansatz zurückzerrt auf die Frage »Regierungsverantwortung Ja oder Nein«. Oskar Lafontaine hat die Strategie aus seiner Sicht umrissen: »Wir wollen ja nicht in erster Linie ein Ministeramt erreichen, sondern wir wollen einen Politikwechsel erreichen und ein gerechtes Steuersystem. Stichwort Reichensteuer, müsste in der jetzigen Situation, wo Milliarden verbraten werden, um Banken zu retten und deren Kunden zu retten, doch eine pure Selbstverständlichkeit sein. Wir haben natürlich Gründe. Wir zweifeln, dass die SPD hier irgendetwas Vernünftiges im Sinne hat, weil einer der vorgesehenen Kanzlerkandidaten, Frank-Walter Steinmeier, schon bei der letzten Wahl zur Bedingung gemacht hat, dass die Vermögenssteuer nicht in der Regierung realisiert wird.«

Das Formulieren von »Haltelinien« ist dann sinnvoll, wenn sie verdeutlichen, dass sie den Einstieg in einen anderen politischen Entwicklungspfad einleiten. Reduzieren sich Haltelinien auf ideologische Brandmauern, ist es sicher nicht vermessen zu behaupten, dass dieser strategische Ansatz schon jetzt zum Scheitern verurteilt ist. DIE LINKE hat noch keinen Zugang zu einer radikalen Reformpolitik gefunden, die in die zentralen gesellschaftlichen Debatten eingreift und mit eigenen Vorschlägen einen Entwicklungspfad benennt, der zur Wiedergewinnung politischer Stärke der Linken beiträgt.
So bewegt sich DIE LINKE derzeit in der Debatte um die Eurokrise auf einem eingeschränkten Pfad. Sie kritisiert, da »ja jetzt die Europäische Zentralbank fast unbegrenzt Anleihen aufkauft, wird ja auf einem anderen Weg im Prinzip auch wieder die parlamentarische Beteiligung umgangen. Wir erleben eben jetzt, dass Frau Merkel keine Mehrheit hat für erneuten Zuschuss von Geldquellen. Und deswegen macht es die Europäische Zentralbank, die natürlich dadurch ja auch keine demokratische Legitimation hat – ein Weg, den wir nicht für richtig halten. Über ESM werden die Schulden erhöht, über die EZB wird Geld gedruckt. Und was nicht gemacht wird, ist, dass umverteilt wird, dass Reiche und Vermögende zur Begleichung der Schulden herangezogen werden. Das ist aber der Weg, den DIE LINKE gern gehen würde«.[11]

DIE LINKE wird im kommenden Bundestagswahlkampf vor der Herausforderung stehen, eine präzise Strategie vorzulegen, wo aus ihrer Sicht Europa steht und welche Vorstellungen von Europa sie hat. Aus unserer Sicht hat DIE LINKE ihre Hausaufgaben für das nächste Jahr noch nicht gemacht. Die Ablehnung von Fiskalpakt und ESM und die immer wieder im Zentrum stehende Bankenkritik müssen in eine Gesamtkonzeption eingebunden werden. Dazu gehört, dass die öffentliche Hand bei einer Rekapitalisierung von Banken mit staatlichem Geld echte Entscheidungsbefugnisse bekommt und wirklich auch wahrnimmt, damit der Weg zu einem strikt öffentlich-demokratisch kontrollierten und deutlich verkleinerten Finanzsystem eingeschlagen werden kann. Ebenso brauchen wir ein effektives EU-weites Einlagensicherungssystem sowie den Aufbau eines von der Finanzwirtschaft selber finanzierten Bankenrettungsfonds. Schuldenbremsen für Europa bedeuten weiteren Demokratie- und Sozialabbau, sie verhindern notwendige Investitionen und heizen den Druck auf Löhne und Sozialleistungen an.

Um den Gefahren einer erneuten Rezession entgegenzuwirken, ist zudem ein umfangreiches Programm staatlicher Investitionen erforderlich. Eine Neugewichtung und -verteilung der EU-Mittel kann dazu beitragen, das EU-Wachstum anzukurbeln und würde nebenbei den sozialen, territorialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt in Europa stärken, anstatt ihn über Sparpolitik und Sozialkürzungen weiter auseinanderdriften zu lassen.

Solche Investitionen sollten Teil einer langfristigen Strategie zur Förderung von Solidarität und ökologischer Nachhaltigkeit sein und auf nationaler Ebene sowie auf EU-Ebene angeregt werden, einschließlich eines ambitionierten Plans zur Förderung von Investitionen in den Ländern, die von der Krise am stärksten betroffen sind. Für die Finanzierung dieser Programme könnte die Europäische Investitionsbank in großem Umfang herangezogen werden, die bereits ermächtigt ist, Schuldverschreibungen zur Finanzierung ihrer Aktivitäten auszugeben. Übergangsweise müssten in den Krisenstaaten private Investitionen durch ein System von staatlichen Anreizen in eine Richtung gelenkt werden, die den mittelfristig für richtig erkannten Zielen einer modernisierten Wirtschaftsstruktur entspricht. Zu den Instrumenten der Lenkung zählen etwa Landesentwicklungspläne und Raumordnungsprogramme, die zu einem langfristigen staatlichen Infrastrukturkonzept ausgebaut werden sollen.

Solange die europäischen Institutionen und die politischen Eliten nicht endlich dazu gezwungen werden, die wirtschaftlichen Abwärtstendenzen zu bekämpfen, wird die Zerstörung der Ökonomien und der demokratischen Willensbildung voranschreiten.[12] Von den Regierungen der EU wird Sparpolitik als Allheilmittel angesehen. Die Wirtschaftskrise fordert einen hohen Tribut von der Gesellschaft, in Form von Beschäftigungsrückgang, Zunahme der Arbeitslosigkeit, Teilzeit- und befristeten Arbeitsverträgen sowie zunehmender Ungleichheit und Armut. Die Rettung Europas kann nur gelingen, wenn sich die EU und die Staaten endlich vom Diktat der Finanzmärkte befreien.

DIE LINKE müsste deutlich machen, dass mit den dargelegten ökonomischen und politischen Maßnahmen ein solidarisches und soziales Europa geschaffen werden kann. Damit würde sie sich zudem deutlich von europafeindlichen Positionen unterscheiden.

Joachim Bischoff und Björn Radke sind Mitglieder der Partei DIE LINKE.

[1] In der FAZ vom 15.8.2012.
[2] Gertrud Höhler, Die Patin: Wie Angela Merkel Deutschland umbaut, Zürich 2012.
[3] Zitiert nach www.welt.de/politik/deutschland/article109247406/Union-mit-groesstem-Vorsprung-vor-SPD-seit-2009.html
[4] Die SPD sieht Merkel in der Mitverantwortung für die europakritische Stimmung in Deutschland. Merkel hätte den Menschen besser erklären müssen, welche Vorteile Deutschland durch Europa und den Euro habe. Die schwarz-gelbe Koalition fahre in der Eurokrise einen taktischen »Zick-Zack-Kurs«. Dagegen will die SPD im kommenden Bundestagswahlkampf argumentieren und die eurokritische Stimmung kippen. »Wir müssen klarmachen: ›Das wichtigste nationale Interesse ist die europäische Einheit‹.«
[5] Wolfgang Streeck, Wissen als Macht, Macht als Wissen. Kapitalversteher im Krisenkapitalismus, in: Merkus 9-2012 [www.klett-cotta.de/media/14/MR_2012_09_0776-0787_Streeck_WissenAlsMachtLP.pdf].
[6] Siehe Projekt Zukunft – Deutschland 2020. Zwischenbericht zur Klausur der SPD-Bundestagsfraktion am 13. Januar 2012, S. 6 [www.spdfraktion.de/sites/default/files/zwischenbericht_projekt_zukunft.pdf].
[7] Ebenda.
[8] Andrea Ypsilanti, Linke Litanei – ein Versuch der Einordnung, in Sozialismus 9-2012, S. 54ff. Andrea Ypsilanti – Mitglied der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag – war von März 2003 bis Januar 2009 Vorsitzende des hessischen Landesverbandes der SPD und von 2007 bis 2009 Vorsitzende der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag. Sie ist Mitbegründerin des Institutes Solidarische Moderne und eine von fünf SprecherInnen in dessen Vorstand.
[9] »Radikal ist, gesellschaftlichen Druck für Veränderungen aufzubauen«, Gespräch mit dem LINKEN-Vorsitzenden Bernd Riexinger, in: Sozialismus 9-2012, S. 49ff.
[10] Oskar Lafontaine, Warum die Linke oft recht hat, es aber nur selten bekommt [www.faz.net/aktuell/feuilleton/lafontaines-lektion-warum-die-linke-oft-recht-hat-es-aber-nur-selten-bekommt-11885411.html]
[11] Bernd Riexinger am 16.9.2012 im Interview mit dem Deutschland­radio.
[12] Das Problem ist deutlich: »Keiner weiß wirklich, wie insbesondere in den Krisenländern des Mittelmeerraums neues Wachstum zustande kommen soll. Die einen setzen auf Austerität: die Konsolidierung der Staatsfinanzen, unter anderem durch Entlassung von Staatsangestellten, Senkung der Löhne, ›Reformen‹ der Sozialsysteme, allgemeine Deregulierung – die übliche neoliberale ›Angebotspolitik‹, die möglichen Investoren Vertrauen einflößen will. Aber woher soll dann die Nachfrage kommen, ohne die jedes Angebot ins Leere geht? Die andern fordern ›Wachstumsimpulse‹ zusätzlich zu den Sparmaßnahmen; die Rede ist von einem ›Marshall-Plan‹ oder Ausbildungsprogrammen für arbeitslose Jugendliche. Wie schnell wirken die, wenn überhaupt? Der Aufbau von Wettbewerbsfähigkeit durch Investitionen von außen in Infrastruktur und Ausbildung ist teuer und dauert lange; im Osten Deutschlands war er in zwei Jahrzehnten nur begrenzt erfolgreich, im italienischen Süden in sechs Jahrzehnten so gut wie gar nicht.« (Wolfgang Streeck, a.a.O.) Dagegen: »Die Herausforderung besteht demnach darin, das neoliberale Paradigma zu verwerfen und durch das Paradigma eines ›strukturellen Keynesianismus‹ zu ersetzen, das den politischen Instrumentenkasten erneuert und die Beziehung zwischen Lohn- und Produktivitätswachstum wieder herstellt. Das Ziel ist, die Beschäftigten als bevorzugtes Objekt der Politik ›heraus‹ zu nehmen und stattdessen Unternehmen und Finanzmärkte zum Gegenstand zu machen, damit diese dem allgemeinen Interesse dienen. Dies erfordert das Ersetzen der unternehmensgetriebenen Globalisierung durch eine gelenkte Form der Globalisierung, die Erneuerung des Bekenntnisses zur Vollbeschäftigung, die Substituierung der neoliberalen Anti-Staats-Agenda durch eine soziale und demokratische Vorstellung des Staates, sowie die Ablösung neoliberaler Arbeitsmarktflexibilität durch eine auf Solidarität aufbauende Konzeption des Arbeitsmarktes.« (Thomas Palley, Von der Finanzkrise zur Stagnation: Das Ende allgemeiner Prosperität und die Rolle der Wirtschaftswissenschaften, www.gegenblende.de/15-2012/++co++82df618c-9f78-11e1-49bd-52540066f352).

 

Zurück