25. November 2021 Andreas Fisahn

Kapitalismus und Sexismus

Silvia Federici will in ihrem Buch »Caliban und die Hexe«[1] den Zusammenhang von Kapitalismus und Sexismus aufzeigen, was Anlass zu einer intensiven Lektüre gibt.


Notwendigkeit von Sexismus im Kapitalismus

Vorgenommen hat sich die Autorin Folgendes: »Die politische Lektion, die wir ›Caliban und die Hexe‹ entnehmen können, lautet in der Tat, dass der Kapitalismus als sozio-ökonomisches System zwingend auf Rassismus und Sexismus angewiesen ist.« (25) Sie hat sich also nicht weniger vorgenommen, als die Notwendigkeit sexistischer und rassistischer[2] Diskriminierung im kapitalistischen System nachzuweisen.

Den Sexismus oder die patriarchale Struktur des Kapitalismus erläutert und begründet Federici zentral mit dem Hinweis auf die Hexenverfolgung, die Ende des 15. Jahrhunderts begann und erst im 18. Jahrhundert beendet wurde. Diese Teile könnten nicht nur aus historischem Interesse interessant sein, sondern auch, weil sie möglicherweise Rückschlüsse auf die Mechanismen erlauben, die zur Hexenjagd in einem metaphorischen Sinn führen.

Prüfen wir also, ob es Federici gelingt, den notwendigen Zusammenhang von Kapitalismus und Sexismus nachzuweisen. Inzwischen hat sich weitgehend herumgesprochen, dass es »den« Kapitalismus nicht gibt, es vielmehr innerhalb des Kapitalismus in zeitlicher und geografischer Hinsicht unterschiedliche Entwicklungswege oder -pfade gibt. Weil »der« Kapitalismus unterschiedliche Gesichter hat, spricht man von Kapitalismen, − in einer anderen Theorietradition − von seinen Entwicklungsstufen, oder man diskutierte die »Varieties of Capitalism«. Wenn es Variationen des Kapitalismus gibt, muss es einen Kern geben, der in allen Varianten anzutreffen ist. Will man also beweisen, dass »der Kapitalismus als sozio-ökonomisches System zwingend auf Sexismus angewiesen ist,« müsste man diesen Kern bestimmen und zeigen, dass dieser Kern auf Sexismus angewiesen ist. Oder man müsste begründen, dass der Sexismus zum Kern des Kapitalismus gehört. Federici versucht weder das Eine noch das Andere.

Der Kern des Kapitalismus lässt sich bestimmen über Gesetzmäßigkeiten wie die Verwertung von Wert, d.h. die Verzinsung von eingesetztem Kapital, oder die Notwendigkeit der Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter, also dem beständigen Zwang zu Wachstum. Der Sexismus gehört nicht zu dieser ökonomisch bestimmten Struktur von Kapitalismus. Die Gegenthese ist dann leicht zu formulieren: Für die Verwertung von Wert ist es schnuppe, auf welchem Wege sie vonstattengeht. Sie kann sich mit Sklaverei verbinden und das geschieht auch immer noch,[3] sie muss es aber nicht. Für die Verwertung von Wert ist es möglicherweise uninteressant, wie die Reproduktion der Arbeitskraft sichergestellt wird. Das kann in patriarchalen Strukturen geschehen und historisch war es in der Regel so, muss es aber nicht, denn aus der Empirie ergibt sich keine logische oder strukturelle Notwendigkeit. Federici müsste das Gegenteil beweisen und das für alle Variationen des Kapitalismus. Sie müsste aus der empirischen Feststellung also eine logische Notwendigkeit machen, was sie aber nicht im Ansatz versucht, schon weil sie keinen Begriff von Kapitalismus hat oder diesen zumindest nicht offenlegt.

Andreas Fisahn ist Professor am Lehrstuhl für öffentliches Recht, Umwelt und Technikrecht und Rechtstheorie an der Universität Bielefeld. Er ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Rosa-Luxemburg-Stiftung und gehörte auch dem von Attac an, der sich gerade in einer Neuorientierung befindet. 2021 beteiligte er sich an der Veröffentlichung des Sammelbands »Das Chaos verstehen. Welche Zukunft in Zeiten von Zivilisationskrise und Corona?« im VSA: Verlag. Dort gab er zudem 2019 zusammen mit ­Ridvan Ciftci den Band »Nach-Gelesen. Ein- und weiterführende Texte zur materialistischen Theorie von Staat, Demokratie und Recht« heraus. Im Jahr 2017 war von ihm als Band 51 der Reihe »AttacBasisTexte« der Text »Hinter verschlossenen Türen: Halbierte Demokratie. Autoritären Staat verhindern, Beteiligung erweitern« erschienen.

[1] Silvia Federici, Caliban und die Hexe, Berlin/Wien 2017. Seitenzahlen ohne weitere Angaben beziehen sich auf diesen Text. Der Titel nimmt explizit Bezug auf Figuren aus Shakespeares Werk »Der Sturm«. Der Zauberer Prosperos landet mit seiner Tochter auf einer Insel, auf der auch der Luftgeist Ariel, die Hexe Sycorax sowie deren Sohn Caliban leben.
[2] Die Diskussion des Rassismus findet im Wesentlichen am Beispiel der Versklavung afrikanischer Menschen und der Sklavenausbeutung in Süd- und Nordamerika statt. Schon diese Beschränkung ist so wenig überzeugend und die Argumentation so schwach, dass ich im Folgenden diese Teile überspringe.
[3] Vgl. Gerstenberger, Heide, Markt und Gewalt – Die Funktionsweise des historischen Kapitalismus, Münster 2016.

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