1. Januar 2010

Kapitalistischer Realismus

25 Jahre ist es her, dass Frederic Jameson seinen Aufsatz "Postmodernism, or The Cultural Logic of Late Capitalism" in der New Left Review veröffentlichte und in diesem die Notwendigkeit von Periodisierungen in Bezug auf "kulturelle Dominanten" und daraus folgend die Beschreibung der Postmoderne als kulturelle Logik des Spätkapitalismus konstatierte.

Sich abhebend von der bloßen Kategorisierung von Stilrichtungen, führte Jameson als Vorteil dieses Vorgehens an, dass es sich um eine Konzeption handele, "die es ermöglicht, die Präsenz und die Koexistenz eines Spektrums ganz verschiedener, jedoch einer bestimmten Dominanz untergeordneter Elemente zu erfassen."[1] Das Konzept des "Capitalist Realism", das der britische Kulturwissenschaftler, Blogger,[2] Musikjournalist und Dozent am Londonder Goldsmith College, Mark Fisher, in seinem gleichnamigen Buch darlegt,[3] baut auf Jameson Überlegungen auf, passt es aber in seiner Periodisierungsabsicht der unmittelbaren Gegenwart der "noughties" (2000er Jahre) an. Die Untersuchungsfelder, an denen er seine Überlegungen ausführt, findet er vor allem in zeitgenössischer Populärkultur, Filmen, Musik und Literatur sowie in einer auch aus seiner Lehrtätigkeit schöpfenden Betrachtung heutiger Adoleszenzkulturen. Im nachfolgenden Interview mit dem Bremer Kulturwissenschaftler Johannes Springer erläutert Fisher einige seiner Überlegungen.

Sie nehmen Bezug auf Frederic Jameson and Slavoj Zizek mit der These, dass es heutzutage einfacher geworden sei, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus. Sogar Romane und Filme hätten diese Fähigkeit mehr und mehr verloren. Was hat diese so impotent gemacht?
Es wird immer deutlicher, dass individuelle Sektoren der Kultur nicht funktionieren können ohne weitflächigere Unterstützung. Film, Musik, Literatur brauchen einander, aber sie brauchen darüber hinaus auch ein Wissen davon, dass Dinge anders sein können, als sie es jetzt sind. Dieses Wissen ist erodiert durch das, was ich "Capitalist Realism" nenne. Oder vielleicht ist es besser zu sagen, dass "Capitalist Realism" die Erosion ist: die reduzierten Erwartungen, die aus der weitverbreiteten Überzeugung resultieren, dass nicht nur keine Alternative zum Kapitalismus existiert, sondern dass im Endeffekt Kultur und alles andere auch Business ist. "Capitalist Realism" erzählt uns, dass die Zeit der Mythen vorbei ist, dass wir nun der Realität ins Auge schauen müssen und dass die Realität Business ist. Es ist kein Zufall, dass "Reality" der Name für die erfolgreichste Art von Unterhaltung der letzten Dekade ist.

Der Ausdruck "Capitalist Realism" spielt mit Frederic Jamesons Definition der Postmoderne. Wo liegen Überschneidungen und woher kommt das Bedürfnis, trotzdem eine neue Terminologie einzuführen?
"Capitalist realism" enthält praktisch alles, was Jameson unter dem Label der Postmoderne diskutiert, das Ineinanderfallen von Hoch- und Massenkultur, ein Gefühl von Tiefenlosigkeit, das Fehlen eines Zentrums, die Probleme von Pastiche und Nostalgie. Aber es kommt mir so vor, dass diese Prozesse mittlerweile so tief verankert und für selbstverständlich gehalten werden, dass sie ihre Natur verändert haben. Als Jameson begann, diese Phänomene zu beschreiben, waren sie noch einigermaßen neu. Jetzt nicht mehr – es gibt nicht mehr länger etwas, mit dem wir die Postmoderne kontrastieren könnten, ausgenommen zunehmend entfernte Erinnerungen. Ein Teil der Signifikanz von Owen Hatherleys Buch "Militant Modernism" war es, diese Erinnerungen zu revitalisieren, den Schock des Neuen etwa, der jetzt noch schockierender ist, da das Neue gar nicht mehr vorstellbar ist. Nach 1989 ist die Postmoderne zum globalen Zustand geworden, nicht mehr nur die Malaise unserer Welt, sondern, wie es schien, auch aller möglichen Welten. Der Feind des Kapitalismus war besiegt, die Moderne lange verschwunden; so konnte der "Capitalist Realism" entstehen.

"Capitalist Realism" wurde in anderen Kontexten und Bedeutungen schon mal verwendet, in Ihrer Verwendung zielt es auf eine tiefgreifende und überall vorhandene Atmosphäre.
Ja, der Begriff hatte eine existierende Verwendung. Aber ich habe das nicht realisiert, bis ich ihn schon verwendet hatte. Eigentlich sollte es ein Spiel mit dem "Sozialistischen Realismus" sein. Aber anders als dieser lässt sich "Capitalist Realism" nicht auf einen einzigen Stil oder ein Set an einfach identifizierbaren kulturellen Eigenschaften reduzieren. Zunächst einmal wohnt es nicht nur der Sphäre der Kultur inne, sondern betrifft auch die Art, wie Arbeit strukturiert ist und erfahren wird. Mit der durchdringenden, omnipräsenten Atmosphäre meine ich etwas ähnliches wie Raymond Williams mit dem Konzept der Gefühlsstruktur. Das Gefühl, dass es das nun war, dass sich Nichts in einem fundamentalen Sinn noch ändern kann, dass es immer so sein wird und wir aufgeben sollten, dem Vordringen ökonomischer Logiken in alle Bereiche des Lebens Widerstand zu leisten – das ist "Capitalist Realism".

Die Art, wie Sie im Buch das Genre des amerikanischen Gangster-Films behandeln, um die Verschiebung vom Fordismus zum Postfordismus zu beleuchten, ist sehr faszinierend. Was können wir über diese Zäsur lernen von Francis Ford Coppolas "The Godfather" und Michael Manns "Heat"?
Es schien mir, dass die Verschiebung vom Fordismus zum Postfordismus, der massive Wandel in der Ökonomie und der Organisation von Arbeit in den letzten 30 Jahren, die Abkehr von Fabrikarbeit etc. zur Just-in-time-Produktion und lebenslanges Lernen sehr gut in Michael Manns "Heat" eingefangen wurde. In "The Godfather" und "Goodfellas" war man konfrontiert mit organisierter Kriminalität, verwurzelt in einzelnen Nachbarschaften, verknüpft mit Familien, die Geschichte und Tradition besitzen. In "Heat" begegnet man anonymen, wurzellosen Experten ohne Vergangenheit und Bindungen, die von einem Moment auf den anderen aufgegeben werden können. Der tragische Fehler des De Niro-Charakters besteht in seiner Unfähigkeit, seinem ultra-pragmatischen Credo gerecht zu werden, indem er sich in einem Old-School Gangster Vergeltungsakt ergeht und dafür bezahlt. Wo die Scorsese- und Copolla-Gangsterfilme von Codes und ihrem Verrat handelten, thematisiert "Heat" Flexibilität, eine der Leitvokabeln des Postfordismus.

Eine Menge populärkultureller Artefakte aus dem HipHop, literarische Neo-Noir-Romane, Comics, die für sich beanspruchen, die Welt ungeschönt zu zeigen, wie sie wirklich ist, nämlich in hobbeseanischen Zuständen, werden von Ihnen als abstumpfend identifiziert. Sie würden die Rezipienten nur zynischer und indifferent machen, wenn nicht sogar sie zu "homo reaganus"[4] transformieren, den Willen zur Macht umarmend und die Orientierung an Konsum reproduzierend. Wie sind Teile der Popkultur in diese Sackgasse geraten?
Im Fall von HipHop war es die Abwendung von Black Power, von emanzipatorischen Politiken im Allgemeinen und die Hinwendung zu einer Art von Lotterie-Mentalität. "We can't all get out, but I can get out." Als die Bedingungen entsetzlich wurden und es keine Chance einer politischen Lösung gab, erschien es sinnvoll, sich mit "Capitalist Realism" zu überidentifizieren, zu sagen: "Ok, lasst uns den Tatsachen ins Auge schauen, lasst uns gegenseitig keine Märchen erzählen." Und für eine kleine Minderheit war Rap die Möglichkeit, zu unglaublichem Reichtum zu kommen. Gangster Rap war ein Beispiel für einen anti-mythischen Mythos, es ist "realistisch", nicht weil es mit irgendeiner empirischen Situation korrespondiert, sondern weil es jede Möglichkeit von Solidarität entfernt und an dessen Stelle Käuflichkeit, Gewalt und Ausbeutung setzt.
James Ellroy präsentiert einen sehr ähnlichen Blick auf die Welt, allerdings dezidiert politischer: Ellroy macht in seiner Einleitung zu "American Tabloid" deutlich, dass er den liberalen (im amerikanischen Sinne) Mythos, der um die Kennedys gewachsen war, zerlegen wollte. Anstelle von Camelot haben wir also diese purgatorische Welt universellen Betrugs, in der der Antiheld Pete Bondurant – jemand ohne Ideale und Werte – bereit ist, für den Meistbietenden zu arbeiten.
Dann haben wir die Frank Miller-Masche, welche zum Teil eine Pose erwachsener Raffinesse und Erfahrenheit ist. Die Leute gingen mit Heroismus und Masken, aber das ist alles Kinderkram. Der "reife" Ansatz spielt das Psychologische hoch, aber das wird schnell langweilig und berechenbar, wie all die anti-mythischen Erzählungen.

Diese Einschätzung der Härte und Brutalität von großen Teilen zeitgenössischen HipHops führte Sie dazu, die Rückkehr des weichen, verschwommenen und diffus erotischen Utopianismus von Psychedelic Soul zu begrüßen, wie er zum Beispiel auf dem neuen Sa-Ra Creative Partners Album präsentiert wird. Was sind dessen Vorzüge im Vergleich zu den realistischen Ambitionen von z.B. Public Enemy?
Gute Frage, aber die Antwort ist kein entweder/oder. Public Enemy basierte zu gewissen Teilen auf Psychedelic Soul zum Beispiel in Samples von "Psychedelic Shack" oder "Welcome To The Terrordrome". Genauso wie Psychedelic Soul tief politisiert war.
Trotzdem wirft die Frage interessante Punkte auf. Ist die effektivste Alternative zum "Capitalist Realism" ein antikapitalistischer Realismus? Vielleicht kann man Public Enemy als Repräsentanten dieser Option interpretieren, auch wenn ich denke, dass es eine utopische Dimension bei ihnen gab. Es ging nicht nur darum zu sagen, wie Dinge sind, sondern auch wie sie sein könnten.
Eine andere Alternative zum "Capitalist Realism" wäre es, die "realistische" Seite zu attackieren. Ich denke, Sa-Ra Creative Partners fallen hierunter, aber das Interessante an ihnen ist, dass ihr Afrofuturismus[5] nicht gänzlich abgehoben von der Straße schwebt. Es ist der Kontrast zwischen dem Druck des schwarzen, urbanen Lebens und der Erotik plus LSD, was ihre Alben so mächtig macht. Dies ist die gleiche Spannung, die auch im ursprünglichen Psychedelic Soul anzutreffen war.

Wie sieht es mit anderen Beispielen aus, die den "Capitalist Realism" in produktiver und emanzipatorischer Weise bearbeiten? Zum Beispiel mit David Peace?
Peace ist wie ein Anti-Ellroy. Er wird manchmal beschuldigt, ein Ellroy-Imitator zu sein, und Ellroy hat eindeutig etwas ausgelöst in ihm. Aber Peace bringt andere Einflüsse ins Spiel, vor allem Post-Punk-Musik. Wo Ellroy korrupte Cops wie Dudley Smith bewundert, hat Peace die Leidenschaft eines Racheengels für Gerechtigkeit. Die Red Riding-Romane erzählen in einer Hinsicht von der Entwicklung des "Capitalist Realism" in Großbritannien, ein Thema, das Peace in GB84, seinem Roman über den Bergarbeiterstreik direkt angeht. Peace räumt die Macht des "Capitalist Realism" ein, er schreibt Geschichte nicht um, zugleich jedoch weigert er sich, Gerechtigkeit aufzugeben, er weigert sich, zu einem pragmatischen Abfinden mit den Zuständen zu kommen.
Überdies denke ich, dass das, was ich und andere "Hauntology"[6] nennen ein Weg ist, mit "Capitalist Realism" in positiver Weise umzugehen. Hauntology ist die andere Seite des "Capitalist Realism"; es ist der Name für kulturelle und politische Mächte, die nicht in der Lage sind, sich im Jetzt zu verwirklichen, aber fortbestehen in geisterhafter Form als Zeichen, dass die Umstände nicht immer so waren, wie sie jetzt sind, und dass Zukünfte noch unrealisiert sind. Burials Musik z.B. ist ein Zeugnis für den existenziellen Verfall des neo­liberalen Großbritanniens, aber es ist auch der Ruf nach etwas anderem, etwas, das darüber hinausgeht. Das Ghost Box-Label wiederbelebt bzw. erträumt den so genannten Nachkriegskonsens als etwas ganz anderes, als er nachträglich von neoliberalen Ideologien gezeichnet wurde, nicht als Zeit von bürokratischer Tristesse, sondern paternalistischer Verrücktheit. Bei Ghost Box gibt es keine Sehnsucht nach Hochkultur-Modernismus, sondern nach Pulp-Moderne, nach der Moderne von Penguin-Büchern, dem BBC Radiophonic-Workshop, nach Art Rock und Post Punk.

Aus Ihrer eigenen Lehrtätigkeit schöpfend schenken Sie der heute heranwachsenden Generation über populärkulturelle Phänomene hinaus Beachtung. Sie beobachten neben Angst und Zynismus eine depressive Hedonie in großen Teilen der Jugendlichen. Was verbirgt sich hinter dieser Beobachtung?
Depression ist normalerweise charakterisiert als ein Zustand von Anhedonie, also der Unfähigkeit, Vergnügen an Dingen zu haben. Ich denke jedoch, dass die Jugend, die in das Ende der Geschichte hineingeboren wurde und ausschließlich konservativen Konsumismus kennengelernt hat, zunehmend depressiv wird, weil Vergnügen das Einzige ist, was im Angebot ist. Da Vergnügen allerdings nichts zur Erhöhung des Selbstwertgefühls beiträgt, führt es unweigerlich zu Unzufriedenheit und Niedergeschlagenheit. Es gibt kaum einen politischen Ausfluss für diese Unzufriedenheit, die dann häufig die Form der Depression annimmt und als medizinisches anstatt als soziales oder politisches Problem verhandelt zu werden. Aber die Anzahl von jungen Menschen, die Antidepressiva nehmen, sollte skandalisiert, statt einfach hingenommen werden. Der einzige Weg der Überwindung scheint mir darin zu liegen, privatisierte Depression in kollektive Wut zu transformieren. Möglicherweise passiert dies gerade in einigen Universitätsbesetzungen in diesen Wochen. Depression zu politisieren, ist eine dringende Aufgabe.

Sie schreiben, dass der Neoliberalismus leninistischer als der Leninismus war, und zwar dergestalt, dass er z.B. Think-Tanks als intellektuelle Avantgarde beschäftigte und insgesamt sehr interessiert daran war, ein politisches Klima, eine Atmosphäre des "Capitalist Realism" zu kreieren. Ein Problem, das auch aus gramscianischer Perspektive ausführlich beleuchtet wurde. Was kann ein neues linkes politisches Projekt vom Neo­liberalismus lernen?
Eine Menge Dinge können gelernt werden. Der Neoliberalismus geschah nicht als Gesetz der Geschichte. Kleine Gruppen saßen zusammen und planten, wie sie die organisierte Arbeiterklasse brechen, wie sie ihre Ideologie in Regierungen unterbringen könne etc. Es gibt eine gewisse Verachtung auf Seiten der Linken, besonders in den Teilen, die beeinflusst sind von Trends kontinentaler Philosophie, für Organisationen und Institutionen. Der Post-68er-Glaube an Spontaneität hat sich in manchen Teilen durchgesetzt. Was die Neoliberalen jedoch organisiert haben, war im Endeffekt eine erfolgreiche politische ökonomische Revolution, die das, was unmöglich und undenkbar schien, unumgänglich und unvermeidlich machte. Sie bewegten sich schnell, um Momente von Anomie auszunutzen, wie Naomi Klein in ihrem Buch "Die Shock-Therapie" zeigt; sie bauten heterogene Allianzen und nahmen PR ernst. Der Neo­liberalismus hatte Ressourcen (nicht zuletzt Geld), die für die Linke nicht verfügbar sind, aber die Linke hat andere Ressourcen, zum Beispiel eine Menge an Leuten. Die wichtigste Lektion jedoch ist aus seinem Selbstvertrauen zu entnehmen: Die Neoliberalen stellten sich eine politisch-ökonomische Welt vor, komplett anders als die, in der sie lebten, und sie fingen an, sie zu verwirklichen.
In Einklang mit Zizek scheinen Sie die Idee einer Revitalisierung von Paternalismus zu befürworten und plädieren für eine marxistische Supernanny.
Wie ich schon im Buch ausführe, ich mag den Begriff Paternalismus nicht besonders, aber zur Zeit ist kein alternatives Wort vorhanden. Paternalismus sollte nicht als autoritär interpretiert werden, es ist vielleicht am besten, sich Paternalismus auf der Grundlage des Prinzips der Gabe vorzustellen: den Menschen etwas zu geben, wovon sie nicht wussten, dass sie es wollten. Das Paradox des neoliberalen Anti-Paternalismus ist, dass es nicht dazu geführt hat, dass Menschen wie Erwachsene behandelt werden. Es hat zu einer Infantilisierung geführt, dazu, dass Menschen wie Idioten behandelt werden mit absurd kurzen Aufmerksamkeitsspannen.

Das Konzept der Askese, der neuen Strenge, das Sie für notwendig halten, wirkt wie ein Angriff auf die postmoderne Kulturlinke, die versuchte, Linkssein mit Hedonismus und Coolness zu verbinden.
Es geht um Askese und Strenge in einem gewissen Sinn, aber es geht auch um unterschiedliche Formen von Genuss. Formen von Genuss, die nicht abhängig sind von materiellem Exzess, die im Gegenteil geschärft werden könnten durch eine Reduktion von Konsumgütern. Die Argumentation sollte beinhalten, dass es sowohl eine Umverteilung geben muss, als auch, dass die Symbole des Konsumismus nicht zu einem guten Leben führen. Die Super-Reichen sind nicht zu beneiden, wir wollen ihre Ressourcen, aber nicht ihre traurigen Leben. Die Ära, für die der Kulturtheoretiker Jim Mcguigan jüngst den Begriff des "cool capitalism" geprägt hat, ist eigentlich eine Zeit der Überreizung, furchtbarer Niedergeschlagenheit und immenser Langeweile. Business ist langweilig. Geld machen ist langweilig.

Sie schreiben viel über die Rolle der Gewerkschaften und ihre Unfähigkeit, gerade in dem Sie betreffenden Bildungsbereich, effektiv zu mobilisieren. Auch der Fokus der britischen Bildungs-Gewerkschaften auf Israel-Fragen erscheint in diesem Licht mehr als ärgerlich. Auf der anderen Seite begegnen Gewerkschaften dem Postfordismus immer stärker mit dem Konzept des Organizing. Was also könnte und müsste ihre Rolle sein?
Das Problem mit der Fixierung auf Palästina etc. ist, dass es den Blick weglenkt von Kämpfen, die dem Arbeitsplatz immanent sind, und suggerieren, dass sich reale Politik anderswo abspielt. Es ist klar, dass die Beseitigung der Gewerkschaften von der politischen Landschaft in Großbritannien desaströs ist, da nun die einzigen substantiellen Interessengruppen, die auf die Politik einwirken, von der Unternehmerseite kommen. Aber die fordistischen Bedingungen, die es Gewerkschaften erlaubten, bis in die 1980er erfolgreich zu sein, sind nicht wiederherzustellen. Arbeiter sind verstreut, flexibilisiert. Meine Erfahrung mit Gewerkschaften, die selektiv sein mag, ist, dass sie den Wandel zum Ausdruck zeitgenössischer Unzufriedenheit noch nicht gefunden haben. Der Fokus liegt immer noch zu sehr auf Löhnen und Streiks, zu wenig auf Arbeitsbedingungen, Arbeiterautonomie und neuen Formen industriellen Kampfes. Des Weiteren bleibt es fraglich, wie sich Gewerkschaften auf Arbeiter einstellen können, die wie ich in mehreren verschiedenen Feldern (u.a. als Hochschullehrer, Blogger und freier Journalist. Anm. J.S.) oder prekär arbeiten. Aber es gibt keinen Grund, warum sie sich nicht anpassen könnten, oder warum neue Arbeiterassoziationen nicht entstehen sollten.

[1] Fredric Jameson: Postmoderne – Zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus, in: Andreas Huyssen/Klaus R. Scherpe (Hrsg.): Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels. Reinbek 1986, S. 48.
[2] k-punk.abstractdynamics.org
[3] Mark Fishers Buch "Capitalist Realism" ist im Dezember 2009 im jungen britischen Verlag Zero Books erschienen, dessen Veröffentlichungen zu einer politischen Lektüre und Wiederentdeckung brutalistischer Architekturen des 20. Jahrhunderts, wie in "Militant Modernism", oder Avantgardemusiken, wie in "Fear of Music", ebenfalls zu empfehlen sind.
[4] Dieser Begriff wurde von Mike Davis in "City of Quartz" eingeführt, um die Fiktionalisierung moralischer Werte der Reagan-Ära zu beschreiben.
[5] Unter Afrofuturismus wird der afroamerikanische und afrobritische Ideenkomplex verstanden, der die historische Entführung afrikanischer Menschen in die Sklaverei mit dem alien abduction-Motiv in Science Fiction und anderen Populärmythen verknüpft, vor allem in Jazz, Funk und Detroit Techno auftritt und auf eine subversive Verarbeitung von Fremdheitserfahrungen und Rassismus abhebt. In Trickster-Figuren wie Sun Ra oder George Clinton wird durch Kostümierung, Bühnenbild, Instrumentierung und Selbstmythisierung die Herkunft von einem anderen Stern, Hybridität und ein Doppelleben am Rand der US- oder UK-Gesellschaft konstruiert. Hiermit wird ein Mittel gefunden, den eigenenen Fremdkörperstatus neu zu thematisieren und ihn subversiv aufzuladen. Mit "Motherships" soll die Menschheit in eine andere Zukunft aufbrechen. (Anm. J.S.)
[6] Ein von Jacques Derrida in "Marx' Gespenster" geprägter Begriff, der von der britischen Kulturwissenschaft in den letzten Jahren stark rezipiert wurde, um u.a. Musikstile wie Dubstep, Ambient etc. zu analysieren. (Anm. J.S.)

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