26. Oktober 2017 Armando Fernández Steinko

Katalonien: Die Linke und die Sezession

Der Prozess der katalanischen Sezession wird von drei sozialen Gruppen angeführt: den katalanisch sprechenden Bediensteten der Autonomiebehörden, den (kleinen) Unternehmern, die in der Krise Verluste hinnehmen mussten oder dem europäischen Wettbewerb nicht standhalten konnten, z.B. die Familie des (ehemaligen Ministerpräsidenten) Artur Mas, und den traditionalistischen ländlichen Mittelschichten, die früher die Carlisten unterstützten und erheblich von der Subventionspolitik des langjährigen Ministerpräsidenten Pujol profitierten.

Es handelt sich um Menschen, die die Ordnung lieben und wenig Interesse an Abenteuern haben, deren politische Vorstellungen aber vor dem Hintergrund einer Radikalisierung neoliberaler Politik Teil einer Entwicklung in breiten Teilen Europas sind. Sie sind tief verwurzelt in der deutschen Rechten, aber auch bei den Exporttigern Österreich und Finnland, in den nördlichen Regionen Belgiens und Italiens und natürlich auch in den Niederlanden.

In dieser Ideenwelt muss das Territorium, verstanden als eine soziale, identitäre und institutionelle Einheit, hart konkurrieren mit anderen Territorien, um eine positive Handelsbilanz zu erzielen, Investitionen anzuziehen und seinen Wohlstand zu sichern. Dieser »Wohlstandschauvinismus« hat nur in seiner konservativsten Variante eine ethnische Komponente, zu ihm gehört aber immer ein Gefühl kultureller Überlegenheit. Er kann sich weiter entwickeln zu einer ultrarechten Version, was aber nicht notwendigerweise geschieht. Die Länder des europäischen Südens, aber auch die abgehängtesten Regionen in den eigenen Ländern, etwa Ostdeutschland, der Mezzogiorno oder Wallonien, werden als fi­nanzieller Ballast betrachtet, für den die prosperierenden Regionen keine Solidarität entwickeln sollen, damit sie ihren Wohlstand bewahren können.

Der konservative und liberale Flügel der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung betrachtet die Welt durch einen Filter: Der »spanische Staat«, ein kulturell fremdes Gebilde, ist ein Ballast, von dem man sich befreien muss, um zum »Finnland des Mittelmeers« zu werden. Von hier bis zur Forderung nach der Sezession ist es nur ein kleiner Schritt.

Für die konservativen Kreise hat dieses Denken keine unüberwindbaren ideologischen Barrieren. Die Linken dagegen verwickeln sich in bedeutsame Widersprüche, wenn sie ihren Unabhängigkeitsdiskurs retten wollen.

Armando Fernández Steinko lehrt Soziologie an der Universidad Complutense de Madrid. Der Beitrag erschien zuerst in El País vom 30.9.2017. Übersetzung von Thomas Jaitner.

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