1. Mai 2010 Bernhard Sander

Kleine Bundestagswahl

Nordrhein-Westfalen hat als größtes Bundesland politisch wie wirtschaftlich eine besondere Bedeutung. Acht Monate nach der Bundestagswahl kommt es hier zu einer erneuten Vermessung der politischen Kräfteverhältnisse. In die Entscheidung der BürgerInnen, welcher Partei sie bei der Landtagswahl am 9. Mai, wenn überhaupt, ihre Stimme geben, fließt selbstverständlich auch ihr Urteil über die Bundesregierung ein.

Der Fortgang der Großen Krise seit der Bundestagswahl hat Unionsparteien und FDP vor große Probleme gestellt, eine halbwegs stimmige Regierungspraxis zu entwickeln. Nach dem drastischen Einbruch der Wirtschaftsleistung im Jahr 2009 um 5% kommt die wirtschaftliche Erholung nur schleppend in Gang. Dramatische Steuerausfälle haben im Zusammenspiel mit hohen Kosten der Stützungsaktionen für den Finanzmarkt und der (viel zu bescheidenen) Konjunkturprogramme die Staatsverschuldung explodieren lassen. Und nach wie vor herrscht auch im bürgerlichen Lager Unsicherheit über den weiteren Fortgang der wirtschaftlichen Entwicklung und damit auch über die Chancen für die Realisierung einer Exit-Strategie aus dem Staatsinterventionismus.

Das Beharren der FDP auf Steuersenkungen und ihr Hang zum Klientelismus ("Mövenpick-Partei") haben ihr Ansehen beim Wahlvolk massiv beschädigt. Aber auch die Unionsparteien verfügen über kein Projekt der Erneuerung nach dem Scheitern des Finanzmarktkapitalismus, sondern suchen tastend nach geeigneten Maßnahmen, um die Krisenkonstellation beherrschbar zu halten, was immer auch mit massiven internen Konflikten (Wachstumsbeschleunigungsgesetz, Gesundheitspolitik etc.) einhergeht. Im Resultat droht Schwarz-Gelb sowohl auf Bundes- als auch Landesebene (NRW) der Verlust der politischen Mehrheit.

Verliert Schwarz-Gelb die Mehrheit in NRW, hat das Konsequenzen auch für die Bundespolitik, weil die Bundesregierung sich bisher auf eine (alt-)bürgerliche Mehrheit im Bundesrat stützen kann. Dann wäre die Zeit des ungestörten Durchregierens vorbei.

Da die beiden erklärten Wunschkoalitionen SPD-Grüne und CDU-FDP aktuell fast gleichauf liegen, hängt viel davon ab, ob DIE LINKE den Einzug schafft. Von Gewicht wird schließlich auch die Wahlbeteiligung sein. Die Wut über die rot-grüne Regierung in Bund und Land ließ sie 2005 auf 63% steigen (gegenüber 56,7% im Jahr 2000); allerdings beteiligten sich an der Kommunalwahl im August 2009 nur noch gut 52%.

Veraltete ordnungspolitische Vorstellungen

Ministerpräsident Rüttgers hat im Chor der CDU-Granden immer eine eigenwillige Rolle gespielt. Schon sehr früh hat er gegen den "Marktradikalismus" und gegen Tendenzen einer radikalen Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme in den eigenen Reihen Stellung bezogen. Immer wieder wendet er sich auch (nicht nur aus wahltaktischen Gründen) gegen Maßnahmen oder Pläne der schwarz-gelben Bundesregierung (z.B. Steuersenkungen). Dazu passt, dass er sich in den letzten Jahren als Nachfolger der mythisch überhöhten Gestalt des Johannes Rau in Szene gesetzt hat. Nachdem die Koalition mit der Parole "Privat vor Staat" gestartet war, warnte Rüttgers nach der Standortverlagerung des subventionierten Nokia-Werks früh vor den Folgen des Turbo-Kapitalismus, um sich schließlich als Retter des Opel-Standorts zu inszenieren (bisher ohne Erfolg). Dies hat allerdings nicht verhindert, dass die Regierungspraxis der schwarz-gelben Landesregierung weitgehend von einer neoliberalen Agenda bestimmt war, worüber die BürgerInnen bei der Landtagswahl ihr Urteil fällen werden.

So hat die schwarz-gelbe Regierung in der ersten Phase ihrer Amtszeit ca. 13.000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst abgebaut, teilweise durch Verlagerung der Aufgaben auf untergeordnete Kommunen, ohne eine entsprechende Finanzausstattung bereitzustellen. Die Landeswohnungsbaugesellschaft LEG wurde teils an Immobilientrusts veräußert, die Reste der Aufsicht des Parlaments entzogen und dem Vermögen der NRW-Bank zugeschlagen.

Die Gemeindeordnung wurde geändert, damit die Kommunen nur noch dort wirtschaftlich aktiv sein können, wo sie es "wirtschaftlich besser" als die Privaten machen können. Auch wurden die Ladenöffnungszeiten verlängert, was zu Kaufkraftverschiebungen in die Oberzentren führt. Ein Tariftreuegesetz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge wurde abgeschafft. All dies soll, wenn es nach den Wahlprogrammen der LINKEN, der SPD und der Grünen geht, wieder rückgängig gemacht werden. Dafür haben die Gewerkschaften in den zurückliegenden Jahren intensiv geworben.

Rüttgers rechtfertigt seinen ordnungspolitischen Ansatz noch heute: "Das war die Antwort auf ein schwerfälliges sozialdemokratisches Denken, das alles Heil in einem aufgeblähten öffentlichen Sektor suchte. Wir haben damit erst einmal das Land vorangebracht, Arbeitslosigkeit abgebaut, Behörden abgeschafft oder verschlankt, die Wirtschaftskraft gestärkt. Aber die Finanz- und Wirtschaftskrise zwingt jetzt alle zu einem anderen Blick auf den Staat. Ein rasch handelnder, flexibler Staat hat sich in der Krise als rettender Anker erwiesen. Shareholder-Value-Ideologie und Marktradikalismus sind gescheitert." (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 18.4.2010)

Mit der Position des aktiven Staates hat der Ministerpräsident einerseits die Räume für die SPD dicht gemacht, die letztlich nur Allgemeinplätze und die Revision der Rüttgers-Gesetze anbieten konnte, andererseits damit auch Räume für Diskussion eröffnet. Dabei ist die Position der Regierung keineswegs konsistent, und der Ministerpräsident hat den Ball eigentlich auf den Punkt gelegt: "Wir müssen jetzt grundsätzlich über die Rolle eines starken, aber effizienten, handlungsfähigen und intelligenten Staates reden. Da kommen wir allerdings zu anderen Ergebnissen als vor der Krise." Doch weder bei der SPD noch bei der LINKEN findet eine solche Staats-Debatte statt.

Zur Krisenkonstellation gehört die dramatische Haushaltslage der Städte und Gemeinden. Hier führen die existierenden Haushaltssicherungskonzeptionen zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Lebensqualität, zur Zerstörung der sozialen Infrastruktur und zur Verslumung prekärer Stadtviertel. Rüttgers verschleiert den eigenen Anteil an dieser Misere jedoch, wenn er behauptet: "Es wird weder im Jahr 2010 noch im Jahr 2011 Steuersenkungen geben… Ich werde einer Steuersenkung nicht zustimmen, die dazu führt, dass in den Kommunen noch mehr Schwimmbäder geschlossen werden oder der Ausbau von Kindertagesstätten blockiert wird." (FAS 18.4.2010) Die teilweise Auflösung des Konnexitätsprinzips ("Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen"), die Weigerung seines Finanzministers, einen Altschuldenfonds oder zumindest, wie von den betroffenen 19 Oberbürgermeistern gefordert, eine Zinssubvention einzurichten, und das "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" bieten genügend Angriffsfläche.

Beim Thema der gescheiterten WestLB, für die Sparkassen und Landeshaushalt noch lange werden bluten müssen und für deren Entwicklung die Landesregierung die Verantwortung mit trägt, haben es die linken Oppositionsparteien in der Wahlauseinandersetzung versäumt, diese für den Finanzmarktkapitalismus typische Fehlentwicklung offensiv ins Zentrum zu stellen.

Eine zentrale Rolle spielt dagegen die Bildungspolitik. Hier hat die Rüttgers-Regierung in den zurückliegenden fünf Jahren versucht, an den Zusammenhang von Leistung und Erfolg zu appellieren. Faktisch aber hat sie alles getan, um die Bildungsprivilegien der vermögenden Klassen nach unten hin abzuschotten. Mit dem Kinderbildungsgesetz wird die Verbleibzeit, die Betreuungsqualität und Personalausstattung von Vorschuleinrichtungen direkter an die Zahlungsfähigkeit der Eltern gekoppelt. Das so genannte Turbo-Abitur bindet den schulischen Erfolg stärker an die finanziellen Möglichkeiten der Eltern, mit Nachhilfe den Stoff zu bewältigen. Studiengebühren akzentuieren die soziale Scheidelinie im tertiären Bildungsbereich.

Das Beharren auf dem dreigliedrigen Schulsystem und die Förderung der Hauptschulen durch die Schaffung weiterer Lehrerstellen hat den Druck allerdings nicht mindern können, denn diese Schulform wird aufgrund der wählerischen Haltung der Arbeitgeber in der Vergabe von Ausbildungsplätzen immer unattraktiver. Die Einführung so genannter Kopfnoten dient dann der individuellen Zurichtung. Eine Schule für alle und gebührenfreie Bildung, wie sie die LINKEN fordern, markieren also eine Scheidelinie im Lagerwahlkampf.

Rechtspopulistisches Flügelschlagen gehört schon seit geraumer Zeit zur Strategie von Rüttgers, um den rechten Flügel bzw. rechte Mentalitäten einzubinden. So hat er jetzt mit seiner Weigerung, Gefangene aus Guantánamo aufzunehmen, den harten Ordnungspolitiker herausgekehrt. Die Skandale um die Parteienfinanzierung durch Rüttgers-Audienzen, das Abgreifen von Beiträgen zur Krankenkasse durch den CDU-Generalsekretär, die vom Evonik-Konzern (früher Ruhrkohle AG) ausgehaltene Landtagspräsidentin, die Foltertode im personell unterbesetzten Justizvollzug usw. sind dagegen Wasser auf die Mühlen der von der Politik enttäuschten WählerInnen oder auf die der Rechtsradikalen, die die Chancen einer neuen Formation (Pro NRW) gegenüber der zunehmend militanter auftretenden NPD und den ausblutenden Republikanern verbessert. Das Potenzial der Sonstigen stieg zuletzt wieder auf 5% an.

Umkämpfte Wählersegmente

Die CDU versucht eine Strategie der klassenübergreifenden Integration aller Leistungswilligen, wobei auch sie mehr und mehr den Charakter einer Volkspartei verliert. Sie sank in den Umfragen teilweise auf unter 38% gegenüber einem Landtagswahlergebnis von fast 45% (2005) und 38% bei der Kommunalwahl 2009. Vor diesem Hintergrund muss sowohl die Tatsache eingeordnet werden, dass sich der DGB-Landesvorsitzende in das Schattenkabinett der SPD einbinden ließ, als auch die Parole "Mit uns sicher durch die Krise", die der CDU-Amtsinhaber plakatieren ließ. Solche Art Krisenverwaltung lässt sich damit angreifen, dass sie die Ursachen für den Finanzmarktkollaps nicht beseitigt. Und je länger die Stagnation dauert, desto mehr lässt sich die Rüttgersche Krisenverwaltung als Krisenverlängerung durch Verweigerung kritisieren, mit seinen Phrasen vom aktiven Staat konfrontieren und ein Anti-Krisenprogramm dagegen setzen.

Die SPD eierte gewaltig durch den Wahlkampf. Einerseits muss man zugestehen, dass auch bei der Sozialdemokratie ein Suchprozess (Institut soziale Moderne, Neufassung der Arbeitsmarktpolitik, Kampagne gegen die Kopfpauschale usw.) eingesetzt hat, seitdem dem Neoliberalismus faktisch die Geschäftsgrundlage entzogen ist. Andererseits stehen die grundsätzliche Distanzierung von der Agenda-Politik und eine weitergehende personelle Erneuerung immer noch aus: Mit Müntefering und Steinbrück saßen führende Agenda-Politiker in der ersten Reihe des letzten SPD-Parteitages und auch Frau Kraft gehört als ehemalige Ministerin in NRW zu den Täterinnen.

Auf dem Höhepunkt der "Westerwelle" über die spätrömische Dekadenz der SozialleistungsempfängerInnen geriet die SPD-Spitzenkandidatin in Panik, ihr könnten nochmals größere Teile der erfolgsorientierten, qualifizierten ArbeitnehmerInnen von der Fahne gehen, und forderte einen "freiwilligen" Arbeitsdienst mit symbolisch höherer Bezahlung. Ihr schien "ein am Gemeinwohl orientierter Arbeitsmarkt" erstrebenswert. Hartz-IV-EmpfängerInnen ohne Aussicht auf reguläre Arbeit sollten auf diese Weise eine Chance bekommen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten für die Gesellschaft etwas zu leisten. Mehrkosten für den Staat entstünden dadurch nicht. "Die meisten Langzeitarbeitslosen werden sich über eine sinnvolle Beschäftigung freuen, selbst wenn sie dafür nur einen symbolischen Aufschlag auf die Hartz-IV-Sätze bekommen", sagte Kraft dem "Spiegel" (8.3.2010). Die Initiative begründete die SPD-Politikerin mit den Worten: "Wir müssen endlich ehrlich sein: Rund ein Viertel unserer Langzeitarbeitslosen wird nie mehr einen regulären Job finden." Damit schreibt sie mehr als 75.000 Menschen ab. Das Land zählt 570.000 Hartz IV-EmpfängerInnen und inoffizielle 1,1 Mio. Arbeitslose.

Da allerdings in der LINKEN die Forderung nach einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor für NRW wenig präzisiert und in Teilen der Partei als "Zwangsarbeit" umstritten ist, konnten ihre WahlkämpferInnen außer mit dem historischen Verweis auf den Reichsarbeitsdienst nicht in Stellung gebracht werden.

Der Wackelkurs zwischen den Positionen des Bundesvorsitzenden Gabriel und der NRW-Spitzenkandidatin Kraft, wie man koalitionstechnisch zur LINKEN stehen wolle, ist bezeichnend für den Suchprozess der SPD. Die WählerInnen erkennen, dass die SPD noch nicht zu einem zusammenhängenden Ersatz für die Agenda-Politik gefunden hat, und so hält sich der Zulauf für die SPD in den Umfragen in Grenzen (32-34%).

Die Versuchung für die beharrenden Kräfte in der SPD steigt, – wenn es nicht für Schwarz-Gelb oder Rot-Grün reicht – eine "große" Koalition mit dem "Arbeiterführer" Rüttgers zu suchen. Dies wäre kein Politikwechsel.

Auch die Grünen wollen bei entsprechender politischer Konstellation eine Koalition mit der CDU nicht ausschließen. Nach Rüttgers’ Andeutungen über Revisionen in der Atompolitik und durch eigene Begehrlichkeiten zeigen sie sich offen für eine schwarz-grüne Option. Ähnlich wie in Hamburg vor der Bürgerschaftswahl 2008 werden zwar noch immer eine Menge unüberwindlicher Hindernisse ausgemacht und schwört Rüttgers auf eine schwarz-gelbe Koalition. Aber sowohl von der sozial-strukturellen Basis her als auch bei einigen zentralen Inhalten der Landespolitik (Haushalt, Bildung, Migration u.a.) ist eine weitere schwarz-grüne Landesregierung keineswegs ausgeschlossen.

Linke Alternative?

Für DIE LINKE schließt die Landtagswahl NRW eine Aufbauetappe ab. Mit dem Wahlabend 2005 verkündete SPD-Kanzler Schröder, dass er die vorzeitige Auflösung des Bundestages betreiben werde. Ein nicht ausgesprochener Hintergedanke mag dabei gewesen sein, PDS und WASG das Wasser abzugraben. Denn die frisch gegründete "Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" hatte mit nur 1.200 Mitgliedern und fast keinem Geld einen Achtungserfolg erzielt, der dazu beitrug, dass die SPD fast alle Direktmandate und die rot-grüne Regierungsmehrheit in NRW verloren hatte. Mit der vorgezogenen Neuwahl begannen diese beiden Quellparteien den Gründungsprozess der LINKEN.

Heute steht DIE LINKE in NRW mit 8.500 Mitgliedern und auch finanziell auf solideren Beinen. Allerdings muss der Landesverband um den Einzug in den Landtag bangen. Nach drei Wahlen in weniger als einem Jahr fällt die Mobilisierung der eigenen WahlkämpferInnen und die Überzeugung der vielen Menschen, die sich enttäuscht von der Politik abgewandt haben, schwer, was auch mit dem vor allem die eigenen Aktivistenmilieus ansprechenden NRW-Programm zusammenhängt.

In diesem werden vor allem bundespolitische Themen in den Vordergrund gerückt. Einzig die Bildungspolitik ist ein genuin landespolitisches Thema, das jedoch nur im Bereich der Nebenbedingungen zur Abgrenzung von SPD und Grünen taugt. Die anderen landespolitischen Themen spielen nur eine eher untergeordnete Rolle.

Die Parole "Wir zahlen nicht für eure Krise", mit der DIE LINKE ihren Wahlkampfauftakt auf der Straße bestritt, läuft z.T. ins Leere, weil erstens "das Zahlen" schon längst begonnen hat und zweitens mindestens bis Ende des Jahres auf Bundesebene die instabile Wirtschaftslage nicht durch allzu restriktive Kürzungsaktionen gefährdet werden soll. Für die EmpfängerInnen von Sozialeinkommen hat sich bisher nichts geändert, und die Einbußen für hunderttausende Kurzarbeiter in NRW werden zähneknirschend in Kauf genommen, weil der Erhalt des Arbeitsplatzes im Vordergrund steht. DIE LINKE bietet beiden Gruppen zu wenige auf Landesebene realisierbare Perspektiven für Arbeit und soziale Gerechtigkeit. Insbesondere für DIE LINKE wird es aber wahlentscheidend sein, ob sie die zur SPD neigende bedrohte Arbeitnehmermitte bei sich stabilisieren und das ausgegrenzte Prekariat zur Wahl aktivieren kann.

Auch in der Industriepolitik bietet DIE LINKE Angriffsflächen, die es den anderen Parteien ermöglichten, sie als nicht koalitions- und regierungsfähig zu kritisieren. So wird für die Schaffung von Arbeitsplätzen eine landesgesetzlich kaum realisierbare Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden und ein so genanntes Zukunftsinvestitionsprogramm vorgeschlagen, dessen Finanzierung aber vollständig von der Realisierung des steuerpolitischen Programms der Partei auf Bundesebene abhängt. In der Frage des landespolitisch ideologisch befrachteten Kohleabbaus blieb DIE LINKE hinter der Formel vom "Erhalt des Sockelbergbaus" bis zum Wahltag zerstritten.

Trotz demonstrativer Schulterschlüsse mit dem Betriebsratsvorsitzenden von Opel Bochum konnte DIE LINKE mit der Forderung nach Verstaatlichung angesichts von unprofitablen Überkapazitäten, fehlender umweltgerechter Umbauvorschläge und den Bürgschaftsversprechen der Landesregierung sowohl für Bochum als auch für Zulieferer nicht überzeugen. So wurde denn auch die ursprüngliche Forderung nach Verstaatlichung der Energiekonzerne RWE und E.ON im später beschlossenen Dringlichkeitsprogramm konkretisiert (Re-Kommunalisierung, Verbundnetz in Gemeineigentum usw.).

Die Grünen-Chefin Schneckenburger ergeht sich gerne, auch als Ablenkungsmanöver von schwarz-grünen Fantasien, im Schwanengesang auf DIE LINKE. Die SPD rücke eindeutig von der Schröder-Ära ab. Damit sei "die Mission der Linken erfüllt. Als Protestpartei wird sie nicht mehr gebraucht." Diese Behauptung ist Pfeifen im Walde: Die Funktion der Linken wird weiterhin bleiben, den Protest aufzunehmen und in den politischen Raum zu tragen. Ihre Funktion wird bleiben, den sozialen Protest um die Frage Arbeit und soziale Gerechtigkeit zu bündeln. Weder SPD noch Grüne haben zukunftsfähige Konzepte, wie Nordrhein-Westfalen aus der Krise herauskommen kann. Die Veränderungen etwa in den arbeitsmarktpolitischen Positionen der nordrhein-westfälischen SPD laufen vielmehr darauf hinaus, sich mit der Arbeitslosigkeit abzufinden.

Demgegenüber pocht DIE LINKE auf ein Recht auf Arbeit. Damit ist der Unterschied zwischen ihren Forderungen (nach einem öffentlichen Beschäftigungssektor, Eindämmung der Leiharbeit, einheitlichem gesetzlichem Mindestlohn und gesetzlicher Arbeitszeitverkürzung) und den Vorstellungen der SPD markiert.

Der Einzug der LINKEN in den Landtag von NRW ist aber nicht nur wichtig, um dem sozialen Protest endlich Gehör zu verschaffen und Räume für die Entwicklung einer tragfähigen politischen Konzeption eines gesellschaftlich kontrollierten Strukturwandels in NRW zu öffnen, sondern hat auch bundespolitische Bedeutung. Die LINKE steht mit dem bevorstehenden personellen Wechsel auf dem Bundesparteitag im Mai und der Debatte um ein neues Grundsatzprogramm vor großen Herausforderungen, für deren Bewältigung mit einem guten Wahlergebnis in NRW günstige Voraussetzungen geschaffen würden.

Bernhard Sander ist Redakteur von Sozialismus.

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