28. September 2017 Hinrich Kuhls

Konservative Weichenstellungen für den Brexit

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Ein neues Zeitalter der Zusammenarbeit und der Partnerschaft des Vereinig­ten Königreichs von Großbritannien und Nordirland und der Europäischen Union beschwor die britische Premier­ministerin Theresa May jüngst in einer Rede – nicht im britischen Parlament unweit des Finanzzentrums City of London, sondern in Florenz, der einst mächtigen Handels- und Finanzmetropole des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit.

Die Finanzmärkte reagierten prompt. Die britische Währung wertete ein weiteres Mal ab, und die US-Ratingagentur Moody‘s korrigierte ihre Einschätzung der Kreditwürdigkeit Großbritanniens nach unten. Die Begründung für die Senkung des Ratings von »Aa1« auf »Aa2« lautete: Die Aussicht für die Staatsfinanzen hätten sich erheblich verschlechtert.

Ein Anstieg der Staatsverschuldung sei zu erwarten und der Erfolg der auf Austeritätspolitik basierenden Konsolidierungsbemühungen sei fraglich. Die ökonomischen, sozialen und fiskalischen Probleme würden durch eine wahrscheinliche wirtschaftliche Abschwächung auf mittlere Sicht infolge des Austritts aus der Europäischen Union verschärft.

Seit dem Brexit-Votum im Juni 2016 ist die mittel- und langfristige ökonomische Perspektive des Vereinigten Königreichs trotz aktueller positiver Kennziffern von einer anhaltenden Unsicherheit gekennzeichnet. Alle Sektoren – Landwirtschaft, verarbeitende Industrie, Hoch- und Tiefbau, Handel und Finanzwirtschaft – sehen sich weitgehenden Änderungen ihrer Produktions- und Absatzbedingungen gegenüber. Die öffentliche Infrastruktur in Verkehr, Bildung und Gesundheit ist durch die jahrelange harte Austeritätspolitik ausgedünnt und inflexibel geworden.

Bei dem für das Verlassen der EU fixierten Datum 29. März 2019 und eines nicht absehbaren Datums für den Abschluss des Austrittsvertrags wird der Zeitraum für entsprechende Investitionsentscheidungen und Anpassungen knapp. Vor allem Unternehmen der Finanzwirtschaft haben bereits mit Teilverlagerungen ihrer Firmensitze begonnen, um nach Inkrafttreten des Austrittsvertrags über die juristischen und logistischen Voraussetzungen zu verfügen, uneingeschränkt weiter im Rahmen der Euro-Währungsunion agieren zu können. Zugleich wird aus den Ministerien bekannt, dass die Anpassung bzw. Neuaufsetzung der EDV-Programme vor allem für die Abwicklung der steuerlichen und zollmäßigen Erfassung der Außenhandelsbeziehungen nicht bis Anfang 2019 abgeschlossen werden kann und dass die anschließende Implementierung der neuen Prozesse in den Außenhandels- und Logis­tikunternehmen etliche Monate dauern wird.

Hinrich Kuhls, Düsseldorf, arbeitet in der Sozialistischen Studiengruppe (SOST) mit. In Heft 7/8-2017 erschien von ihm und Joachim Bischoff der Beitrag »Brexit ist kein Zukunfts­programm«.

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