25. März 2022 Heinz Bierbaum
Lage und Perspektiven der Linken in Europa
Die Lage der Linken in Europa ist sehr unterschiedlich. Deutlich wird dies an den jüngsten Wahlen in Deutschland und Dänemark. Während die deutsche LINKE bei den Bundestagswahlen eine schwere Niederlage erlitt, die 5%-Hürde knapp verfehlte und nur dank dreier gewonnener Direktmandate in den Bundestag einzog, triumphierte die dänische Red Green Alliance bei den Kommunalwahlen, konnte die Zahl ihrer Mandate überall erhöhen und wurde in Kopenhagen mit 24,6% stärkste Partei.
Einen recht guten Überblick über die Lage und Entwicklung der linken Parteien in Europa gibt das von Cornelia Hildebrandt u. a. herausgegebene Buch »Left Diversity zwischen Tradition und Zukunft«.[1] In dem Band werden die Parteien der »radikalen Linken« im Hinblick auf ideologische, programmatische und organisatorische Entwicklung in 29 Ländern Europas dargestellt. Unter »radikaler Linke« werden Parteien und Organisationen verstanden, die links von der Sozialdemokratie sind, sich von den Grünen unterscheiden und eine grundlegende Transformation der kapitalistischen Gesellschaft anstreben und sich dabei überwiegend auf den Sozialismus als Alternative beziehen.
Das dabei vermittelte Bild ist sehr heterogen. Insgesamt sind die linken Parteien in Europa relativ schwach und kommen in der Regel nicht über 10% bei den Wahlen hinaus. Ausnahmen sind Syriza in Griechenland und AKEL in Zypern mit Resultaten deutlich über 20%. Auch Podemos in Spanien und France Insoumise in Frankreich hatten zu Beginn größere Wahlerfolge, haben aber inzwischen wieder deutlich in der Wähler*innengunst verloren. Einzig die belgische Partei der Arbeit (PTB) scheint auf dem Weg zu sein, aus dem Zehn-Prozent-Getto auszubrechen. Sie hat einen erstaunlichen Wandel von einer ehemals maoistischen Organisation zu einer in der Arbeiterklasse verankerten Partei der Arbeit durchgemacht und ist zum politischen Repräsentanten der sozial Benachteiligten geworden.
Die linken Parteien in Skandinavien (Dänemark, Schweden und Finnland) erscheinen mit ihrer linksgrünen Ausrichtung recht stabil zu sein. Lange Zeit galt das auch für die deutsche LINKE, wovon nach den jüngsten Entwicklungen jedoch nicht mehr die Rede sein kann. In Südeuropa ist die Linke zum Teil stark fragmentiert. Dies gilt besonders für Italien, wo die Linke parteipolitisch am Ende ist und bei den Wahlen praktisch keine Rolle mehr spielt. Dies gilt aber auch für Frankreich, wo der Versuch einer Vereinigten Linken (Front de Gauche) gescheitert ist und die Parteien der Linken wie PCF und France Insoumise (FI – praktisch Nachfolgerin der Parti de Gauche), die trotzkistischen Strömungen NPA und Lutte Ouvrière wie auch kleinere Organisationen wie Ensemble nicht zusammenfinden. Ausdruck davon ist auch, dass bei den jetzt anstehenden Präsidentschaftswahlen PCF und FI mit jeweils eigenen Kandidaten antreten.
Zum Teil sind neue Parteien entstanden.
Heinz Bierbaum ist Präsident der Europäischen Linken und Mitherausgeber von Sozialismus.de.
[1] Cornelia Hildebrandt/Danai Koltsida/Amieke Bouma (Hrsg.), Left Diversity zwischen Tradition und Zukunft, Hamburg 2021.