23. Oktober 2020 Joachim Bischoff/Hasko Hüning: Abschwellender Populismus und Radikalisierung am rechten Rand

Lernfähiger Antipopulismus?

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1.

In einem Interview mit den »Blättern für deutsche und internationale Politik« wurde Jürgen Habermas gefragt, ob er die Einschätzung von Ralf Dahrendorf teile, dass wir in einer Zeitwende hin zu einem autoritären 21. Jahrhundert leben. Trotz vielfältiger Unordnung in der Welt könne er keine »einheitliche Tendenz zu einem neuen Autoritarismus erkennen«, argumentierte Habermas.

Allerdings drücke sich in dem von Francis Fukuyama nach der Wende 1989/90 geprägten Slogan vom »Posthistoire« ein kurzsichtiger Triumphalismus westlicher Eliten aus, »die dem liberalen Glauben an eine prästabilisierende Harmonie von Marktwirtschaft und Demokratie anhingen. Diese beiden Elemente prägen die Dynamik der gesellschaftlichen Modernisierung, verbinden sich aber mit funktionalen Imperativen, die immer wieder in Konflikte geraten. Der Ausgleich zwischen kapitalistischem Wachstum und einer auch nur halbwegs als sozial gerecht akzeptierten Teilhabe der Bevölkerung am durchschnittlichen Wachstum hochproduktiver Wirtschaften konnte nur durch einen demokratischen Staat herbeigeführt werden, der diesen Namen verdient. Eine solche Balance, die erst den Namen ›kapitalistische Demokratie‹ rechtfertigt, war aber, historisch gesehen, eher die Ausnahme als die Regel.«

So könne er auch eher nur verschiedenste strukturelle Ursachen und eine Vielzahl an Zufällen erkennen. Es gebe kein Muster einer autoritären Internationale, »sondern die Erschütterung der politischen Stabilität unserer westlichen Länder insgesamt«. Deren verbindendes Element sei »die Klaviatur des Nationalismus«. Um den Kampf gegen soziale Ungleichheit offensiv zu führen und zu einer koordinierten Zähmung der unregulierten Märkte zu kommen, biete sich für die EU als Ausweg »nur eine supranationale Zusammenarbeit an, die das Ziel einer sozialverträglichen politischen Gestaltung der wirtschaftlichen Globalisierung verfolgt. Dafür reichen internationale Vertragsregime nicht aus; denn ganz abgesehen von deren zweifelhafter demokratischer Legitimation können politische Entscheidungen über verteilungsrelevante Fragen nur in einem festen institutionellen Rahmen implementiert werden. Daher bleibt nur der steinige Weg einer institutionellen Vertiefung und Verankerung einer demokratisch legitimierten Zusammenarbeit über nationale Grenzen hinweg. Die Europäische Union war einmal ein solches Projekt und die Politische Euro-Union könnte es immer noch sein. Aber dafür sind die Hürden der innenpolitischen Willensbildung eben sehr hoch.« (ebd.)

2.

Für eine dieser Hürden steht in der Bundesrepublik der politisch durch die »Alternative für Deutschland« (AfD) getragene Rechtspopulismus. Im Kampf um die »Mitte« glaubten die Parteien bis hin zur Sozialdemokratie Mehrheiten für sich nur auf dem Weg der systemkonformen Anpassung an den neoliberalen Kurs erreichen zu können – mit dem Ergebnis, dass das ökonomisch-soziale und kulturelle »Abhängen« größerer Bevölkerungsteile und Milieus sich mittlerweile nach rechtsaußen entladen hat. Das Populismus-Barometer 2020 könnte auf den ersten Blick als Entwarnung interpretiert werden.

Joachim Bischoff ist Mitherausgeber von Sozialismus.de. Hasko Hüning ist Mitarbeiter in den Sozialistischen Studiengruppen (SOST).

[1] Jürgen Habermas, Wie man dem Rechtspopulismus den Boden entzieht, Interview in »Blätter für deutsche und internationale Politik«, Heft 11/2016.
[2] Bertelsmannstiftung (Hrsg.), Populismusbarometer 2020, Gütersloh. Im Auftrag der Stiftung wurden dafür von YouGov Deutschland im Juni 2020 mehr als 10.000 wahlberechtigte Deutsche repräsentativ befragt. Seit März 2017 ist das bereits die fünfte Datenerhebung im Rahmen des Populismusbarometers. Als populistisch eingestellt gelten Befragte, die sich gleichzeitig zu acht typisch populistischen Einstellungen in den drei Dimensionen»Anti-Establishment«, »Pro-Volkssouveränität« und »Anti-Pluralismus« bekennen.

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