25. Mai 2020 Michael Wendl: Bundesverfassungsgericht gegen Europäische Zentralbank
Machtkampf
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Staatsanleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB), genauer zum Public Sector Purchase Programme (PSPP), hat für Furore gesorgt. Die EZB hat daraufhin durch Christine Lagarde erklärt, sie werde ihrem Mandat »unbeirrt« verpflichtet bleiben.
Um eine Bewertung des Urteils vornehmen zu können, muss zunächst das ökonomisch-theoretische Feld, in dem sich das Urteil bewegt, verdeutlicht werden.
Geldpolitik in der Europäischen Währungsunion
Die Geldpolitik der EZB ab 2012 ist für das politische Publikum eines der letzten großen Rätsel der Wirtschaftspolitik. Sie wird in Deutschland seit diesem Jahr massiv kritisiert, weil Leitzinsen bei Null die private Kreditaufnahme erleichtern und durch die Käufe von Staatsanleihen die Zinsen für Staatsanleihen auf ein niedriges Niveau gesenkt werden. Für Länder mit hoher Bonität wie Deutschland oder Österreich bedeutet das negative Zinsen für langfristige Staatsanleihen. Deshalb wird der EZB vorgeworfen, in enger Nähe zu einer direkten Staatsfinanzierung zu handeln.
Dieser Kritik liegen mindestens zwei Missverständnisse über die Rolle der Zentralbank in einer (kapitalistischen) Geldwirtschaft zugrunde. Es wird nicht verstanden, warum die EZB vom Ziel der Steuerung der Geldmenge durch eine regelgebundene Zinspolitik abgewichen ist und ihre Geldpolitik in erster Linie auf die Steuerung der Inflation (Inflation Targeting) ausgerichtet hat. Dadurch, dass Geschäftsbanken Giralgeld aus dem Nichts schöpfen können, und dafür 1% der Kreditsumme bei der Zentralbank als sogenannte Mindestreserven anlegen, war die EZB allein zu einer Steuerung der Geldmenge über regelgebundene Leitzinsen nicht mehr in der Lage. Die Geschäftsbanken bestimmten in erster Linie die Geldmenge. Deshalb wechselte die EZB zu einer diskretionären (fallbezogenen) Geldpolitik, um die Inflation besser steuern zu können.
Damit ist sie eindeutig von Theorie und Praxis der Geldpolitik der früheren Bundesbank abgerückt. Deren Modell war funktional für den Erfolg eines stabilitätsorientierten Handelsmerkantilismus.
Michael Wendl ist Mitherausgeber von Sozialismus.de.