19. Dezember 2019 Andreas Flach: Strategische Antworten – das Gemeinsame Erschließungsprojekt (GEP) der IG Metall Baden-Württemberg

Machtressource Organizing

Die Krisenzeichen sind nicht zu übersehen: Der Abschwung in der deutschen Industrie nimmt Konturen an. Im Oktober sank die Gesamtproduktion im Vergleich zum Vormonat um 1,7%, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Gegenüber dem Oktober 2018 waren das sogar 5,3% weniger.

Schon im September war die Produktion um 0,6% zurückgegangen.[1] Mittlerweile ist das keine Konjunktureintrübung mehr, sondern ein klarer Trend. Und der wirkt sich bereits auf das Arbeitsvolumen aus. Wie eine Anfang Dezember vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) veröffentlichte Studie zeigt, hat sich die Zahl der Kurzarbeitenden im dritten Quartal 2019 gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres fast verdoppelt. Zugleich wurden weniger Überstunden geleistet.[2]

Damit nicht genug. Fast alle Automobilhersteller und -zulieferer haben in den letzten Wochen Standortschließungen und Personalabbau angekündigt – mal wird der abflauende Absatz, mal die Transformation der Automobilindustrie zur Begründung herangezogen.[3] Häufig sind schlicht betriebswirtschaftliche Optimierer unterwegs.

Gleichzeitig bauen viele mit Hochdruck neue Produktionskapazitäten in Niedriglohnländern auf. Flankiert wird das aggressive Vorgehen von politischen Äußerungen, in denen Vertreter von Südwest- und Gesamtmetall die Beschäftigten ultimativ zu »Verzicht« auffordern und andernfalls vor einer Tarifflucht auf breiter Front »warnen«.[4]

Kein Zweifel: Für 2020 und die darauffolgenden Jahre stehen den Beschäftigten in den Hochburgen unserer Organisation harte Zeiten bevor. Das gilt besonders für die Automobilindustrie, aber auch im Maschinen- und Anlagenbau. Zugleich darf man nicht vergessen: Diese konjunkturelle und kurzfristige Perspektive ist nur die vorerst letzte Zuspitzung einer Entwicklung, mit der wir seit den 1990er Jahren zu tun haben: Tarifflucht, Verlagerung von Produktionskapazitäten in Billiglohnländer, Zerstückelung von Wertschöpfungsketten durch Ausgliederung früherer Kerntätigkeiten an externe Dienstleister, die Ersetzung von Stammarbeitsplätzen durch Leiharbeit.

Das Ergebnis war eine schleichende Erosion und strukturelle Schwächung von Gewerkschafts- und Lohnabhängigenmacht. All das schlug sich in dramatischen Mitgliederverlusten der DGB-Gewerkschaften nieder: Von 1990 bis heute verloren unsere Organisationen ein Viertel ihrer Mitglieder – zwei Millionen Menschen.[5]


Organisierung als strategische Antwort

Es liegt seit Langem auf der Hand, dass ein solches Szenario eine entschlossene strategische Antwort erfordert.

Andreas Flach ist Projektleiter des Gemeinsamen Erschließungsprojekts (GEP) der IG Metall Baden-Württemberg. Er ist Mitarbeiter am Redaktionsteam des 2018 vom IG Metall Bezirk Baden-Württemberg bei VSA: herausgegebenen Buches: aufrecht gehen. Wie Beschäftigte durch Organizing zu ihrem Recht kommen.

[1] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 463, 6. Dezember 2019, unter: www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2019/12/PD19_463_421.html.
[2] Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Pressemitteilung vom 3.12.2019, unter: www.iab.de/de/informationsservice/presse/presseinformationen/az1903.aspx.
[3] Siehe den Beitrag von Kai Burmeister in diesem Heft, S. 45ff.
[4] Zitiert nach Stuttgarter Zeitung vom 26.11.2019, unter: www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.kritik-an-ig-metall-aktionstag-metall­arbeitgeber-fordern-verzicht.4e289a4a-d96c-41e1-9ff9-03e6b3aa32f7.html.
[5]  Vgl. Forum Gewerkschaften: Machtressourcen für eine progressive Transformation, Supplement der Zeitschrift Sozialismus, Heft 9/2019.

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