23. Mai 2014 Matthias W. Birkwald: Das Rentenpaket der GroKo

Manches wird besser, aber nichts wird gut

Kategorie: Große Koalition

Andrea Nahles, die zuständige Bundesministerin für Arbeit und Soziales, ließ nach der Bundestagsanhörung zu »ihrem« Rentenpaket am 5. Mai 2014 verkünden, die Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales habe nichts Neues gebracht. Das ist schlicht falsch.

Denn ganz so langweilig war es nämlich nicht: Die sachverständige Kritik vom DGB, der Arbeitnehmerkammer Bremen, der Deutschen Rentenversicherung (DRV) und anderen enthüllte nicht nur eine breite Front gegen die Finanzierung der so genannten Mütterrente aus Beitragsmitteln der Versicherten, sondern auch einen wichtigen Zusammenhang, der in der bisherigen Debatte um das Rentenpaket völlig ausgeblendet wurde.[1] Nur BILD erfasste seine Bedeutung und griff ihn in marktschreierischer Manier auf. »Enthüllt: Rente schrumpft (!) durch GroKo-Pläne!«, hatte Bild.de schon am 4. Mai getitelt. Reißerisch ja, aber leider wahr.

Worum geht es? Obwohl sich nach über 20 Jahren Rentenkürzungen am 1. Juli 2014 viele Rentnerinnen und Rentner endlich wieder über Leistungsverbesserungen werden freuen können, werden die durchschnittlichen Renten in den kommenden Jahren noch weiter als bis dato geplant hinter den Löhnen zurückbleiben. Der Grund dafür sind die Rückkopplungseffekte mit der Rentenanpassungsformel und ihren beiden zentralen Kürzungsfaktoren, dem Riester- und dem Nachhaltigkeitsfaktor. Schon bisher galt: Eine Rentnerin, die 1.000 Euro Rente im Jahr 2001 erhielt, würde 2030 nur noch 810 Euro (heutige Werte) Rente beziehen. Das Rentenpaket kürzt jetzt ihre Rente noch einmal um zusätzliche 20-25 Euro![2]
Das wird dazu führen, dass in Zukunft wesentlich mehr Rentnerinnen und Rentner auf ergänzende Grundsicherung im Alter angewiesen sein werden statt von ihrer gesetzlichen Rente leben zu können. Damit wird das Vertrauen in eine lebensstandardsichernde und armutsfeste Altersvorsorge vollständig unterminiert. Um eine gesetzliche Rente in einer Höhe oberhalb der Grundsicherung im Alter zu erreichen, müssen durchschnittlich Verdienende gegenwärtig 26 Jahre Beiträge in die Rentenversicherung einzahlen. In Zukunft werden es wegen des stetig sinkenden Rentenniveaus 35 Jahre sein.[3]

Damit wird der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) die Legitimationsgrundlage entzogen und das Äquivalenzprinzip »wer mehr einzahlt, soll auch mehr Rente erhalten«, noch weiter zerstört. Diese wichtigen Systemfragen spielen aber in der aktuellen Debatte um das Rentenpaket keine Rolle.

Im Folgenden wollen wir auf die Debatte um das Rentenpaket zurückschauen: Wie sind die einzelnen Bestandteile des Rentenpakets zu bewerten? Was ist der eigentliche »Sanierungsbedarf« am Haus der gesetzlichen Rentenversicherung und was bleibt deshalb noch zu tun?


Das Rentenpaket in der Einzelbewertung

Rente ab 63/65: Etikettenschwindel mit harten Ausschlusskriterien

Die von den ArbeitgeberInnen und ihren »RentenexpertInnen« in jeder Talkshow bekämpfte »Rente ab 63/65« sieht vor, dass »besonders langjährig Versicherte« mit 45 Versicherungsjahren ab 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen können. Für alle anderen bleibt es bei der Rente erst ab 67.
Allerdings gilt die Altersgrenze von 63 nur für den halben Jahrgang 1951 und für den ganzen Jahrgang 1952, danach geht es in Zweimonatsschritten wieder hoch auf 65 Jahre (Jahrgang 1964). Deshalb ist der Name »Rente ab 63« irreführend. (Und der Name »Rente mit 63« inkorrekt.)

Zu den 45 Jahren Wartezeit zählen Pflichtbeiträge aus Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit, Pflege- und Kindererziehungszeiten. Phasen der Arbeitslosigkeit sollen zwar auch berücksichtigt werden, aber nur wenn sie kurzzeitig waren. Zeiten des Arbeitslosenhilfe- bzw. des Hartz IV-Bezuges werden explizit nicht auf die Wartezeit angerechnet werden. Langzeiterwerbslose haben so kaum eine Chance, die »Rente ab 63/65« zu erreichen. Was unterscheidet aber die Lebensleis­tung einer Krankenschwester, die vier Jahre am Stück arbeitslos war, von einer Krankenschwester, die viermal ein Jahr lang arbeitslos war? Sie haben dieselbe Lebensleistung, werden aber unterschiedlich behandelt.

Der öffentliche Streit entbrannte aber gerade nicht um die Frage, warum Arbeitslosengeld II-Zeiten nicht zu den 45 Jahren zählen. Das hatte nur DIE LINKE im Vorfeld scharf kritisiert. Nein, umstritten war von Anfang an, wie eine vermeintliche »Frühverrentungs­welle« verhindert werden könne. Dabei wurde den Beschäftigten unterstellt, dass sie nach über 40 Jahren Erwerbsarbeit jede Möglichkeit nutzten, um sich aus der Arbeit davonzustehlen. Sie würden sich bereits im Alter von 61 arbeitslos melden, um dann nach zwei Jahren in die abschlagsfreie Rente zu wechseln, hieß es aus der Kapitalfraktion. Dem wurde von der SPD nur halbherzig entgegengetreten. Dabei ist völlig klar, dass die Berechtigten der neuen Rente nicht kurz vor dem Ziel mutwillig in die Arbeitslosigkeit gehen werden. Denn dann würden ihnen Sperrzeiten (drei Monate), ein erheblich geringeres Arbeitslosengeld (60-63%) und damit verbunden nicht unerhebliche Renteneinbußen drohen. Ich habe die Bundesregierung nach dem durchschnittlichen Verlust gefragt. Ihre Antwort: Nach heutigen Werten würde ein Standardrentner mit einer Rente in Höhe von 1287,45 Euro auf knapp 23 Euro Rente im Monat verzichten müssen.[4]

Der kurz vor der abschließenden Lesung im Bundestag ausgehandelte »Kompromiss« von CDU/CSU und SPD sieht jetzt eine weitere willkürliche Verschlechterung vor: den »rollierenden Stichtag«. Arbeitslosigkeit in den beiden letzten Jahren vor Rentenantritt wird nicht auf die 45 Versicherungsjahre angerechnet, es sei denn, das Unternehmen würde aufgegeben oder in Insolvenz gehen. Dies ist absurd, denn dadurch werden Auslagerungen und betriebsbedingte Kündigungen nicht erfasst und Beschäftigte in Kleinbetrieben, in denen der Kündigungsschutz nicht greift, benachteiligt. Der Kreis der Begünstigten wird weiter nach Gutsherrenart eingeschränkt. Die Lebensleistung einer Verkäuferin, der nach 43 Jahren harter Arbeit betriebsbedingt gekündigt wird – z.B. weil die Filiale geschlossen wird –, entwerten Union und SPD mit ihrer Gesetzesänderung in letzter Minute.

Dabei ist die ideologische Diskussion um die drohende Welle von Frühverrentungen nicht mehr als eine geschickte Strategie der ArbeitgeberInnen, um von ihrem eigenen Versagen, alters- und alternsgerechte Arbeitsplätze zu schaffen, abzulenken. Denn die Chancen nach dem 60. Geburtstag überhaupt noch in Vollzeit arbeiten zu können, sinken rapide – und das trotz aller Sonntagsreden von der steigenden Erwerbsbeteiligung Älterer: Im Alter von 60 Jahren haben zwar immerhin noch 32% einen sozialversicherungspflichtigen Vollzeitjob, mit 63 sind es aber nur noch 15% und bei den 64-Jährigen gerade einmal noch 11,4%. In dieser Altersgruppe von 60 bis 64 ist in den vergangenen vier Jahren die Zahl der Arbeitslosen um 136% angestiegen und die Quote von 5,3% (2009) auf 8,4% (2013). Fast die Hälfte der 216.000 arbeitslosen Älteren ist langzeiterwerbslos.

Das ist eine verheerende Zustandsbeschreibung des Arbeitsmarktes für Ältere. Viele Beschäftigte werden weder die Rente ab 63/65 noch die Rente erst ab 67 schaffen, aber das ideologische Sperrfeuer des CDU-Wirtschaftsflügels und der entsprechenden Arbeitgeberverbände hat wieder einmal Wirkung gezeigt. Das lässt nichts Gutes erwarten für die ebenfalls am 19. Mai verabredete Arbeitsgruppe zu den »flexiblen Übergängen in den Ruhestand«, die sich bis zum Herbst der Frage widmen will, wie ein »attraktives Weiterarbeiten nach Erreichen der Regelaltersgrenze« gestaltet werden könnte.

»Mütterrente«: Bleibende Gerechtigkeitslücken und falsche Finanzierung

Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Rentenpakets ist die so genannte Mütterrente: Frauen (und Männern), die vor 1992 geborene Kinder erzogen haben, soll je Kind ab dem 1. Juli 2014 ein zusätzlicher Entgeltpunkt angerechnet werden. Das ergibt im Westen 28,61 Euro, im Osten aber nur 26,39 Euro mehr Rente brutto pro Monat.

Diese Erhöhung führt zwar zu einer Besser-, aber nicht zu der eigentlich gebotenen Gleichstellung. Jedes Kind sollte auf dem Rentenkonto der vielen Mütter (9,45 Millionen) und der wenigen Väter (einige Hunderttausend) gleich viel wert sein, unabhängig davon, ob es 1960 oder 2010, in Ost- oder in Westdeutschland geboren wurde.

Der wesentliche Systemfehler des Rentenpakets ist aber die falsche Finanzierung der so genannten Mütterrente: Die Kosten von ca. 6,6 Mrd. Euro pro Jahr will die Regierung bis 2019 ausschließlich aus Beitragsmitteln der Versicherten finanzieren. Danach soll es einen zusätzlichen Bundeszuschuss von 400 Mio. Euro geben, der bis 2022 auf 2 Mrd. Euro pro Jahr anwachsen wird. Damit werden nach den Angaben der DRV in der Bundestagsanhörung vom 5. Mai 2014 bis zum Jahr 2030 den zusätzlichen Ausgaben von 100 Mrd. Euro nur 20 Mrd. zusätzliche Steuermittel gegenüberstehen.

Das Rentenpaket ist damit ganz überwiegend und für einen viel zu langen Zeitraum nicht sachgerecht finanziert. Fast alle Sachverständigen und Verbände waren sich darin auf der Anhörung einig. Aber es hatte keine Folgen: Das Zugeständnis der SPD an die Union und deren Panik vor Steuererhöhungen reduziert durch den Griff in die Rentenkasse den finanziellen Spielraum für echte Maßnahmen gegen Altersarmut, wie zum Beispiel, das Rentenniveau wieder auf 53% anzuheben. Aber durch die falsche Finanzierung fehlen auch Spielräume für echte Verbesserungen bei den derzeit stetig sinkenden Erwerbsminderungsrenten.

Erwerbsminderungsrente verbessern: endlich, aber zu wenig!

Die Erwerbsminderung (EM) hat sich in den vergangenen Jahren zu einem gefährlichen Armutsrisiko entwickelt: In Deutschland ist die durchschnittliche volle Erwerbsminderungsrente um 12,5% von 738 (2000) auf 646 Euro (2012) gefallen. Sie liegt damit weit unter dem entsprechenden Grundsicherungsniveau für unter 65-Jährige von 679 Euro brutto (2012). Ursächlich dafür sind vor allem die hohen Abschläge. Von Abschlägen in Höhe von durchschnittlich 77 Euro waren im Jahr 2012 mit 96,2% nahezu alle neuen EM-Rentnerinnen und -rentner betroffen. 2010 waren 37% aller Haushalte mit Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentnern als armutsgefährdet anzusehen.[5]

Die Große Koalition will nun ab dem Stichtag am 1. Juli 2014 durch die Verlängerung der so genannten Zurechnungszeit[6] um zwei Jahre und eine bessere Bewertung der letzten vier Jahre vor der Erwerbsunfähigkeit die Situation von neuen EM-Rentnerinnen und
-Rentnern verbessern. Das ist auch dringend notwendig. Die neue Berechnung wird unter Berücksichtigung der Abschläge von 10,8% aber nur zu durchschnittlich 36 Euro mehr netto führen. Zu wenig, um vielen Betroffenen den Gang zum Sozialamt zu ersparen.

Um die Erwerbsminderungsrente endlich armutsfest zu gestalten, müssten aber vor allem die ungerechten und systemwidrigen Abschläge abgeschafft werden. Das fordert nicht nur DIE LINKE im Bundestag, das fordern auch die Sozialverbände und die Gewerkschaften. Krankheit ist keine freiwillige Entscheidung und sollte keinesfalls mit Abschlägen bestraft werden. Ohne Abschläge und mit drei Jahren Zurechnungszeit würde die EM-Rente um durchschnittlich 130 Euro steigen und Kranken den Gang zum Grundsicherungsamt ersparen. Genau dafür fehlt Union und SPD aber das Geld.

Reha-Deckel lüften!

Gezielte medizinische oder berufliche Rehabilitationsleistungen (»Leistungen zur Teilhabe«) sollen die Teilhabe am Erwerbsleben sichern. Trotz des in der politischen Diskussion anerkannten Grundsatzes, dass vor dem Bezug einer frühzeitigen Rente zunächst Rehabilitationsmaßnahmen stehen sollten (»Reha vor Rente«), besteht Jahr für Jahr das Problem, dass das entsprechende finanzielle Budget der GRV ausgeschöpft ist und dem eigentlichen Bedarf nicht gerecht wird. Viele Reha-Anträge mussten abgelehnt werden. Auf die Welle von psychischen Erkrankungen und gesundheitlichen Belastungen aufgrund der längeren Lebensarbeitszeiten und der steigenden Arbeitsintensität ist die Rentenversicherung nur schlecht vorbereitet.

Jetzt ergänzt die Bundesregierung die jährliche Bruttolohnanpassung um eine »Demografiekomponente«. Die Arbeitnehmerkammer Bremen konnte aber in ihrer Stellungnahme zur Anhörung aufzeigen: Vorübergehend kommt es zu Verbesserungen, aber ab 2025 wird der Betrag, der für die so wichtigen Rehabilitationsmaßnahmen zur Verfügung steht, wieder schrumpfen: »Für den Zeitraum von heute bis 2050 stünde im Ergebnis ein insgesamt über 11 Mrd. Euro (heutige Werte) niedrigeres Reha-Budget zur Verfügung als bisher.«[7]


Manches wird besser, aber nichts wird gut

Fassen wir zusammen: Erstmals seit Jahren legt eine Bundesregierung eine ganze Reihe von Leistungsverbesserungen für Rentnerinnen und Rentner vor, und die begünstigten Mütter, besonders langjährig Versicherte sowie die zukünftigen Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner werden die Verbesserungen als Wertschätzung für die Erziehung ihrer Kinder oder für ein langes und entbehrungsreiches Arbeitsleben auf ihrem Rentenbescheid sehen.

Die Mehrheit der Versicherten und Rentnerinnen und Rentner wird aber leer ausgehen und sich deshalb direkt benachteiligt fühlen. Müssen Beschäftigte zum Beispiel schon im Alter von 45 nach mehreren Bandscheibenvorfällen krankheitsbedingt aus dem Erwerbsleben in eine EM-Rente gehen, so werden ihnen die 36 Euro mehr nicht aus der Sozialhilfefalle heraushelfen. Ähnlich Rentnerinnen und Rentner, die schon vor dem Stichtag 1. Juli 2014 eine Erwerbsminderungsrente bezogen oder Mütter, die auf die Grundsicherung im Alter angewiesen sind und deren »Mütterrente« voll angerechnet wird oder auch Beschäftigte, die am Ende ihres Arbeitslebens in das repressive Hartz-IV-System gedrängt wurden und deshalb nicht ab 63/65 abschlagsfrei in Rente gehen können. Schlimmer noch: Unter bestimmten Voraussetzungen werden sie sogar mit Abschlägen und gegen ihren Willen zwangsverrentet.[8]

In dieser Gemengelage stellte das Rentenpaket DIE LINKE im Bundestag vor eine strategische Herausforderung, die zumindest eine Feinjustierung ihres Oppositionsverständnisses erforderte. In den Auseinandersetzungen vor der Verabschiedung im Bundestag ging es darum, gemeinsam mit den Gewerkschaften die Leistungsverbesserungen, so unzureichend sie auch sein mögen, gegen die Phalanx von BDI, BDA, INSM und anderen marktradikalen Lobbygruppen und Think-Tanks zu verteidigen. Die Grünen waren in dieser Situation keine große Hilfe, da ihr Wirtschaftsflügel in den Chor der Mahner­Innen gegen die angebliche Frühverrentungswelle einstimmte und insbesondere die Rente ab 63/65 ablehnte. In einem Entschließungsantrag forderten sie die Regierung sogar auf, das Rentenpaket zurückzuziehen, weil ihnen die Leistungsverbesserungen zu weit gingen.[9]

Wie verhält sich DIE LINKE aber nach dem 1. Juli 2014 gegenüber dieser eher traditionellen, sozialdemokratischen Variante des Regierens, die über eng eingegrenzte und systemimmanente Verbesserungen bestimmte Bevölkerungsgruppen binden und damit langjährigen Forderungen von Gewerkschaften und Sozialverbänden entgegen kommen will? Denn das gelingt in einer Großen Koalition anscheinend besser, da in dieser Regierungskonstellation der offene, marktradikale Widerstand der FDP und der Widerstand der Grünen fehlt, die ihre latent schon immer vorhandene Sozialstaatsantipathie jetzt wieder als »tickende demografische Zeitbombe« und als »Generationenkonflikt« aufleben lassen.

Die Antwort auf diese strategische Herausforderung lautet: DIE LINKE macht erstens laut auf den großen Webfehler dieses Rentenpakets aufmerksam. Die Finanzierung der so genannten Mütterrente aus Beiträgen der Rentenversicherung ist ungerecht und weil sich die Sozialdemokratie nicht gegen den Kürzungswahn der Konservativen durchsetzen konnte (»keine Steuererhöhungen!»), ist damit auch der finanzielle Spielraum für angemessene und echte Leistungsverbesserungen und den Kampf gegen Altersarmut verbaut. Damit wird aus dem Rentenpaket ein Rentenpäckchen.
Zweitens macht die LINKE aber auch auf die Sollbruchstellen im System der gesetzlichen Rentenversicherung aufmerksam, die von der Großen Koalition bewusst nicht bearbeitet werden. Das ist einerseits die Rente erst ab 67, das ist aber vor allem das sinkende Rentenniveau.


Rentenpaket ohne Niveau

Das Ziel der gesetzlichen Rente, den Lebensstandard im Alter zu sichern, wurde seit der Jahrtausendwende systematisch zerstört: mit der Beitragssatzbegrenzung und mit den Kürzungsfaktoren »Nachhaltigkeits-«, »Riester-« und »Nachholfaktor«. Dahinter verbergen sich – wie oben angedeutet – komplizierte Berechnungen und Rückwirkungen.
Eines aber ist sicher: Der Rentenwert wird zwar steigen, aber nicht mehr parallel zu den Löhnen. Preissteigerungen werden nicht mehr aufgefangen. Die Renten verlieren an Wert und zwar alle!

In Zahlen ausgedrückt: Die Kürzungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel drücken das »Sicherungsniveau der Rente vor Steuern« – also das Verhältnis der Standardrente zum Durchschnittseinkommen – ohne die Rückkopplungen mit dem Rentenpaket von 53 (2001) auf 44,4% (2030). Mit dem Rentenpaket wird das Rentenniveau noch stärker auf 43,7% sinken.

Wenn wir wieder eine echte gesellschaftliche Teilhabe der Älteren wollen, müssen wir die verheerenden Kürzungsfaktoren aus der Rentenanpassungsformel streichen und wieder zu einem Rentenniveau von 53% vor Steuern zurückkehren. So technisch das klingt, aber nur dann würden in den kommenden Jahren die Renten der älteren Generation einigermaßen ausreichen und wir könnten die Jüngeren überzeugen, nicht nur auf die Höhe der Beiträge zu schielen, sondern mit einem Blick auf die Renteninformation zu sehen: Meine gesetzliche Rente ist sicher! Erst dann können auch Verbesserungen für einzelne Leistungsarten, wie vor allem für die Erwerbsminderungsrenten, voll und ganz greifen.

Wenn wir dann noch die heutige Rentenversicherung zu einer Solidarischen Rentenversicherung für alle Erwerbstätigen umbauten und die bisher in die Riesterrente geflossenen 27 Milliarden Euro Steuergelder[10] in die gesetzliche Rentenkasse zahlten statt an die Versicherungskonzerne, wäre diese umlagefinanzierte Rente leistungsfähig und finanzierbar. Und vor allem gäbe es ein großes Stück mehr echter Solidarität in der Altersvorsorge!

Matthias W. Birkwald, MdB, ist Diplom-Sozialwissenschaftler, rentenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE und Obmann im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales. Mit Christoph Butterwegge und Gerd Bosbach Mitherausgeber des Buches »Armut im Alter – Probleme und Perspektiven der sozialen Sicherung«, Frankfurt a.M./New York 2012. In Sozialismus 4/2012 erschien von ihm der Artikel »Licht am Ende des Tunnels« als Replik auf Johannes Steffens Kritik am LINKEN-Vorschlag der Solidarischen Mindestrente.

[1] Die Stellungnahmen (Ausschussdrucksache 18 [11] 82) und das Protokoll zur überaus interessanten Anhörung vom 5. Mai 2014 finden sich hier: www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse18/a11/anhoerungen/2014/11_Sitzung/index.html.
[2] Vgl. dazu im Detail die schriftliche Stellungnahme der Arbeitnehmerkammer Bremen. Ausschussdrucksache 18 (11) 82, S. 14ff.
[3] Winfried Schmähl, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Gesetzlichen Rentenversicherung: Verhinderung von Armut im Alter?, in: Christoph Butterwegge/Gerd Bosbach/Matthias W. Birkwald (Hrsg.): Armut im Alter – Probleme und Perspektiven der sozialen Sicherung, Frankfurt a.M./New York 2012, S. 56.
[4] Antwort der Bundesregierung vom 6. Mai 2014 auf die schriftliche Frage des Abgeordneten Matthias W. Birkwald (noch nicht als Drucksache veröffentlicht).
[5] Stefanie Märtin/Pia Zollmann (2013): Erwerbsminderung – ein erhebliches Armutsrisiko. Empirische Befunde zur sozioökonomischen Situation von Personen mit Erwerbsminderung, in: Informationsdienst Soziale Indikatoren, H. 49, S. 1-4. Die Armutsgefährdungsquote bezeichnet den Anteil der Personen mit einem bedarfsgewichteten Einkommen von weniger als 60% des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung. Für 2010 lag die Schwelle bei 806 Euro.
[6] Das bedeutet, dass Erwerbsgeminderte so gestellt werden, als ob sie mit ihrem bisherigen durchschnittlichen Einkommen bis zum 62. statt wie bisher zum 60. Geburtstag weitergearbeitet hätten.
[7] Ausschussdrucksache 18 (11) 82, S. 17.
[8] Vgl. zu den in der Öffentlichkeit kaum diskutierten Zwangsverrentungen von Hartz-IV-Beziehenden nach §12a, SGB II: Matthias W. Birkwald, Zwangsverrentungen stoppen! Sonst droht Altersarmut per Gesetz, Junge Welt vom 14.5.2014, www.jungewelt.de/2014/05-14/012.php.
[9] Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Drucksachen 18/909 – zum Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz), Bundestagsdrucksache 18/1498).
[10] Statistisches Bundesamt, Staatliche Förderung der Riesterrente 2009, Wiesbaden 2013 und eigene Berechnung auf Grundlage der Steuerschätzungen des Bundesfinanzministeriums.

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