1. Dezember 2007 Redaktion Sozialismus

Mit sozialen Konflikten in den Abschwung?

In der Wählergunst hat der Kraftakt der Sozialdemokratie zur Neubestimmung ihres politischen Kurses keine positiven Effekte bewirkt. Mit deutlichen Mehrheiten hat die SPD sich zur Agenda-Politik bekannt, zugleich Nachbesserungen nicht ausgeschlossen.

Die unter großer Aufmerksamkeit der Medien durchgesetzte Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für ältere Lohnabhängige, die Verabschiedung eines neuen Grundsatzprogramms sowie die personelle Neubesetzung der Führungsgremien der Partei hat den Niedergang bislang nicht stoppen können. Nach dem Rücktritt von Vizekanzler und Arbeitsminister Müntefering ist die SPD in der Wählergunst weiter zurückgestuft worden. In einigen Meinungsumfragen erreichte die Sozialdemokratie ein Jahrestief mit 24%, während die Unionsparteien stabil im Bereich von knapp 40% liegen. FDP und Grüne liegen gegenwärtig bei jeweils 9%, die Linkspartei davor mit 12%. Ein Bündnis aus Union und FDP käme damit auf 49% und hätte einen Vorsprung von vier Punkten vor SPD, Grünen und Linkspartei, die zusammen 45% erreichen.

Dieses Schlaglicht auf die politischen Kräfteverhältnisse muss vor dem Hintergrund scharfer Konflikte der Gewerkschaften um Arbeitseinkommen und -bedingungen gesehen werden. Durch erfolgreiche Lobbypolitik aus dem Unternehmerlager bei CDU und CSU ist das Projekt eines Mindestlohns für die Briefzusteller für die nächste Zeit beerdigt worden. Zum Jahreswechsel läuft das Briefmonopol in Deutschland aus, dem die privatisierte Post AG bislang ihre ökonomische Position verdankt. Das frühere öffentliche Unternehmen ist mit ca. 500.000 Beschäftigten der größte Arbeitsgeber; rund 80.000 Mitarbeiter sind als Briefträger beschäftigt, und zwar zu Stundenlöhnen zwischen 11 und 15 Euro. Eine Reihe von Konkurrenten hat angekündigt, der Post AG erhebliche Marktanteile abzujagen. Diese Billiglohnunternehmen zahlen bislang Stundenlöhne von unter 7 Euro und haben über die Presse mitgeteilt, dass sie maximal einen Mindestlohn von 8 Euro akzeptieren wollen. Der von der Post AG mit der Gewerkschaft ver.di ausgehandelte Mindestlohn sieht ab 1. Januar Stundenlöhne bis zu 9,80 Euro vor. Infolge von Deregulierung und Privatisierung wird also eine widerspruchsvolle Situation eintreten. Die Post AG rechnet mit einem deutlich rückläufigen Postaufkommen; im schlimmsten Fall müsste der Konzern mit Umsatzverlusten von 20% fertig werden, was auf eine Entlassung von rund 32.000 Beschäftigten hinausliefe. Zugleich läuft bei der Post AG der Kündigungsschutz im nächsten Jahr aus. Bislang hat das Management der Post erklärt, dass es an dem vereinbarten Lohn von 9,80 Euro festhalten werde, was den Beschäftigten einiger Post-Tochtergesellschaften zunächst Einkommen an der Existenzgrenze in Aussicht stellt. Auf längere Sicht wird durch das Auftreten von Billiglohnkonkurrenten der Umfang und die Entgeltstruktur der Postbeschäftigten nach unten gezogen werden. Die Mitverantwortung dafür wird den Parteien der großen Koalition insgesamt – damit auch der SPD – zugeschrieben werden. Nicht ganz zu Unrecht, hatte doch die SPD bei der Privatisierung der einstigen "Bürgerpost" bis zur Deregulierung des Briefmonopols immer mitgemischt.

Auch der Tarifkonflikt bei der Bahn AG muss vor dem Hintergrund einer Privatisierungspolitik zu Lasten von Beschäftigten und Bahnkunden gesehen werden. Wie die Post AG weist auch der privatisierte Bahnkonzern Gewinne im Milliardenbereich aus. Das Management hat sich – wie im Zeitalter des Shareholder Value üblich – deutliche Gehaltserhöhungen und Bonuszahlungen bewilligt. Die Bahnbeschäftigten registrieren seit dem Stichtag der Privatisierung 1994 bis heute einen Einkommensverlust von knapp 10% und eine massive Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Im Gegensatz zu der die Privatisierung unterstützenden Politik der Gewerkschaften Transnet und GDBA ist die Gewerkschaft der Lokführer auf Konfrontationskurs gegangen. Die Versuche, ihr das Streikrecht zu beschneiden oder ihre Mitglieder durch Repressionsmaßnahmen einzuschüchtern, haben den Widerstand der GDL gestärkt und nach anfänglichem Zögern auch bei anderen Beschäftigten und Gewerkschaften zu einer Solidarisierung geführt. Nach wirksamen Streikaktionen im Gütertransport und Personenverkehr sind der Vorstand der Bahn AG und der sozialdemokratische Verkehrsminister auf eine Kompromisslinie eingeschwenkt. Das absehbare Ergebnis – ein eigenständiger Tarifvertrag für die Lokführer, Lohnanhebung im zweistelligen Bereich und eine neue Entgeltstruktur im Bahnunternehmen – wird Konsequenzen für das Agieren der konkurrierenden Gewerkschaften und den weiteren Privatisierungsprozess haben.

Die Sozialdemokratie hofft, durch stärkere Profilierung in der Regierung ihre Wahlchancen in den nächsten zwei Jahren verbessern zu können. Einerseits verbleibt sie in der Logik der großen Neujustierung der sozialen Sicherungssysteme; andererseits strebt sie eine Verbesserung der Lebenslagen der unteren sozialen Schichten an. Allerdings basiert diese Konzeption auf der fragwürdigen Einschätzung, dass die ökonomische Schönwetterlage in den nächsten Jahren fortbesteht. Entfesselte Finanzmärkte und ein vermögensgetriebener Unternehmensumbau verschärfen die Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung und verstärken damit die Tendenz zur realwirtschaftlichen Abschwächung und Stagnation. Die sich ausbreitende Prekarisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse zerstört mehr und mehr die soziale Sicherheit, was rückwirkend wiederum eine Ausweitung kapitalgedeckter Vorsorgeformen befördert. In der Konsequenz nimmt die ökonomisch-soziale Instabilität zu, was schließlich auch die internationalen Währungs- und Entwicklungsinstitutionen beunruhigt.

Die Konjunkturerwartungen haben sich deutlich verschlechtert. Zwar zog die US-Wirtschaft im dritten Quartal noch einmal an und wuchs um 3,9% nach 3,8% im zweiten Quartal. Fakt ist gleichwohl, dass die "Konjunkturlokomotive" USA Dampf verloren hat. Dafür ist vor allem die Kredit- und Immobilienkrise verantwortlich, deren Folgen sich gegenwärtig vor allem im Bankensektor zeigen. Seit Ausbruch der Krise hat die US-Notenbank (Fed) den Leitzins um insgesamt 75 Basispunkte auf 4,5% gesenkt.

In den USA ist zu beobachten, dass die Verbraucher zurückhaltender werden. Es gibt Massenentlassungen beim Chiphersteller Intel und beim Autobauer Ford, Makler berichten von stagnierenden und fallenden Hauspreisen. Autos verkaufen sich nicht mehr so gut wie noch vor ein paar Monaten und in Stimmungsumfragen geben Verbraucher wie Unternehmenschefs sich trübsinnig. Die Sparquote lag mit 0,9% im August auf dem höchsten Stand seit neun Monaten, und der Index des Konsumentenvertrauens ist eingebrochen. Der Ausblick auf das Weihnachtsgeschäft ist für den Detailhandel pessimistisch und dies kann Folgen haben, werden doch in den letzten beiden Kalendermonaten gut 20% des Jahresumsatzes erzielt. Gesamtwirtschaftlich ist der private Konsum mit rund 70% die bei weitem wichtigste Nachfragekomponente. Kaum jemand erwartet, dass dieser im vierten Quartal absolut sinken wird, zumal die Ausgaben für Benzin und Heizenergie preisbedingt ansteigen. Aber ein geringer Zuwachs schlägt meist klar negativ auf das Wirtschaftswachstum durch. Angesichts der gegenwärtigen Stimmungslage ist es unwahrscheinlich, dass die Ausrüstungsinvestitionen stark zunehmen und damit die Rolle einer Wachstumslokomotive übernehmen werden.

Aus konjunktureller Sicht sind die Nachrichten im Moment lediglich von der Exportfront uneingeschränkt positiv. Monat für Monat nehmen die Ausfuhren von Gütern und Dienstleistungen zu. Im September lagen sie immerhin um 13,6% über dem Niveau der Vorjahresperiode. Und mit einem Anteil der Exporte von rund 12% am Bruttoinlandprodukt fallen diese Zunahmen durchaus auch gesamtwirtschaftlich ins Gewicht. Im dritten Quartal beispielsweise trugen die Exporte mit 1,8% zum Wachstum des BIP bei. Der Hintergrund dieser Tendenz: US-Unternehmen werden durch die Abwertung des Dollar wettbewerbsfähiger. Trotz der Exportstärke nimmt der Pessimismus über die weitere ökonomische Entwicklung in den Vereinigten Staaten zu, zumal die Krise im Finanzsektor noch nicht ausgestanden ist und strengere Kreditkonditionen Haushalte und Unternehmen in den kommenden Wochen und Monaten stärker unter Druck setzen werden.

Die Fed geht für 2008 von einem deutlich verlangsamten Wachstum der US-Wirtschaft aus. Im Juni 2007 hatte sie noch Wachstumsraten zwischen 2,5 und 2,75% prognostiziert, jetzt schätzen die Notenbanker den Zuwachs auf 1,8 bis 2,5%. Die Korrektur der Prognose belegt, dass die Wachstumserwartungen niedriger ausfallen und eine deutliche Unsicherheit bei der Prognose nicht zu übersehen ist. Entscheidend für den weiteren Verlauf der US-Konjunktur und die Perspektiven der Globalökonomie ist die Dynamik der aktuellen Kredit- und Immobilienkrise.

In den letzten Wirtschaftszyklen seit Anfang der 1990er Jahre sind die Immobilienpreise gestiegen. Dies hat bei vielen Bürgern die Hoffnung befördert, dass die Aufwärtsbewegung anhalten wird. Sie kauften Immobilien in der Erwartung, diese zu einem späteren Zeitpunkt mit Gewinn wieder verkaufen zu können. Das Auftreten immer neuer Käufer führte dazu, dass die Preise tatsächlich weiter anstiegen. Der kräftige Wirtschaftsaufschwung ab dem Jahr 2003 ließ die Erfahrungen der kurzen Rezession nach 2001 schnell vergessen. Das Immobilienvermögen war der wichtigste Faktor, um den Crash des New Economy-Booms abzufedern. Der kontinuierliche Preisanstieg des Immobilienvermögens erleichterte die Beleihung bestehender Objekte und damit auch die Kreditaufnahme zur Finanzierung von Konsumausgaben.

Auch die Liquiditätsversorgung durch die US-Notenbank war lange Zeit sehr großzügig. Bis zum Juni 2004 blieb der Leitzins auf dem Rekord-Tiefstand von 1%. Viele Kritiker hatten schon damals gemahnt, dass die Notenbank zu lange mit Zinsanhebungen gewartet hätte. Mit einer expansiven Geldpolitik sind grundsätzlich Inflationsgefahren sowohl bei den Güter- als auch bei den Vermögenspreisen verbunden, wenn es nicht rasch genug zu einer Ausweitung des realwirtschaftlichen Angebots kommt.

Schließlich haben Schwächen auf dem US-Kredit- und Hypothekenmarkt den Vermögensboom begünstigt. Trotz der deutlich angehobenen Zinsen und der stark angestiegenen Immobilienpreise wurde die Kreditvergabe auch im Jahr 2006 noch kräftig ausgeweitet. Zum einen wurden Kredite an Hauskäufer mit geringer Bonität vergeben (subprime mortgages). Zum zweiten: Seit Mitte der 1990er Jahre werden in den USA einzelne Hypothekenkredite zunehmend von Finanzierungsgesellschaften gebündelt. Diese Bündel werden dann von Rating-Agenturen bewertet und anschließend auf dem internationalen Kapitalmarkt – allerdings außerbörslich (over the counter) – an institutionelle Anleger vertrieben. Dies hat dazu beigetragen, dass die Risiken aus diesen Geschäften zu gering eingeschätzt und Kredite an Hauskäufer vergeben wurden, die diese materiell überforderten.

Das globale Anlagevolumen der Finanzmärkte hat in den letzten 20 Jahren enorm zugenommen. Institutionelle Anleger wie Banken, Pensionsfonds, Versicherungen, Hedge-Fonds und Private-Equity-Gesellschaften verwalten nicht nur ein riesiges Volumen von Eigentumstiteln, die der Sache nach alle Ansprüche auf künftig zu produzierenden gesellschaftlichen Reichtum darstellen. Die enorm gewachsene Rolle institutioneller Anleger und Vermögensverwalter drückt sich heute in einem Umbau der Unternehmenslandschaft aus. Der Ausweitung des Anteils von leistungslosen Einkommen am gesellschaftlichen Reichtum korrespondiert der Rückgang der Anteile der Arbeits- und Sozialeinkommen. Vor dem Hintergrund dieser veränderten Machtverhältnisse in den Unternehmen und der Verteilung der gesellschaftlichen Wertschöpfung kann die Krise im Immobilien- und Kreditbereich nur durch eine umfassende Entwertung von Eigentumstiteln beendet werden. Die unvermeidliche Verteilung der Verluste wird sich noch eine ganze zeitlang hinziehen und der Rückschlag in einen Schrumpfungsprozess der Realökonomie ist wahrscheinlich. Die Wertberichtungen könnten sich dann in einer nachhaltigen Störung der Weltwirtschaft niederschlagen. Der Verlauf der möglicherweise rezessiven Entwicklung wird indes nicht alleine durch den eigentlichen Krisenherd auf dem US-Hypothekenmarkt und dessen Relation zur Größe der globalen Finanzmärkte, sondern auch von anhaltenden Turbulenzen in den Währungsrelationen entschieden.

Es ist also keineswegs überraschend, dass Schlechtwetterwolken am ökonomischen Horizont aufgezogen sind. Und es sollte auch nicht überraschen, wenn diese sich in heftigeren Gewittern entladen.

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