1. März 2006 Dag Seierstad

Mitte-Links-Allianz in Norwegen

Aus den norwegischen Parlamentswahlen im September 2005 ist eine Mitte-Links-Koalition als Siegerin hervorgegangen. Die drei Parteien dieser Allianz sind die sozialdemokratische Arbeiterpartei (Ap), die sozialistische Linkspartei (SV) und die Zentrumspartei (Sp).[1] Der Sieg der Allianz fiel sehr knapp aus (87 gegen 82 Sitze im Parlament). Insbesondere die SV hat schwere Verluste gegenüber 2001 hinnehmen müssen. Die bürgerlichen Parteien, die bis dahin die Regierung gestellt haben, hatten indes weit drastischere Verluste zu verkraften und verloren ihre Mehrheit, weil viele ihrer WählerInnen zur populistischen Rechten abgewandert sind. Die Rote Wahlallianz (RV) verfehlte den Einzug ins Parlament wieder klar.

Die drei Parteien der Mitte-Links-Allianz haben einen je eigenständigen Wahlkampf mit unterschiedlichen politischen Programmen geführt, gleichwohl aber mit der öffentlich bekundeten Absicht, eine gemeinsame Regierung zu bilden, sollten die Wahlen eine entsprechende parlamentarische Mehrheit ergeben. Die WählerInnen haben ihnen das entsprechende Mandat erteilt. Die Koalitionsverhandlungen von Soria-Moria (Tagungszentrum am Rande Oslos) dauerten drei Wochen, in denen die Ap mit mehr als doppelt so viel Stimmen als beide kleinen Parteien zusammen (32,7% zu 15,3%) eine starke Verhandlungsposition besaß. Umso überraschender die Ergebnisse: Der Koalitionsvertrag ist in vielen Bereichen erstaunlich konkret und detailliert – weit entfernt von kurzen, allgemeinen Vereinbarungen, die im Interesse der dominierenden Ap gewesen wären. Das Regierungsprogramm ist in großen Teilen eindeutig links vom Wahlprogramm der Ap. Die wichtigsten Veränderungen betreffen der Stopp der Deregulierung öffentlicher Dienste und neue Ziele in den Beziehungen zu den Entwicklungsländern.

Die Wahlkampfpositionen konnten weitgehend im ausgehandelten Regierungsprogramm verankert werden. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik ist damit eine Grundlage für ein gemeinsames Regierungshandeln gegeben. Sie wurde möglich durch eine Positionsveränderung bei der Ap, die von vielen Mitgliedern der Linkspartei vor ein paar Jahren noch für unmöglich gehalten wurde. Die norwegische Sozialdemokratie setzt sich damit von der Entwicklung ihrer Schwesterparteien in vielen anderen europäischen Ländern ab. Die Frage bleibt, wie nachhaltig diese Rückbesinnung der Arbeiterpartei auf traditionell sozialdemokratische Werte ist.

Es gibt allerdings in der Mitte-Links-Allianz Streitpunkte, die ihre Existenz gefährden können. Dies gilt in erster Linie für die Außenpolitik, vor allem für das norwegische Engagement in Afghanistan und dem Irak. Während etwa die SV den vollständigen Rückzug der norwegischen Truppen aus Afghanistan fordert, insbesondere der unter US-amerikanischem Kommando agierenden und jeder parlamentarischen Kontrolle entzogenen Kampftruppen, möchte die Ap diese Präsenz ungeschmälert fortsetzen. Konfliktpotenzial für die Mitte-Links-Allianz bietet zudem die Umweltpolitik, insbesondere Fragen der Gasausbeutung und der erneuerbaren Energie.

Der Wahlerfolg

Die beiden Hauptfaktoren hinter dem Wahlerfolg von 2005 sind auch in anderen Ländern von Gewicht: eine Gewerkschaftsbewegung, die die Politik der sozialdemokratischen Partei von links kritisiert – und die Existenz einer Partei links von der Sozialdemokratie, die sich in hohem Maße mit den Forderungen der Gewerkschaftsbewegung identifiziert.

Die wichtigsten Gewerkschaften kamen im Laufe des letzten Jahrzehnts mehr und mehr zu dem Schluss, dass die Arbeiterpartei nicht länger eine linke Partei ist, der sie vertrauen können. Sie erkannten, dass die einzige Möglichkeit, von der Ap eine an den Interessen der abhängig Beschäftigen orientierte Politik zu bekommen, darin besteht, die Partei in eine Koalition mit der SV zu zwingen – und gleichzeitig die Forderungen der GewerkschafterInnen so sichtbar und deutlich zu artikulieren, dass die Koalitionsregierung auf sie hören muss.

Der gleichen Strategie folgte man in den sozialen Bewegungen, der Umweltbewegung, der Antikriegsbewegung und der Bewegung der GlobalisierungskritikerInnen.

Die Gewerkschaften forderten: keine weiteren Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Das ist jetzt eine Hauptverpflichtung im Koalitionsvertrag. Auch Umweltschutz-NGOs stellten ihre Forderungen. Einige, aber nicht alle, sind Teil der Regierungsplattform. Die KriegsgegnerInnen erklärten im Februar 2003, sie wollten nicht, dass Norwegen die US-amerikanische Kriegsführung unterstützt. Jetzt zieht die neue Regierung die Truppen aus dem Irak und von der US-geführten Operation Enduring Freedom in Afghanistan ab. Die Bewegung der GlobalisierungskritikerInnen forderte fairen Handel für Entwicklungsländer – und die neue Regierung hat beschlossen, einige norwegische Forderungen an die Entwicklungsländer in den GATS-Verhandlungen zurückzunehmen.

Die Verluste der sozialistischen Linkspartei

Für die Verluste der Linkspartei – die fast ein Drittel ihrer WählerInnen einbüßte – gibt es viele Gründe. Die wichtigsten sind: Die SV hat in den letzten Jahren im Zusammenspiel mit den Gewerkschaften Druck auf die Sozialdemokratie in Richtung eines Politikwechsels ausgeübt. So gelang es z.B., die Ap auf einen Bruch mit ihrer bisherigen Politik der Privatisierung und der Einführung von Wettbewerbsstrukturen im Gesundheitssystem und bei den sozialen Diensten zu bewegen. Das führte dazu, dass die Ap im Wahlkampf ähnliche Forderungen aufstellte wie die SV.

Die Angriffe der politischen Rechten zielten hauptsächlich auf die SV. Sie beschworen gegenüber den WählerInnen in einer scharfen Kampagne eine von der SV ausgehende "rote Gefahr" und benutzten dabei alle möglichen Varianten von wahren und unwahren Beschuldigungen, die die SV in die Defensive brachten. Die Angstkampagne erreichte ihr Ziel nicht: den Sieg einer Mitte-Links-Koalition bei den Wahlen zu verhindern. Aber Teile der früheren WählerInnen der SV, die sie in den Wahlen 2001 wegen der damals neoliberalen Politik der sozialdemokratischen Partei gewinnen konnte, wählten wieder sozialdemokratisch. Schließlich wünschten viele WählerInnen zuallererst die Ablösung der alten Regierung und votierten für die Ap, um dieses Ziel zu erreichen.

Trotz der Verluste bei den Wahlen und einer geschrumpften Parlamentsgruppe, betrachtet die SV das Wahlergebnis als Chance, daraus einen politischen Sieg zu machen – unter der Bedingung, dass es im Zusammenspiel mit den sozialen Kräften außerhalb des Parlaments (Gewerkschaften, Umweltbewegungen etc.) gelingt, die Ap dazu zu bringen, ihre im Wahlkampf gegebenen Versprechungen einzuhalten.

Was wurde erreicht?

  Ein Teil der multilateralen Entwicklungshilfe wurde im Budget für 2006 von der Weltbank in Entwicklungsprogramme unter UN-Aufsicht verschoben.

  Norwegens Entwicklungshilfe wird 2006 fast 1% des BIP ausmachen, die Hilfe für die Erdbebenopfer in Pakistan beträgt 550 Mio. Norwegische Kronen[2] und ist die höchste bislang von irgendeinem Land bereitgestellte Summe.

  Die norwegische Position in den GATS-Verhandlungen, wonach die Entwicklungsländer ihre Grenzen für den internationalen Wettbewerb von Bildungsanbietern, Strom- und Wasserversorgern öffnen sollten, wurde zurückgezogen.

  Alle norwegischen Ersuchen in den GATS-Verhandlungen an LCD-Länder, die am wenigsten entwickelten Länder, wurden rückgängig gemacht.

  Die norwegischen Stabs- und Ausbildungsoffiziere im Irak und die norwegischen Sondereinheiten, die Teil der Operation Enduring Freedom in Afghanistan sind, werden zurückgezogen.

  Alle Privatisierungen von Schulen, sowohl im Elementar- als auch im Sekundarbereich, werden gestoppt.

  Die Arbeitsbeziehungen sind Gegenstand von Gesetzesvorschlägen, die gegenwärtig im Parlament diskutiert und von der Mitte-Links-Mehrheit unterstützt werden. Sie beinhalten die Rücknahme aller Änderungen der Vorgängerregierung, die eine Schwächung der Position der ArbeiternehmerInnen bedeuteten. Stattdessen werden verschiedene Regelungen zur Stärkung von Gewerkschaften und ArbeiternehmerInnen, insbesondere von Teilzeitarbeitenden eingeführt.

  Die Höhe der Besteuerung im Budget 2006 entspricht der von 2004.

  Die Steuer auf Aktiendividenden wurde wieder eingeführt und Kapitaleinkünfte müssen nach dem höchsten für Einkommen gültigen Satz versteuert werden.[3]

  Der Transfer von Geldern an regionale und lokale Behörden wurde für das Jahr 2006 um fast 6 Mrd. Norwegische Kronen[4] erhöht.

Trotz Umsetzung des Koalitionsvertrags werfen die Medien den Regierungsparteien vor, ihre Versprechen nicht einzuhalten. Diese Kritik bezieht sich jedoch vorwiegend nicht auf das Regierungsprogramm, sondern auf die Wahlprogramme der drei Parteien. Abermals steht die SV im Zentrum der Kritik: Den MinisterInnen der SV wird vorgeworfen, "Versprechen" aus dem Parteiprogramm nicht einzuhalten. Das hat jedoch seinen Grund schlicht in der Tatsache, dass die UnterhändlerInnen der SV ihre Positionen nicht in den Koalitionsvertrag einbringen konnten oder die MinisterInnen der SV innerhalb der Regierung überstimmt werden. Gleichzeitig werden die Kabinettsmitglieder der SV von ParteiaktivistInnen angegriffen, die öffentlich radikalere Lösungen fordern als die, die im Koalitionsvertrag enthalten sind oder die von der Regierung angestrebt werden. Und schließlich werden sie dafür kritisiert, dass die Versprechen des Koalitionsvertrags nicht schon 2006 umgesetzt werden, sondern dass die Umsetzung schrittweise im Laufe von vier Jahren bis 2009 erfolgen soll.

Die aggressivsten Angriffe auf die SV werden gegen die Teile des Parteiprogramms geführt, die langfristige Ziele in Bezug auf grundlegendere, aber tatsächlich recht vorsichtige Veränderungen in der norwegischen Gesellschaft benennen, beispielsweise die Verkürzung der Arbeitszeit auf einen 6-Stunden-Arbeitstag oder eine 30-Stunden-Woche und das Recht von Beschäftigten in Betrieben mit mehr als 200 Angestellten, VertreterInnen zu wählen, die dann über 40% des Stimmenanteils in der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft verfügen, die den Betrieb besitzt.

Die Palette und die Intensität der Angriffe auf die SV nach der Wahl wirft die Frage auf: Werden die Parteimitglieder – und die WählerInnen – die Teilnahme an dieser Regierung akzeptieren, wenn die fünf MinisterInnen in vielen Bereichen eine Politik akzeptieren müssen, die die Parteimitglieder nicht verteidigen können? Auf dem Parteikongress im April 2005 wurde der Beschluss, auf eine Regierungskoalition mit der Ap und der Sp hinzuarbeiten, einstimmig getroffen. Vor der Wahl bestanden innerhalb der Partei keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Strategie. Die Entscheidung, sich an der Regierung zu beteiligen, wurde vom Nationalrat (einem Gremium mit 40 Mitgliedern) auf Basis des verhandelten Koalitionsvertrags getroffen – und zwar erneut einstimmig. Aber welche Diskussionen werden innerhalb der SV aufkommen, wenn sich Hunderte von kleinen und größeren Kompromissen – und möglicherweise Rückschritte – in der alltäglichen Arbeit der Regierung zeigen? Das hängt in hohem Maße davon ab, ob die Positionen der Partei von ihren VertreterInnen in Regierung und Parlament deutlich vertreten werden, ob Kompromisse zu verlorenen Schlachten erklärt oder aber zu Vereinbarungen, die es wert sind, verteidigt zu werden – und ob die Parteimitglieder auf allen Ebenen, nicht nur innerhalb der Partei, offen für eine Politik kämpfen können, die die MinisterInnen auf Regierungsebene nicht durchsetzen können.[5]

Neoliberale Herausforderungen

Die Mitte-Links-Regierung hat unter den traditionellen LinkswählerInnen und in der Gewerkschaftsbewegung die Hoffnung geweckt, die anhaltende Welle von neoliberalen Reformen könne aufgehalten und teilweise sogar zurückgedrängt werden. Sind solche Hoffnungen gerechtfertigt? Einerseits gibt es Anlass zur Hoffnung: Erstens geben die Ölindustrie und das stetige Wachstum der "Festlandsökonomie" (d.h. die norwegische Ökonomie ohne den Öl- und Gassektor) den norwegischen Regierungen mehr Aktionsspielraum als anderen europäischen Regierungen. Zweitens stehen die Gewerkschaften fest hinter der Forderung nach einem Stopp und der Umkehr der neoliberalen Politik des letzten Vierteljahrhunderts.

Andererseits gibt es Realitäten, die die Mitte-Links-Regierung davon abhalten könnten, ihre im Koalitionsvertrag erklärten Ziele, zu erreichen. Einige haben ihren Ursprung in Norwegen:

1. Die Wählerschaft war im September 2005 in zwei fast genau gleichgroße Hälften geteilt, und das bei einer Wahl, in der viele Faktoren günstig für einen Mitte-Links-Sieg waren. Der Wechsel einiger Tausend WählerInnen zu rechten Parteien in umkämpften Wahlkreisen könnte 2009 zu einer Mitte-Rechts- oder sogar einer rechten Regierung führen.

2. Teile der Wahlrhetorik der drei siegreichen Parteien haben Erwartungen geweckt, die möglicherweise schwer zu erfüllen sind.

3. Die drei Regierungsparteien haben Differenzen, die die Arbeit einer gemeinsamen Regierung schwierig machen und in kritischen Situationen zu einem Bruch der Regierung führen können. Dies betrifft u.a. außenpolitische Fragen (die norwegische Beteiligung an internationalen Operationen spaltet die Parteien) und die Gewichtung umweltpolitischer Gesichtspunkte bei der Ölgewinnung in nördlichen/arktischen Gewässern.

4. In dieser Koalitionsregierung befindet sich die Ap in wichtigen Bereichen in der Führungsrolle für eine Politik, an die viele ihrer eigenen ParteiführerInnen nicht glauben. Diese halten es nicht wirklich für möglich, sich gegen die in Europa vorherrschende Politik der Anpassung an mächtige Kräfte der nationalen und internationalen Liberalisierung zu stellen.

5. Die neue Regierung gründet ihre Wirtschaftspolitik auf den Gedanken, dass die Wettbewerbsfähigkeit der norwegischen Wirtschaft letztlich das Ergebnis der kooperativen Tradition in den Fabriken und Firmen ist – im Gegensatz zur eher konfrontativen Situation in vielen anderen Ländern. Diese Tradition der Kooperation hat den Gewerkschaften beträchtlichen Einfluss bei der Einführung von technologischen und organisatorischen Veränderungen am Arbeitsplatz verschafft. Diese kooperative Tradition wird seit einiger Zeit durch Alleingangstrategien von Teilen der Angestellten unterminiert. Wenn sich diese Tendenz durchsetzt, wird diese Grundlage der norwegischen Wettbewerbsfähigkeit möglicherweise bald der Vergangenheit angehören und in der Wirtschaftspolitik und bei Fragen der Wirtschaftsdemokratie die Handlungsfreiheit der neuen Regierung einschränken.

Weitere schwierige Herausforderungen stellen sich jeder linken Regierung in Europa: Der öffentliche Sektor muss ständig reformiert und effizienter gemacht werden, um der Bevölkerung den Service bieten zu können, der ihren Bedürfnissen entspricht und den sie in zunehmendem Maße fordert. Die neue Regierung hat versprochen, den öffentlichen Sektor durch das Angebot einer engen Kooperation mit den Beschäftigten und ihren Gewerkschaften bei Veränderungen der Arbeitsplätze effizienter zu machen – statt für mehr Wettbewerb auf dem Markt auf Outsourcing zu setzen und Privatisierung als Methode zur "Modernisierung" des öffentlichen Sektors zu nutzen, was in den letzten zehn Jahren die Hauptstrategie war. Wenn es nicht gelingt, den öffentlichen Sektor durch eine enge Kooperation mit den Gewerkschaften zu reformieren, werden 2009 rechte Parteien die Gewinner sein.

Die grundlegenden Prinzipien der Europäischen Union, die freie Bewegung von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräften kombiniert mit der Niederlassungsfreiheit auf Grundlage der Nichtdiskriminierung, schränken die Handlungsfreiheit jeder Regierung ein, die effektiv "die Fehler des Markts korrigieren" will. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Situation Norwegens, aufgrund seiner Mitgliedschaft in der EEA (European Economic Association) und der daraus resultierenden Bindung an alle Regulierungen des europäischen Binnenmarkts, nicht von der der EU-Länder.

Da es aufgrund der freien Bewegung von Kapital möglich ist, Firmen zu verlegen und die Produktion in andere Länder und Kontinente zu verlagern, sind einer Regierung bei der Regulierung der Handlungsfreiheit der Kapitalbesitzer enge Grenzen gesetzt. Kapitalflucht ist eine potenzielle Realität – selbst wenn die Drohung damit häufig überschätzt wird.

Die allgemeine Schwächung der Gewerkschaftsbewegung zieht strategische Nachteile für jedes linke Projekt in Europa nach sich. Diese Schwächung hat viele Ursachen: die lang anhaltende Massenarbeitslosigkeit, die Veränderungen der ökonomischen Struktur weg von der Industrie hin zu Dienstleistungen, neue Formen der Arbeitsorganisation, Dezentralisierung von industriellen Beziehungen hin zu Verhandlungen über einen Arbeitsplatz, mit der Herausbildung dessen, was "wilde Kooperation" auf Firmenebene genannt werden könnte, in der die Angestellten niedrigere Löhne und längere Arbeitszeiten akzeptieren und dafür ein paar Jahre gesicherte Anstellung erhalten. Auf europäischer Ebene gibt es immer noch wenige Anzeichen für eine gemeinsame Gewerkschaftsstrategie, um sich den neoliberalen Kräften entgegenzustellen.

Eine sehr vorläufige Schlussfolgerung

Die Mitte-Links-Regierung in Norwegen wird gegen eine überwältigende Übermacht kämpfen. Möglicherweise wird sich die Regierung nicht bis zur nächsten Wahl 2009 halten. Sie ist vielleicht nicht in der Lange, die Versprechen, die in den Koalitionsverhandlungen abgegeben wurden, oder die Erwartungen der linken Wählerschaft zu erfüllen. Sie könnte die Wahl 2009 verlieren, selbst wenn sie die Hauptpunkte der Koalitionsvereinbarungen erfüllt.

Sollte die Regierung tatsächlich Erfolg haben, also ihre politischen Versprechen einhalten, die neoliberale Offensive in wichtigen Bereichen stoppen und ihre Beliebtheit bei der Wählerschaft erhalten, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass davon 2009 die Ap am meisten profitiert. Wenn die SV als Verliererin aus der Wahl von 2009 hervorgeht, gibt es keine Garantie dafür, dass die neue Regierung – ohne den Druck von links – die Richtung, wie sie von der Soria-Moria-Vereinbarung vorgegeben wird, weiter verfolgt. Das hängt auch von Entwicklungen außerhalb Norwegens und den Erfahrungen in anderen europäischen Ländern ab.

Sollte es der Regierung jedoch gelingen, die neoliberale Flut einzudämmen, könnte gerade dieser Erfolg die Perspektiven innerhalb der Ap verändern. Sogar SozialdemokratInnen können durch die Praxis verändert werden.

Dag Seierstad ist Miglied des Nationalrats der SV. Bei dem Beitrag handelt es sich um die leicht gekürzte und von der Redaktion bearbeitete Fassung des Vortrags, den Dag Seierstadt während des von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Redaktion Sozialismus und WISSENTransfer organisierten Gesellschaftspolitischen Forums "Linke in Regierungen zwischen Anspruch und realem Handeln" am 4.2.2006 in Berlin gehalten hat. Übersetzung aus dem Englischen von Britta Dutke.

[1] Sozialdemokratische Arbeiterpartei (Det Norske Arbeiderparti/Arbeiderpartiet – DnA/Ap), Sozialistische Linkspartei (Sosialistisk Venstreparti – SV), (grüne) Zentrumspartei (die frühere Bauernpartei; Senterpartiet – Sp)
[2] (~71,43 Mio. E)
[3] Laut Finanzministerium wird der Spitzensteuersatz inkl. Sozialversicherung von 61,5% (2005) auf 54,3% (2006) gesenkt (exkl. SozV 47,8%), die Steuern auf Aktiendividenden und Kapitaleinkünfte von 28% auf 48,2% erhöht. odin.dep.no/fin/english/topics/p4500279/006041-990650/dok-bn.html
[4] (~779,2 Mio. E)
[5] Eine Krise zwischen Regierungsmitgliedern und Partei rief der Beschluss hervor, einen Boykott gegen israelische Waren zu starten (Dezember 2005), um Druck auf die eigene und die israelische Regierung auszuüben, zu einer friedlichen Lösung des Nahostkonflikts zu kommen (konkret: um Waffenverkäufe an Israel zu stoppen). Finanzministerin Halvorsen trat zunächst öffentlich für die Kampagne ein, entschuldigte und distanzierte sich aber kurz darauf, nachdem es heftige Reaktionen im In- und Ausland gegeben hatte – insbesondere weil in der Öffentlichkeit nicht zwischen Parteibeschluss und offizieller Haltung der Regierung unterschieden wurde. Innerhalb der SV wurde Halvorsens Rückzieher heftig kritisiert. Rücktrittsforderungen erreichten sie aus allen Lagern.

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