1. November 2001 Dag Seierstad

Mitte-Rechts in der Regierung – aber die sozialistische Linke gestärkt

Die Parlamentswahlen fanden am 10. September statt – einen Tag vor dem terroristischen Angriff auf das World Trade Centre und das Pentagon. Die wichtigsten Ergebnisse waren eine historische Niederlage der regierenden Sozialdemokratischen Partei, eine Verdopplung der Stimmenzahl für die Sozialistische Linkspartei im Rahmen einer generellen Rechtsentwicklung: Die Sozialdemokratie verlor doppelt so viele Stimmen wie die Linkspartei hinzugewann.

1997 war die sozialdemokratische Regierung zurückgetreten. 30 Monate lang bildeten die drei Parteien der Mitte eine Minderheitsregierung, die schließlich im Februar 2000 von einer neuen Minderheitsregierung der Sozialdemokraten abgelöst wurde.

Aus den jüngsten Wahlen ist eine Mitte-Rechts-Regierung hervorgegangen – nach für norwegische Verhältnisse recht schwierigen Verhandlungen. Die meisten Minister stellt die Konservative Partei, aber Premierminister ist Kjell Magne Bondevik von der Christlichen Volkspartei. Die dritte Kraft im Bunde ist die Liberale Partei.

Im Wahlkampf hatte sich die Sozialistische Linke für eine solide, fest vereinbarte Zusammenarbeit von Sozialdemokraten, Sozialisten und Zentrumspartei ausgesprochen – entweder auf der Grundlage einer gemeinsamen politischen Plattform, oder durch die gemeinsame Beteiligung an einer neuen Regierung. Denn diese drei Parteien hatten zusammen immer über eine komfortable Mehrheit im norwegischen Parlament verfügt. Eine der einschneidenden Veränderungen der letzten Wahl war, dass diese Mehrheit verloren ging.

Die neue Mitte-Rechts-Regierung wird eine schwache Regierung sein, weil sie auf die stillschweigende Unterstützung der unberechenbaren, fremdenfeindlichen Fortschritts-Partei angewiesen ist. Diese Partei verdankt ihren Erfolg ihrem sozial-populistischen Profil mit großzügigen Versprechungen im Hinblick auf bessere Dienstleistungen für ältere und kranke Menschen.

Aber auch die großen Spannungen im Mitte-Rechts-Bündnis selbst werden dafür sorgen, dass die neue Regierung schwach sein wird. Während die Konservativen auf deutliche Steuersenkungen aus sind, wollen ihre Partner aus der politischen Mitte der Regierung ein eher linken Forderungen entsprechendes soziales Profil geben.

Die Konfliktlinien durchziehen die norwegische Parteienstruktur, was ausländische Beobachter ebenso verwirren dürfte wie die Wähler in Norwegen:

  In der Umweltpolitik und in Fragen internationaler Solidarität (Entwicklungspolitik, Flüchtlingshilfe) wird man die drei Parteien der Mitte und die Sozialistische Linke auf einer Seite finden.

  Bei Umverteilung, Soziales und Gesundheit ist sich die Rechte gewöhnlich einig. Dennoch kommen sich im allgemeinen Mitte und Linke recht nahe und auch die Fortschrittspartei unterstützt von Zeit zu Zeit linke Forderungen.

  In Fragen wirtschaftlichen Wandels (Privatisierung, Vorrang marktwirtschaftlicher Lösungen für sektorale und regionale Probleme, EU-Mitgliedschaft) verfolgt die Sozialdemokratische Partei ebenso wie die beiden Rechtsparteien neoliberale Positionen.

Sie versucht dies natürlich bestmöglich zu verbergen. Die sozialdemokratische Parteiführung ähnelt in dieser Hinsicht eher Jospin als Schröder und Blair. Demgegenüber hat die Zentrumspartei im letzten Jahrzehnt Positionen bezogen, die denen der sozialistischen Linken sehr nahe kommen – das Zentrum übernimmt insofern die Rolle der sozialdemokratischen Linken, während die beiden anderen Parteien der politischen Mitte in diesen Fragen eher dem sozialdemokratischen Mehrheitskurs folgen. Das bedeutet, dass die langfristige Strategie der Sozialistischen Linkspartei darauf abzielt, in Fragen der Umweltpolitik, des Strukturwandels und der internationalen Solidarität Bündnisse mit den Kräften der politischen Mitte zu schmieden. Das könnte die Sozialdemokratie unter Druck setzen, ihren neoliberalen Kurs nicht weiter fortzusetzen, so dass die beiden Rechtsparteien isoliert wären.

Die Wahlen haben gezeigt, dass diese Zielsetzung durchaus Anklang bei den Wählern gefunden hat. Das trifft auch für Teile der Gewerkschaftsbewegung zu. Traditionell haben die großen Gewerkschaften mit der Sozialdemokratie sehr eng zusammengearbeitet, weshalb sie auch schon als »Siamesische Zwillinge« bezeichnet wurden. Doch im letzten Jahrzehnt haben Teile der Gewerkschaften und ihrer Führung erkennen müssen, dass man sich auf die Sozialdemokratie nicht immer in allen Fragen verlassen kann, selbst wenn diese von großer Bedeutung für die Gewerkschaften sind. Mehrmals haben sie sich der parlamentarischen Unterstützung der Sozialistischen Linken bedienen müssen, um sich in der Sozialdemokratie durchsetzen zu können. Diese Veränderungen in den Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Sozialistischer Linkspartei sind gerade in den letzten Monaten vor den Wahlen sichtbar geworden. Zum Gewerkschaftskongress im Mai wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Vorsitzende der Linkspartei geladen. Gegen die ausdrückliche Empfehlung der Gewerkschaftsführung wurde auf dem Kongress beschlossen, einen Teil des Geldes, das für die Unterstützung des Wahlkampfes der Sozialdemokratischen Partei vorgesehen war, der Sozialistischen Linkspartei zur Verfügung zu stellen. Das vergrößerte ihr Budget um 25%. Und schließlich erklärten der Dachverband und viele Branchengewerkschaften öffentlich, dass Wähler ihre Interessen entweder durch ein Votum für die Sozialdemokratie oder für die sozialistische Linke vertreten sollten.

Nach den Wahlen ist die Sozialistische Linkspartei die einzige Kraft im Parlament gewesen, die vor einem amerikanischen Vergeltungsschlag gewarnt hat. Sie hat sich dagegen ausgesprochen, dass die NATO-Mitgliedschaft automatisch eine Zustimmung zum US-Krieg gegen Afghanistan bedeutet. Der internationale Kampf gegen den Terror muss mit anderen Mitteln als denen des Krieges unter der Führung der Vereinten Nationen ausgetragen werden. Diese Position hat zu keiner Entfremdung der Partei von ihren Wählern geführt. Umgekehrt: In Meinungsumfragen nach den Wahlen ist die Zustimmung zur Linkspartei auf 14 bis 18% gestiegen.

Dag Seierstad ist Mitglied der Sozialistischen Linkspartei und koordiniert ihre Europa-Aktivitäten. Er lebt in Lillehammer. Aus dem Englischen von Fritz Fiehler.

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