24. November 2017 Ulrich Brand/Markus Wissen: Replik auf Dieter Boris und Eröffnung einer Debatte

Imperiale Lebensweise! Modernisierung oder Überwindung von Herrschaft?

Dieter Boris, einer der renommiertesten kritischen Entwicklungsforscher im deutschsprachigen Raum, hat in Sozialismus[1] unser Buch »Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus«[2] einer sehr weitgehenden Kritik unterzogen.

Wir würden, so Boris, »ein eindeutiges und alles determinierendes Kausalverhältnis« konstatieren, demzufolge das Leben in scheinbarem Überfluss im »Norden« auf der Ausbeutung von Mensch und Natur im »Süden« basiere. /63/. Und er unterstellt uns eine unseriöse Analyse.

Die Redaktion von Sozialismus hat uns zu einer Antwort eingeladen und wird in den kommenden Ausgaben weitere Beiträge von anderen AutorInnen veröffentlichen. Es geht uns nicht lediglich um eine kritische Diskussion des Begriffs – die ist natürlich auch notwendig –, sondern um analytische und strategische Positionsbestimmungen der Linken. Das ist nach der Bundestagswahl (und der Nationalratswahl in Österreich im Oktober 2017) wichtiger denn je.

Die bisherigen Reaktionen auf unser Buch wie auch auf jenes von Stephan Lessenich sowie der Broschüre des I.L.A.-Kollektivs[3] zeigen, dass wir offensichtlich einen Nerv in der Debatte getroffen haben. Das gilt für die zustimmenden wie für die kritischen Reaktionen. Die Rezension von Dieter Boris gehört zweifellos zu letzteren. Sie will vor allem die »problematischen Elemente« von Begriff und damit angeleiteter Analyse aufzeigen. Das finden wir zunächst gut und wichtig. Doch dabei, so unser Eindruck, missversteht er unser Anliegen.

Boris liest unser Buch primär als schalen Aufguss der Dependenztheorie. Unser Argument sei, dass der materielle Reichtum der metropolitanen Zentren auf der Ausbeutung und Armut der Peripherie beruhe. Dabei würden wir vernachlässigen, dass sich der Kapitalismus gerade nicht in den Ländern am dynamischsten entwickelt hat, die vom Werttransfer aus dem globalen Süden am stärksten profitierten (z.B. Spanien), sondern dort, wo sich ausgehend von der Trennung der unmittelbaren ProduzentInnen von den Produktionsmitteln eine interne Akkumulationsdynamik herausbildete (z.B. England). Auch in vielen Ländern des globalen Südens sei weniger die subalterne Integration in den Weltmarkt, sondern die innere Akkumulation entscheidend.

Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien.
Markus Wissen, Politologe, arbeitet am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien zu gesellschaftlichen Naturverhältnissen, internationaler Umweltpolitik und Transformation von Staatlichkeit und ist ehemaliger IRS-Mitarbeiter.

[1] Dieter Boris, Imperiale Lebensweise?, Ein Kommentar (zum Buch von Uli Brand und Markus Wissen), in: Sozialismus Heft 7/8 2017. Zitate, soweit nicht anders vermerkt, aus diesem Text
[2] Ulrich Brand/Markus Wissen (2017): Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus, München: Oekom.
[3] Stephan Lessenich (2016): Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis, Berlin: Hanser; I.L.A. Kollektiv (2017): Auf Kosten anderer. Wie die imperiale Lebensweise ein gutes Leben für alle verhindert, München: Oekom

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