26. Januar 2022 Joachim Bischoff/Björn Radke

Pandemien im 21. Jahrhundert

Die Zahl der weltweit neu gemeldeten Coronavirus-Fälle ist nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weiterhin explosionsartig gestiegen. Bis Mitte Januar 2022 wurden weltweit über 328 Mill. bestätigte Fälle von COVID-19 gemeldet, darunter über 5,5 Mill. Todesfälle.

Die Entwicklung der vierten Corona-Welle auf Basis der Omikron-Mutation hat in Europa und den USA die Infektionszahlen in bisher unbekannte Höhen schießen lassen. In der medialen Öffentlichkeit reagierte man mit einer differenzierten Berichterstattung über den Charakter von Viren, die Bekämpfung von Seuchen in der Vergangenheit etc., und rückt diese Fragen dankenswerterweise mehr in den Vordergrund der gesellschaftlichen Debatte, nachdem sie jahrzehntelang kaum wahrgenommen wurde. Hier leistet Philipp Kohlhöfer mit seinem Buch »Pandemien: Wie Viren die Welt verändern«[1] einen wichtigen Beitrag. Das Vorwort zu diesem Buch stammt von Christian Drosten. Für ihn geht es um »das wahrscheinlich größte Wissenschaftsthema dieses Jahrzehnts«.

Kohlhöfer will vor dem Hintergrund der aktuellen COVID-Pandemie erklären, »warum und wie Pandemien entstehen. Und wieso Zoonosen neuerdings immer häufiger auftauchen. Denn seit Menschen jeden erdenklichen Winkel der Erde erschließen, steigt die Gefahr, dass Viren von Tieren überspringen. Einerseits. Andererseits sind Viren schon immer da. Wir sind von ihnen umgeben. Als vor etwa 700 bis 800 Millionen Jahren tierisches Leben entsteht, haben sie schon mindestens drei Milliarden Jahre der Evolution hinter sich – zusammen mit den Bakterien. Sie sind überall. […] Die Geschichte von Seuchen ist immer groß und immer gleichzeitig auch persönlich, denn selbst die größte Krankheitswelle fängt klein an: mit dem Übersprung des Erregers vom Tier auf einen Menschen. Und auch wenn sich fast alle dieser Infektionen totlaufen, denn das tun sie in der Regel, dann passiert das eben doch nicht immer. Ein einziger erfolgreicher Übersprung zur richtigen Zeit genügt. Irgendwer ist immer Patient 0«. /18f./

Dem Autor ist es gelungen mit vielen konkreten Beispielen verständlich darzustellen, warum und wie Pandemien entstehen. Meist sind die Erreger Viren, die von einem Tier auf den Menschen übergesprungen sind. Derzeit gebe es mindestens 40 bekannte Viren mit Pandemiepotenzial. Noch beunruhigender sei allerdings die unbekannte Zahl weiterer solcher Viren, die noch gar keiner kennt. Gegen diese lassen sich keine vorsorglichen Schutzmaßnahmen ergreifen. Auf 500 Seiten erfährt man neben allgemeinen Informationen über Zoonosen, Intensivmedizin bei Lungenpatienten, Impfstoffe und Verschwörungserzählungen, die es damals wie heute gab und gibt, viel über frühere Pandemien – entweder aus Sicht der Patient*innen oder der beteiligten Ärzt*innen, und das mit einem Schreibstil, der einem spannenden Kolportageroman gleichkommt, ohne allerdings die wissenschaftliche Seriosität zu vernachlässigen. Influenza, Ebola, Pocken und HIV kommen zur Sprache.

Das Problem mit den Zoonosen

Eine zentrale These, die wie ein roter Faden das Buch durchzieht, lautet: »Wenn eine Infektionskrankheit von einem Tier auf einen Menschen überspringt, den sogenannten Spillover vollzieht, und sich in ihrem neuen Wirt – also uns – etablieren kann, spricht man von einer Zoonose. […] Sie werden übertragen durch direkten Kontakt, manche über Lebensmittel (oder das, was wir für Lebensmittel halten), andere über sogenannte Vektoren, das sind Zecken und Mücken. Manche Zoonosen sind uralt, wie etwa die Tollwut, klassische Zoonose, gibt es seit mindestens 4.300 Jahren.« Wenn eine Zoonose neu auftritt, wie SARS-CoV-2, dann sei ein Spillover erwartbar.

Joachim Bischoff ist Mitherausgeber, Björn Radke Redakteur von Sozialismus.de.

[1] Philipp Kohlhöfer, Pandemien. Wie Viren die Welt verändern, Stuttgart 2021. Die Seitenzahlen im Text entstammen, soweit nicht anders vermerkt, aus diesem Buch. Kohlhöfer arbeitet als Wissenschaftsjournalist für das Forschungsnetz Zoonotische Infektionskrankheiten, das an der Berliner Charité koordiniert wird.

Die komplette Leseprobe als pdf-Datei!

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