26. Juni 2020 Heide Pfarr

Plädoyer für ein Wahlarbeitszeitgesetz

Ein zeitgemäßes Arbeits- und Sozialrecht muss die Möglichkeit bieten, die Erwerbsarbeit und ihre Anforderungen in Einklang zu bringen mit den Bedürfnissen der Menschen, die im Laufe ihres Lebens auftreten. Dabei spielen unterschiedliche Faktoren eine Rolle, aber zu den besonders wichtigen gehört, wieviel und welche Zeit die Erwerbsarbeit in der jeweiligen Lebensphase einnimmt.

Viele Unternehmen verlangen von Beschäftigten zeitliche Flexibilität. Unternehmen jedoch, die ihre Personalpolitik und betriebliche Organisation von sich aus auf Flexibilitätsbedürfnisse von Beschäftigten einstellen, sind Ausnahmen geblieben. Große Teile der qualifizierten Erwerbsfähigen werden dadurch mit der Vernachlässigung ihrer Bedürfnisse vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Besonders betroffen sind Frauen, da vor allem sie sich immer noch den Erfordernissen aus Sorgearbeit stellen und stellen müssen, ferner diejenigen, die gleichberechtigte Partnerschaften leben möchten, also auch Männer.

Die erstrebenswerte allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit ersetzt nicht ein Recht nach bedürfnisadäquater Arbeitszeitverkürzung, vielmehr ergänzen sie sich. Denn eine Arbeitszeit etwa von 30 Stunden hätte sicherlich zur Folge, dass sich viele lebensweltliche Erfordernisse der Menschen besser mit den Anforderungen aus der Erwerbsarbeit vereinbaren ließen. Durch sie würde auch jener Effekt vermieden oder wenigstens minimiert, dass die Wahlfreiheit in der Arbeitszeit geschlechtsspezifisch verschoben wahrgenommen werden würde, nämlich, wie die Erfahrung zeigt, mehrheitlich von Frauen. Jedoch ist unbestreitbar, dass auch eine kürzere Vollzeitarbeit nicht alle im Lebensverlauf auftretenden Erfordernisse abweichender Arbeitszeiten abdecken kann.

Kopplung der Akteure

Appelle an die Wirtschaft, Wahlarbeitszeiten zu ermöglichen, sind wohlfeil und nach aller Erfahrung weitestgehend wirkungslos. Will man die betriebliche Wirklichkeit hier ändern, muss man die denkbaren Akteure und ihre Möglichkeiten betrachten. Der Akteur Tarifvertragsparteien ist grundsätzlich dazu imstande, wie die IG Metall mit dem Tarifabschluss 2018 bewiesen hat. Jedoch fehlt es, und bedauerlicherweise durchaus in steigendem Maße, sowohl an gesicherter Verbreitung von Tarifverträgen wie auch an Durchsetzungsstärke gerade von jenen Gewerkschaften, in deren Bereich besonders viele Frauen arbeiten.

Heide Pfarr ist Professorin em. für Arbeitsrecht mit Schwerpunkt Gleichstellung von Frauen in der Erwerbsarbeit, langjährige Geschäftsführerin in der Hans-Böckler-Stiftung und Direktorin des dortigen WSI, zur Zeit ehrenamtlich im Deutschen Juristinnenbund.

Die komplette Leseprobe als pdf-Datei!

Zurück