22. März 2013 Gine Elsner: Hintergründe der Debatte über Krankenhausökonomie

Public versus Private

Spätestens seit dem Transplantationsskandal sind die Krankenhäuser in aller Munde. Fernsehmagazine werden nicht müde, Chefarztverträge anzuprangern, die eine Honorierung mit Boni bei einer bestimmten Mengenanzahl vorsehen.

Da fügen sich die Artikel von Günter Busch[1] und Michael Wendl[2] gut in die allgemeine Diskussion ein. Doch die Idylle, die Günter Busch für die öffentlichen Krankenhäuser und für die Vergangenheit beschreibt, gibt es und gab es nicht. Weder führte das Selbstkostendeckungsprinzip der Vergangenheit zu einer optimalen stationären Behandlung der Patienten, noch verzichten die öffentlichen Krankenhäuser heute auf »Ausgründungen« (Outsourcing). Michael Wendl hingegen beschreibt die Privatisierung von Krankenhäusern als zweckmäßig, weil sie die gewerkschaftlichen Kontrollmöglichkeiten in Betriebsrat oder Aufsichtsrat stärken. Damit befürwortet er eine »Verbetrieblichung der Gewerkschaftspolitik«. Auch hierzu sind einige Anmerkungen zu machen.


1. Fallpauschalen versus Selbstkostendeckungsprinzip

Günter Busch spricht von einem Paradigmenwechsel, als das Selbstkostendeckungsprinzip durch die Diagnose­orientierten Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRGs) abgelöst wurde. Der Paradigmenwechsel besteht seiner Ansicht nach darin, dass nun Wettbewerbselemente in den Krankenhausbereich Einzug hielten. Das stimmt so nicht. Denn auch das Prinzip der tagesgleichen Pflegesätze und das Selbstkostendeckungsprinzip bargen ökonomische Anreize in sich. Die bestanden darin, die Patienten so lange wie irgend möglich im Krankenhaus zu halten und die Entlassung so lange wie irgend möglich hinauszuschieben. Denn die Krankenkassen zahlten immer denselben Betrag: sowohl für einen neu aufgenommenen Patienten als auch für einen, dessen Diagnostik und Therapie abgeschlossen waren und der auf dem Krankenhausflur spazieren ging. Den Chefärzten war's egal. Sie sagten, Hauptsache, jedes Bett ist belegt! Die Stationsärzte steuerten aber mit dieser Methode ihren Arbeitsanfall. So gab es Methoden der Stationsärzte, vor Wochenenden grundsätzlich nie Patienten zu entlassen. Denn freie Betten übers Wochenende bedeuteten Neuaufnahmen und einen großen Arbeitsanfall für die Stationsärzte am Montagmorgen. Andere Patienten, die dringend ein Krankenhausbett benötigten, standen vor dem Krankenhauseingang und konnten nicht aufgenommen werden. Hartmut Reiners spricht von »legalisierter Freiheitsberaubung«.[3]

Die Einführung der DRGs hat sicherlich zu einem fast durchgängigen Anstieg von Zahl und Schweregrad der Fälle geführt.[4] Aber auch die zunehmende »Ambulantisierung« der ärztlichen Versorgung bewirkt, dass vor allem schwerere Krankheitsbilder stationär behandelt werden. Doch egal, ob Selbstkostendeckungsprinzip oder DRGs: Die Krankenhäuser und die Krankenhausärzte werden sich in jedem System einrichten, und sie werden in jedem Finanzierungssystem für sich das Optimale herausholen. Denn Ursache für die Krankenhäuser, möglichst viel Geld aus den Krankenkassen herauszupressen, ist die öffentliche Unterfinanzierung der Kliniken. Im Jahr 2011 hat ein Drittel der mehr als 2.000 Krankenhäuser in der Bundesrepublik Verluste gemacht. Und 40% der Kliniken erwarten, dass sich ihre wirtschaftliche Lage zukünftig verschlechtern wird.[5] Der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft vermutet sogar, dass die Hälfte der Krankenhäuser im Jahr 2013 rote Zahlen schreibt.[6] Er nennt als Grund für die Misere »das Ausschleichen der Bundesländer aus der Finanzierung«.


2. Outsourcing versus Festanstellung

Günter Busch schreibt ein Menetekel an die Wand, wenn er die Mittel aufzählt, die die privaten Krankenhäuser zur Steigerung der Rendite benutzen. Als ein Mittel unter anderen nennt er das Outsourcen der Leistungen. Nicht nur Servicebereiche würden ausgegliedert, sondern auch Labors und die Radiologie; und in den outgesourcten Bereichen würden häufig niedrigere Gehälter gezahlt, die Tarifverträge des Krankenhauses würden hier nicht gelten. Das ist alles richtig.

Aber diese Strategien werden nicht nur von privaten Krankenhäusern angewandt, sondern auch von öffentlichen. So kann von einer Universitätsklinik berichtet werden, die all diese Mittel benutzt. Zwar ist zu konstatieren, dass die Universitätsklinika unter ganz besonderen finanziellen Schwierigkeiten leiden, da sie eine Supramaximalversorgung zu leisten und Forschung und Lehre zu erbringen haben und über einen hohen Anteil von Nichtfachärzten in der Weiterbildung verfügen.[7] Aber zur Lösung der Probleme werden alle Strategien angewandt, die Günter Busch als für private Krankenhäuser typisch ansieht. Diese Uniklinik hat natürlich schon lange keine eigenen Putzkräfte mehr angestellt, sondern eine Fremdfirma beschäftigt. Sie hat auch die eigene Wäscherei aufgegeben; jeden Tag kommen Lkw mit frischer Wäsche aus dem Osten angefahren, wahrscheinlich aus Polen. Diskutiert wurde, das Zentrallabor aufzugeben und die Laborleistungen einem niedergelassenen selbstständigen Laborarzt zu überlassen – doch davon wurde Abstand genommen. Diskutiert wurde auch, die Küche zu schließen und die Essensbereitung einem Catering-Unternehmen zu übergeben. Aber auch davon wurde schließlich Abstand genommen wegen schwieriger Diätvorschriften.

Outgesourct wurde jedoch das diplomierte Krankenpflegepersonal. Die Universitätsklinik gründete eine Personalgesellschaft; diese stellt das Krankenpflegepersonal (nicht nur die Hilfskräfte, sondern das diplomierte Krankenpflegerpersonal!) ein, wobei der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes nicht gilt. Die in der Personalgesellschaft angestellten Pflegekräfte haben weniger Urlaub und bei Krankschreibungen stärkere Repressionen. Den öffentlichen Kliniken geht es allerdings nicht darum, eine Rendite zu erzeugen, sondern Schulden abzubauen – aber die Mittel sind dieselben. Die chronische Unterfinanzierung der öffentlichen Krankenhäuser führt zu diesen Strategien des Outsourcens; sie sind also keine Domäne der Privaten. Insofern hat Michael Wendl recht.


3. Boni-Verträge versus Privatliquidation

Die Einführung der DRGs wird nun für alle ungünstigen Entwicklungen im Krankenhausbereich verantwortlich gemacht. Michael Wendl ist zuzustimmen, wenn er schreibt, dass nicht die Einführung der DRGs ursächlich für die Boni-Verträge der Chefärzte war. Häufig ist zu lesen und in Fernsehmagazinen zu hören, dass die Einführung der DRGs erst die Boni-Verträge ermöglicht habe. Doch die kausale Verknüpfung beider Ereignisse ist nicht sehr wahrscheinlich – eher ist von einer zufälligen zeitlichen Parallele zu sprechen.

Die Abschaffung der Privatliquidation durch Chefärzte stand ja lange schon auf der Agenda der Politik. Dieses System hat einen feudalistischen Charakter: Chefärzte behandeln die Privatpatienten auf private Rechnung, benutzen dazu aber die öffentlich finanzierte Infrastruktur des Krankenhauses. Auch die Privatpatienten bezahlen ihre Arztrechnungen zu einem großen Teil mit öffentlichen Geldern, denn 90% der Privatpatienten sind Beamte, und für die Hälfte der Arzt- und Krankenhausrechnungen dieser Beamten kommt der Staat mit der Beamtenfürsorge auf. So bekommen die Chefärzte zumindest die Hälfte ihrer Honorare von Privatpatienten aus dem Staatssäckel, und sie erbringen ihre ärztlichen Leistungen mit einer öffentlich finanzierten Infrastruktur. Zwar sind Entgelte an den Krankenhausträger abzuführen und Beträge in einen Pool (für die nachgeordneten Ärzte) einzuzahlen, aber auf diese Art und Weise muss es trotzdem Chefärzte geben, die jährliche Einkommen in Millionenhöhe haben. Dass dieses System nicht mehr tragfähig war und den Krankenhäusern notwendige Finanzierungen vorenthielt, war lange klar. Aber erst ganz allmählich wurde dieses System abgeschafft. Um allerdings die »Einbußen«, die die Chefärzte nun hinzunehmen haben, zu kompensieren, entstand das System der Chefarztverträge mit Boni, die bei einer bestimmten zusätzlichen Leistungserbringung gezahlt werden.

Auch dieses System steht im Mainstream, denn überall soll nach Leistung bezahlt werden. Auch die beamteten Professoren werden inzwischen nach Leistung alimentiert. Die Schwierigkeit besteht aber darin, Kriterien zu finden, die die Leistung messen: Es müssen quantifizierbare Kriterien sein – bei den Professoren sind es die Anzahl der Publikationen oder die Höhe von eingeworbenen Drittmitteln, bei den Chefärzten ist es die Anzahl von bestimmten erbrachten ärztlichen Leistungen. Dieser Leistungsanreiz, der honoriert wird, ist also ein allgemeiner Trend; die Boni-Verträge der Chefärzte sind nicht ursächlich der Einführung der DRGs geschuldet. Insofern ist Michael Wendl zuzustimmen.

Jedenfalls versucht der Gesetzgeber, der Verbreitung von Bonusvereinbarungen mit den gesundheitsschädlichen Anreizen in den Neuverträgen mit Chefärzten Einhalt zu gebieten. Immerhin sollen inzwischen 50% der Chefärzte solche Bonusvereinbarungen unterschrieben haben. Der Gesetzgeber hat nun neue »Empfehlungen zu fallzahlorientierten Bonuszahlungen an leitende Ärzte« verabschiedet. Er hat die Empfehlungen in einem Krebsregistergesetz untergebracht, das der Bundestag am 31. Januar 2013 beschlossen hat.[8] Zukünftig müssen Krankenhäuser angeben, ob sie diese Empfehlungen einhalten.

Nicht zuzustimmen ist Michael Wendl aber, wenn er meint, dass es »zu den zivilisatorischen Seiten der kapita­listisch inspirierten Krankenhausökonomie« gehöre, dass sie diese Formen einer privaten Einkommenserhöhung der Chefärzte durch Privatliquidationen auf den Prüfstand gestellt und zum Teil erfolgreich begrenzt habe. Denn die Abschaffung der Privatliquidationen der Chefärzte ist schon spätestens seit 1969 eine Forderung, die Vertreter des »klassenlosen Krankenhauses« propagierten. Die heutige Idee einer Bürgerversicherung (bei Abschaffung der Privatpatienten) geht in dieselbe Richtung. Diese eher linken oder sozialdemokratischen Programme als zivilisatorische Seite einer kapitalistisch inspirierten Krankenhausökonomie zu deklarieren, mutet eigenartig an.


4. Halbgötter in Weiß versus Halbgötter in Grau

Die Boni-Verträge der Chefärzte haben in der Öffentlichkeit zu einem äußerst schlechten Image der Ärzte geführt. Dass Ärzte unnötige ärztliche Maßnahmen vornehmen, um über die Boni ihr Einkommen zu vergrößern, ist verwerflich. Warum Ärzte aber korruptionsanfälliger sein sollten als andere Personen, ist nicht einzusehen. Dies aber meint Michael Wendl.
Er schreibt, dass die privaten Kliniken den öffentlichen Krankenhäusern in Organisation und Materialwirtschaft voraus seien. Die Beschaffung des medizinischen Sachbedarfs aus »der Zuständigkeit der leitenden Ärzte heraus zu nehmen«, sei aber nicht nur eine technische Frage. [Von ärztlicher Seite heißt es demgegenüber, dass die neuen »Halbgötter in Grau« die Krankenhäuser wie »Wurstfabriken« führten und dass gerade dieser Prozess die Fehlentwicklungen bewirkt habe.][9] Dieser Prozess verringere – so jedenfalls Michael Wendl – zugleich »die Anfälligkeit der Krankenhäuser für Korruption«.

Was heißt das? Dass Ärzte sich eher Vergünstigungen versprechen lassen, wenn sie in den Krankenhäusern für die Beschaffung des medizinischen Sachbedarfs zuständig sind? Abgesehen davon, dass der Begriff Korruption nur für öffentlich angestellte Ärzte gilt, ist empirisch nicht belegt, dass Ärzte für solche Machenschaften anfälliger sind als andere. Die großen Korruptionsskandale in der Vergangenheit gingen immer von Nicht-Ärzten aus. Dies zum einen. Zum anderen sind »Bestechungen« in privaten Krankenhäusern kaum sanktionierbar. Wer Korruptionen im Gesundheitswesen ahnden will, muss eher für eine öffentliche Trägerschaft plädieren.


5. Marburger Bund versus ver.di

Michael Wendl sieht eine negative Auswirkung der DRGs, nämlich einen erhöhten Machtzuwachs der Ärzteschaft in den Krankenhäusern. Diagnostik ist nun mal eine Sache der Ärzte, und die Vercodung von Krankheitsdiagnosen ist auch eine ärztliche Angelegenheit. Mit der Einführung der DRGs – so Michael Wendl – wurde die betriebsinterne Macht des ärztlichen Personals einseitig gestärkt. Zeitgleich (ursächlich?) sieht er mit dem betriebsinternen Machtzuwachs den Aufstieg der »Ärztegewerkschaft« Marburger Bund.

Dies ist eine interessante Verknüpfung. Meist wird das Erstarken des Marburger Bunds in einem Atemzug genannt mit dem gleichzeitigen Erstarken anderer berufsständisch orientierter Organisationen wie die der Fluglotsen oder Lokomotivführer.[10] Diese Entwicklung hin zu berufsständischen »Gewerkschaften« wird meist als Ergebnis einer Schwächung der Gewerkschaftsbewegung und als Folge von ihrer Zersplitterung und Erosion beschrieben. Plausibel ist hingegen die Ansicht, dass die Einführung der DRGs in den Krankenhäusern die Macht der Ärzteschaft gestärkt habe.[11] Jedenfalls hat diese »schlagkräftige Einzelgewerkschaft« der Krankenhausärzte[12] in den vergangenen Jahren große Einkommenszuwächse bei den angestellten Ärzten mit Streiks durchsetzen können. Ende 2012 hatte der Marburger Bund mehr als 110.000 Mitglieder; das heißt, dass mehr als die Hälfte der Krankenhausärzte Mitglied ist.[13]

Da die Krankenhausbudgets aber nicht vergrößert wurden, hatte das auf der Seite des Pflegepersonals eine Reduktion zur Folge – was nicht nur Michael Wendl beklagt. Denn der Marburger Bund hat berufsständisch egoistisch nur die eigenen Interessen durchgesetzt und dabei nicht die Belange der anderen Krankenhausbeschäftigten berücksichtigt. In einer Umfrage von ver.di in 200 Krankenhäusern heißt es, es fehlten 70.000 Stellen im Pflegebereich. Das vorhandene Pflegepersonal arbeite unter einer Arbeitsüberlastung »und sehe kein Ende«.[14] Michael Wendl kritisiert zwar diese Entwicklung, die vor allem das Krankenpflegepersonal getroffen hat. Er sieht aber dennoch für die Zukunft positive Aspekte dieser Entwicklung – was zu bezweifeln ist.

Denn er meint, dass die Krankenhausärzte ihre Berufsperspektive als niedergelassene Ärzte verloren hätten und dauerhaft Krankenhausbeschäftigte bleiben würden. Eine Politik wie die des Marburger Bunds sei aber auf Dauer nicht durchzuhalten, sodass es langfristig zu einer Annäherung von Marburger Bund und ver.di kommen müsse. Michael Wendl spricht von einer »Verlohnarbeiterisierung« der Ärzteschaft. Diese Entwicklung ist meines Erachtens zur Zeit nicht absehbar.

Dauerhafte Stellen für Ärzte in Krankenhäusern sind kaum vorhanden. Nach wie vor gibt es für Ärzte vor allem zwei berufliche Endpositionen: einmal die Endposition der leitenden Krankenhausärzte (Chefärzte, Oberärzte) und zum anderen die Position des selbstständigen niedergelassenen Arztes. Nur für leitende Ärzte sind Dauerstellen in den Krankenhäusern vorhanden. Die Stellen für Stationsärzte oder Assistenz­ärzte sind befristete Stellen für Ärzte, die sich in der fachärztlichen Weiterbildung befinden. Die Befristung ist auf die Zeit für die Weiterbildung ausgerichtet. In dieser Zeit müssen die Ärzte sich sputen, denn sie müssen die notwendigen ärztlichen Leistungen erbringen und die notwendigen ärztlichen Erfahrungen sammeln, die sie nachweisen müssen, um sich vor der Landesärztekammer zur Facharztprüfung anzumelden. Insofern sind die Assistenzärzte nicht geeignet aufzumucken. Nach dem Motto »Augen zu und durch« sind sie darauf bedacht, zu möglichst vielen Operationen eingeteilt zu werden, oder möglichst viele notwendige diagnostische Maßnahmen durchführen zu dürfen. Die Assistenzarztzeit ist eine vorübergehende; danach folgt die dauerhafte Einstellung auf einer der wenigen Chefarzt- oder Oberarztstellen, oder es erfolgt üblicherweise die Niederlassung. Eine neuere Entwicklung stellt das Honorararztwesen dar, nach dem etwa 4.000 freiberufliche Ärzte auf Honorarbasis für Krankenhäuser arbeiten.[15]

Es kann also zur Zeit keine Rede davon sein, dass Ärzte dauerhafte Beschäftigungen im Krankenhaus finden, und es kann auch keine Rede davon sein, dass Assistenzärzte sich in einem Prozess der »Verlohnarbeiterisierung« befinden. Die Führer des Marburger Bunds kommen deshalb auch nie aus dem Kreis der Assistenzärzte, sondern immer nur aus dem Kreis der leitenden Oberärzte. Der jetzige Vorsitzende ist Rudolf Henke, seit 1988 Oberarzt am St. Antonius-Hospital in Eschweiler, außerdem ist er Präsident der Ärztekammer Nordrhein und CDU-Bundestagsabgeordneter. Letzter Vorsitzender war Frank Ulrich Montgomery, Oberarzt der Radiologie in Hamburg und jetzt Präsident der Bundesärztekammer; davor war Karsten Vilmar, Oberarzt der Chi­rurgie in Bremen, Vorsitzender des Marburger Bunds, er war zeitgleich Präsident der Bundesärztekammer.

Dass die Niederlassung für Ärzte nach wie vor attraktiv ist, bezeugen Zahlen. Nur gut 2% der ambulant tätigen Ärzte arbeiten in einem Medizinischen Versorgungs-Zentrum (MVZ).[16] Befragt danach, wo sie am liebsten tätig wären, sagen knapp 13% der Ärzte, dass sie am liebsten in einem MVZ tätig wären, und 20% sagen, am liebsten im stationären Bereich. Das heißt also, dass insgesamt nur ein Drittel der Ärzteschaft »am liebsten« in einem Angestelltenverhältnis entweder in der ambulanten oder in der stationären Versorgung tätig wäre. Die große Mehrzahl, nämlich zwei Drittel, bevorzugt nach wie vor die Selbstständigkeit in einer Praxis.[17] In einer anderen Befragung sagten 68% der etwa 150.000 Niedergelassenen, dass die ambulante Leistung »so weit wie möglich von zugelassenen [niedergelassenen] Vertragsärzten … und nicht von stationären Systemen erbracht werden« soll.[18] Wir sind also weit davon entfernt, dass sich die Ärzteschaft auf dem Weg zum »Lohnarbeiter« befinde. Insofern irrt Michael Wendl.

Und er beklagt das berufsständische Verhalten der Ärzte. Darin ist ihm zuzustimmen. Problematischer mutet aber an, wenn er meint, dass die berufsständische Organisation Marburger Bund eine »Gewerkschaft« sei und dass die­se »Gewerkschaft« sich langfristig ver.di annähern müsse. Natürlich sieht Michael Wendl als ehemaliger ver.di-Funktionär den Marburger Bund kritisch. Und nun sieht er einen weiteren Vorteil der privaten Krankenhäuser: Er schreibt, dass ver.di in den privaten Krankenhäusern eine stärkere Stellung habe als in den öffentlichen, und dass der Marburger Bund stattdessen in den öffentlichen Krankenhäusern eine stärkere Position habe als bei den privaten. Bei diesen habe ver.di eine starke Stellung in Betriebsräten und Aufsichtsräten. Und da nur ver.di sich für die Belange des Krankenpflegepersonals (und für das andere nicht-ärztliche Personal) einsetze, könne also nur in den privaten Krankenhäusern eine soziale Verteilung von Beschäftigung und Einkommen gewährleistet sein.

Das bedeutet aber eine »Verbetrieblichung der Gewerkschaftspolitik«.[19] Damit ist dann die Wettbewerbssituation unter den einzelnen Häusern gegeben, die Günter Busch beklagt. Eine Verlagerung der Kompetenzen und Kontrollen von Kommune oder Staat auf Betriebs- oder Aufsichtsräte kann aber nicht die Lösung der Probleme sein.

Gine Elsner, Prof. i.R., Dr. med., Diplomsoziologin, war bis 2009 Direktorin des Instituts für Arbeitsmedizin des Fachbereiches Medizin der Goethe-Universität, Frankfurt am Main. Sie publiziert zur Geschichte von Medizinern, zuletzt (gemeinsam mit Verena Steinecke) »›Ja, daran hing sein Herz ...‹ Der Gewerbehygieniker und engagierte Gewerkschafter Franz Karl Meyer-Brodnitz (1897-1943)«, Hamburg 2013.

[1] Busch, G.: Öffentliche Daseinsvorsorge bei Privatisierung? In: Sozialismus Nr. 1/2013, S. 45ff.
[2] Wendl, M.: Kapitalistische Krankenhäuser als Innovation? In: Sozialismus Nr. 2/2013, S. 52ff..
[3] Reiners, H.: Ökonomisierung des Gesundheitswesens = Privatisierung = Heuschreckeninvasion? in: Sozialismus Nr. 2/2013, S. 59.
[4] Malzahn, J.: Revolution auf der Rechnung, G+G Nr. 1/2013, S. 35; ver.di Public/Fachbereich 3: Gesundheit… Nr. 45/2013, S. 7; Bonath, S.: Für Profite unters Messer, in: junge Welt vom 19.2.2013.
[5] Deutsches Ärzteblatt Nr. 4/2013, S. C 102.
[6] Deutsches Ärzteblatt Nr. 9/2013, S. C 331.
[7] Deutsches Ärzteblatt Nr. 3/2013, S. C 60-63, und Nr. 8/2013, C 277-280 u. C 309-322.
[8] Deutsches Ärzteblatt Nr. 6/2013, S. C 192.
[9] Girth, E.: Halbgötter in Grau, Frankfurter Rundschau vom 16.2.2013.
[10] Deppe, F.: Vom Klassenkampf zum Wettbewerbskorporatismus, in: Blätter für deutsche und internationale Politik Nr. 2/2013, S. 103.
[11] Behruzi, D.: Verrückte Entscheidung, ver.di Public/Fachbereich 3…, Nr. 45/2013, S. 7.
[12] Süddeutsche Zeitung vom 9.2.2013 (Beruf & Karriere).
[13] Deutsches Ärzteblatt Nr. 10/2013, S. C 378.
[14] Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.2.2013.
[15] Deutsches Ärzteblatt Nr. 10/2013, S. C 388 u. 389.
[16] Deutsches Ärzteblatt 2012, S. C 1564.
[17] Deutsches Ärzteblatt Nr. 26/2012, S. C 1150.
[18] Deutsches Ärzteblatt Nr. 4/2013, S. C 106.
[19] Deppe, a.a.O., S. 100.

Zurück