1. Dezember 2005 Bernd Riexinger

Re-Regulierung des Sozialen und der Arbeitsbeziehungen

Wenn wir uns die Frage stellen, wie eine Re-Regulierung des Sozialen und der Arbeitsbeziehungen aussehen soll, müssen wir zuerst dem nachgehen, was bereits dereguliert wurde. Zudem gibt es Bereiche, insbesondere bei der Tarifpolitik, die aus sich heraus traditionell wenig Regulierung hervorgebracht, aber in anderen Branchen erkämpfte Fortschritte bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen, der Arbeitszeiten sowie der Lohn-Leistungsregulierung übernommen hatten. Dort vollzieht sich, wie Bernd Riexinger ausführt, jetzt häufig ungebremst eine ungeschützte Vermarktlichung der Arbeitsbeziehungen.

Erosion der Tarifverträge

Voll im Gange ist die Deregulierung bei den Flächentarifverträgen. Sie erodieren z.T. schleichend, z.T. im ungebremsten Fall. In vier Formen ist die Erosion festzustellen:

1. Die Zahl der tarifgebundenen Betriebe wird durch Austritt aus den Arbeitgeberverbänden oder durch die Übernahme einer so genannten OT-Mitgliedschaft (ohne Tarif) geringer. Dieser Prozess ist seit Jahren in allen Tarifbereichen feststellbar, selbst im Öffentlichen Dienst. In den neuen Bundesländern ist in allen Branchen (der Öffentliche Dienst ausgenommen) nur noch eine Minderheit der Betriebe tariflich gebunden.

2. Seit Jahren (z.T. schon seit Jahrzehnten) gibt es gewaltige Umwälzungen in der Beschäftigungsstruktur hin zu den Dienstleistungsbranchen. In Baden-Württemberg, dem Kernland der Automobilindustrie, ist der Fahrzeugbau lediglich noch an fünfter Stelle bei den Beschäftigungszahlen. An erster Stelle liegt das Gesundheitswesen, gefolgt vom Handel. Bedingt durch geringe gewerkschaftliche Organisierungsgrade arbeiten dort wachsende Teile der Beschäftigten ohne tarifvertraglichen Schutz und häufig ohne betriebsrätliche Vertretung.

3. Die Flächentarifverträge werden durch (betriebliche) Öffnungsklauseln löchriger und es ist eine verstärkte Verbetrieblichung der tariflichen Regulierung zu verzeichnen. Dabei handelt es sich in aller Regel um Verschlechterungen bei den Arbeitszeiten und der Bezahlung. Der Pforzheimer Abschluss in der Metall- und Elektroindustrie hat diese Entwicklung beschleunigt. Die IG Metall will diesen Prozess jetzt offensichtlich neu regulieren, indem sie die Verbetrieblichung in einem Zweistufenmodell zum offiziellen Gegenstand der Tarifpolitik macht. Vermutlich wird es dadurch eher zu einem neuen Deregulierungsschub kommen. Tarifverträge hatten zumindest bisher die Funktion, Löhne und Arbeitsbedingungen aus der Konkurrenz herauszunehmen oder zumindest diese abzuschwächen und nicht die Konkurrenz zum Bestandteil von Tarifverträgen zu machen. Aber auch ver.di hat mit der Post einen Tarifvertrag abgeschlossen, der auf "freiwilliger" Basis die 48-Stunden-Woche zulässt. Im bisherigen Verständnis hat "Freiwilligkeit" in Tarifverträgen nichts verloren. Tarifverträge müssen verbindliche Rechtsansprüche der Gewerkschaftsmitglieder sichern.

4. In großen und bedeutenden Tarifbereichen gelingt es den Gewerkschaften nicht mehr ohne weiteres, Flächentarifverträge abzuschließen oder nur noch zu Bedingungen, die weitgehend die Kapitalseite diktiert. So befindet sich ver.di in mehreren großen Tarifbereichen in einem tariflosen Zustand. Seit über zwei Jahren sind bei den Beschäftigten der Länder die Tarifverträge zur Arbeitszeit und zu Urlaubs- und Weihnachtsgeld gekündigt. Alle neu Eingestellten werden seither mit Arbeitszeiten zwischen 41 und 42 Stunden, ohne Urlaubs- und mit abgesenktem Weihnachtsgeld eingestellt. Zwischenzeitlich sind 12% der Beschäftigen ohne Tarifvertrag. Die über zwei Millionen Beschäftigen des Einzelhandels warten seit dem 1. April diesen Jahres auf einen Gehaltsabschluss. Jetzt wurden auch noch die Manteltarifverträge gekündigt. Noch bevor der neue Tarifvertrag Öffentlicher Dienst (TVÖD) in Kraft getreten ist, hatte der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) Baden Württemberg angekündigt, den Arbeitszeittarifvertrag zu kündigen. Zwischenzeitlich hat er dies zum 30.11.05 getan und will flächendeckend die 40 Stunden-Woche einführen. Neu ist, dass ebenfalls alle neu Einzustellenden ab dem 1.12.05 mit einem 40-Stunden-Vertrag ausgestattet werden sollen. Das gab es bisher im öffentlichen Sektor nicht. Bisher wurden alle Beschäftigten gleich behandelt, unabhängig davon, ob ein gültiger Tarifvertrag existierte oder nicht. Auf diese Weise werden Fakten geschaffen, damit sich die Marktpreise gegenüber den tariflichen durchsetzen. Auch in der Papierverarbeitung ist es nicht gelungen, einen Flächentarifvertrag durchzusetzen. In all diesen Bereichen gibt es Forderungen der Kapitalseite, Arbeitszeiten zu verlängern, Zuschläge, Sonderzahlungen usw. zu kürzen und in aller Regel betriebliche Öffnungsklauseln zuzulassen.

Die Erosion der Tarifverträge stellt die Gewerkschaften vor völlig neue Herausforderungen. Deren Bindungskraft war und ist eine wesentliche Grundlage für die Mitgliedschaft der Beschäftigten. Gelingt es für längere Zeit, keine Tarifverträge oder nur noch solche mit erheblichen Zugeständnissen durchzusetzen, werden sich die Gewerkschaften zum Teil neu definieren und/oder ihre Strategie grundlegend ändern müssen. Nach wie vor stecken die Gewerkschaften in einer nachhaltigen politischen Krise, die sich mit einer strukturellen verschränkt.

Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt (Hartz-Reformen)

Schon immer zielten Angriffe auf die Sozialsysteme gleichzeitig auf die Löhne und Arbeitsbedingungen. Auch Hartz IV hat keinesfalls nur die Funktion, den Druck auf die Erwerbslosen zu erhöhen. Mehr oder weniger offen wurde ausgesprochen, dass die Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt dazu führen soll, einer Ausdehnung des Niedriglohnsektors den Weg zu ebnen. Dort sind mittlerweile fast zehn Millionen beschäftigt, ohne dass es zu einer Ausdehnung der Gesamtbeschäftigung gekommen wäre. Während Länder wie Schweden, Finnland und Dänemark einer neueren Studie zufolge neue regulierte Beschäftigungsverhältnisse im sozialen Bereich, insbesondere in der Altenpflege und im Gesundheitswesen geschaffen haben, ist die Beschäftigung in Deutschland nach wie vor rückläufig. Bei der Zunahme im Niedriglohnsektor und in prekären Arbeitsverhältnissen handelt es sich in erster Linie um Umschichtungen.

Die Deregulierung des Arbeitsmarktes geht einher mit dem Umbau der Bundesagentur für Arbeit zu einem "modernen Wirtschaftsbetrieb" (was bisher nicht gelungen ist). McKinsey und Kienbaum haben Produktivitätskennziffernsysteme und Profitcenterberechnungen in das System der Arbeitsvermittlung eingeführt. In einer so genannten Win-win-Partnerschaft zwischen vermittelbaren Erwerbslosen und Unternehmen soll die Vermittlung beschleunigt werden. Langzeitarbeitslose einerseits, Weiterbildung und Rehabilitation andererseits bleiben dabei auf der Strecke. Überall soll soziale Regulierung durch Markt und Wettbewerb ersetzt werden. Die Aufweichung des Kündigungsschutzes, bzw. dessen faktische Abschaffung für neu eingestellte Beschäftigte, ist ein weiterer Schritt bei der Deregulierung des Arbeitsmarktes. Die Einschränkung der Tarifautonomie ist derzeit nicht mehr so wichtig, weil die Erosion der Tarifverträge auch so voranschreitet. Forciert würde die Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt durch die immer noch beabsichtigte Einführung der Bolkestein-Richtlinie, durch GATS und weitere Deregulierungsprojekte der EU-Kommission, die auf den massiven Abbau von sozialer und tariflicher Regulierung abzielen.

Deregulierung durch Privatisierung

Erhebliche Teile ehemaliger Staatsbetriebe sind bereits privatisiert: Post, Telekommunikation, Energieversorgung. Die Folgen für Arbeitsplätze und öffentliche Versorgung sind bekannt. Vergleichende Untersuchungen in europäischen Ländern beweisen, dass auf Dauer weder die Preise gesunken sind noch sich die Versorgung der Bevölkerung verbessert hat. Häufig ist sogar das Gegenteil der Fall. In allen ehemaligen Staatsbetrieben wurden jedoch massenhaft Arbeitsplätze vernichtet.

Für private Konzerne stehen hoch lukrative Bereiche wie Verkehr, Gesundheitswesen, Bildung, Wasserversorgung, Müllabfuhr usw. zur Privatisierung an. Die Steuerpolitik der rot/grünen Regierung und in Fortsetzung die der großen Koalition hat die Finanzkrise der öffentlichen Hand, insbesondere der Kommunen permanent zugespitzt. Unter wachsendem finanziellen Druck wird die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und Dienstleistungen beschleunigt - und im Vorfeld deren Einschränkung oder Verteuerung (Gebührenerhöhung).

Die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge bedeutet Deregulierung und Sozialabbau in mehrfachem Sinne:

  Einführung von Markt und Wettbewerb in Bereichen, in denen sie nichts verloren haben. Kinder kann man nicht wettbewerbsfähig erziehen, Alte nicht pflegen und Kranke nicht gesund machen, ohne dass dies zu erheblicher Deformierung der Dienstleistungen führt.

  Die Masse der Menschen, vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten, sind in hohem Maße auf öffentliche Einrichtungen, wie Krankenhäuser, Schulen, Bäder, Parkanlagen, Ganztageseinrichtungen, Kindergärten, ÖPNV angewiesen. Sie könnten sich deren Angebote und Dienstleistungen niemals privat leisten.

  Deregulierung der Beschäftigung durch Flucht aus den Tarifverträgen und der Zusatzversorgung, durch Ausgliederung öffentlicher Betriebe oder Teile davon und erhöhte Fremdvergabe an Private. In den 1990er Jahren wurden über 1 Mio. Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst abgebaut.

  Völliger Entzug demokratischer Kontrolle der privatisierten Einrichtungen durch die Parlamente und Gemeinderäte und damit der Einflussnahme durch die Einwohner/innen.

  Verlust an sozialen, ökonomischen und ökologischen Steuerungsmöglichkeiten.

Die bisherige Strategie, die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen zu verhindern oder zu erschweren, indem die Gewerkschaften an deren Wettbewerbsfähigkeit mitwirken, ist m.E. gescheitert. In die Offensive kann ver.di nur mit der Position kommen, dass es hier um die Grundversorgung der Bevölkerung mit Einrichtungen und Dienstleistungen geht, in denen Markt und Wettbewerbsfähigkeit nichts verloren haben und die gegen die Übernahme von Privaten verteidigt werden müssen. Wir haben in Stuttgart die Erfahrung gemacht, dass sich seit Beginn dieses Jahrtausends die Einstellung wachsender Teile der Bevölkerung nachhaltig positiv verändert hat. Daher eignet sich der Kampf gegen Privatisierung in besonderem Maße zur Herstellung von Bündnissen zwischen Beschäftigten und betroffenen Bevölkerungsgruppen. Das gilt m.E. auch für den politischen Raum.

Zu beachten ist ebenfalls, dass der Angriff auf die Sozialsysteme durch die Agenda 2010 nicht nur ein gigantischer Sozialabbau, sondern auch ein Deregulierungsprogramm ist. Die Einführung der kapitalgedeckten Rentenversicherung ist ein beredtes Beispiel für die Vermarktlichung eines wichtigen sozial regulierten Bereichs. Die Veränderungen im Gesundheitswesen haben ähnlichen Charakter.

Privatisierung, Deregulierung und Flexibilisierung sind zentrale Elemente beim Formationswandel des Kapitalismus hin zum Shareholder-Kapitalismus. Die Erarbeitung von Re-Regulierungsvorschlägen und deren Transformation in die praktische Politik sowohl von Seiten der Linkspartei/WASG als auch der Gewerkschaften ist daher von grundlegender inhaltlicher und strategischer Bedeutung.

Ich will einige Re-Regulierungsvorschläge andeuten, die geeignet sind, sowohl im parlamentarisch/politischen als auch im außerparlamentarischen und gewerkschaftlichen Feld handlungsfähig zu werden.

Re-Regulierung im tarifpolitischen Bereich

  Die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn gehört ganz oben auf die Tagesordnung. Die Gewerkschaften werden mit Hilfe der Tarifverträge den Sinkflug der Löhne und Gehälter nicht aufhalten. Ein gesetzlicher Mindestlohn von z.B. 1.500 Euro würde jedoch allgemeine gesellschaftliche Standards schaffen, die nicht unterschritten werden können. Die Befürchtung, dass die Tarifautonomie eingeschränkt werden könnte, ist Unsinn. Es gibt auch in anderen Bereichen Gesetze (Arbeitszeitgesetz), bei denen die tariflichen Regelungen deutlich besser sind als die gesetzlichen.

  Die gesetzliche Verbesserung zur Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen wäre ein weiterer wesentlicher Beitrag zur Erhöhung der Regulierungsdichte von Tarifverträgen.

  Die Einführung von Vergabegesetzen in Bund und Ländern bei öffentlichen Aufträgen wäre ein wesentlicher Schritt zur Re-Regulierung. Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen muss an soziale und tarifliche Bedingungen geknüpft werden ebenso wie an die Förderung regionaler Beschäftigung.

  Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass der weitere Anstieg der Massenarbeitslosigkeit nur verhindert werden kann, wenn die Arbeitszeit kontinuierlich verkürzt wird. Gegenwärtig sind wir mit dem umgekehrten Trend konfrontiert. Betriebliche und tarifliche Verlängerung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich verschränken sich mit der Ausdehnung von Teilzeit- und prekärer Arbeit. Gleichzeitig soll das Renteneintrittsalter auf 67 erhöht werden. Es gab schon geringere Gründe für Generalstreiks in anderen Ländern. Die Gewerkschaften müssen die Verkürzung der Arbeitszeit wieder thematisieren und sich in dieser Frage perspektivisch auseinandersetzungsfähig machen. Ich habe große Zweifel, ob das derzeit allein auf tarifpolitischer Ebene möglich ist. Hier bedarf es einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung, vielleicht sogar in Form eines europäischen Projektes, bei der sich tarifpolitische und gesetzliche Initiativen verschränken. Zum Beispiel könnte die alte Position von André Gorz wieder aufgegriffen werden, über gesellschaftliche Fonds einen Ausgleich zwischen produktiveren und weniger produktiven Branchen zu schaffen. So etwas kann nur über den Staat erfolgen. Auch hier könnten gemeinsame Perspektiven zwischen außerparlamentarischen und parlamentarischen Kräften geschaffen werden. Das Renteneintrittsalter muss gesenkt und nicht erhöht werden.

Re-Regulierung auf dem Arbeitsmarkt

Hier steht die weitgehende Abschaffung der Hartz-Gesetze sicherlich im Vordergrund. Das reicht alleine jedoch nicht aus. Dazu kommen muss u.a.:

  Wiedereinführung des Qualifikationsschutzes, weg von der Arbeitsmarktpolitik des "arbeiten um jeden Preis". Die Arbeitslosenversicherung muss ihren Paradigmenwechsel rückgängig machen. Sie ist dazu da, die Erwerbslosen von einem Sturz ins Bodenlose zu bewahren und sie auf dem Arbeitsmarkt vor Willkür, Sozial- und Lohndumping zu schützen.

  Ausbau der Maßnahmen zur Qualifizierung und Rehabilitation.

  Schutz bei betriebsbedingten Kündigungen. Zum Beispiel gibt es in anderen Ländern Regelungen, die die Betriebe dazu verpflichten, ihre Beschäftigten bei betriebsbedingten Kündigungen zuvor für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren.

  Einführung der Ausbildungsumlage und langfristig die Abschaffung des dualen Systems, das nur zur Fehlausbildung führt. Dafür breite Grundausbildung, die eine spätere Spezialisierung möglich macht.

Rekommunalisierung bereits privatisierter Bereiche

  Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge dürfen nicht privatisiert werden. Die Einwohner/innen müssen Rechtsansprüche für die Versorgung mit öffentlichen Gütern erhalten. Dazu gehört auch das Recht auf Telekommunikation, Energieversorgung und Postdienstleistungen, Erziehungseinrichtungen usw. zu bezahlbaren Preisen.

  Der demokratische Einfluss der Einwohner/innen muss gesichert und ausgebaut werden (Erleichterung von Bürgerentscheiden, Bürgerhaushalte usw.).

  Re-Kommunalisierung bereits privatisierter Einrichtungen ebenso wie deren Ausbau durch ein öffentliches Investitionsprogramm.

  Dazu gehört natürlich eine andere Steuerpolitik. Reiche Bürger und Konzerne müssen wieder angemessen Steuern bezahlen (Vorschläge von attac/ver.di und Linkspartei/WASG gibt es dazu bereits).

  "Resozialisierung" der Sozialsysteme. Diese müssen auf eine andere Finanzierungsgrundlage gestellt werden, indem dazu z.B. weitere Einkommensarten herangezogen werden.

Regulierung auf europäischer Ebene

Mitentscheidend für die Re-Regulierung ist, ob es gelingt, die Liberalisierungsentscheidungen der EU-Kommissionen rückgängig zu machen und ein Re-Regulierungsmodell auf europäischer Ebene zu entwickeln. Eine wichtige Weichenstellung dürfte dabei sein, die Bolkestein-Richtlinie zu verhindern.

Gesellschaftlicher Einfluss auf wirtschaftliche Entscheidungen

Diese und weitere Re-Regulierungsvorschläge sind nur umzusetzen, wenn ein Paradigmenwechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik durchgesetzt werden kann. Erforderlich ist nicht nur eine Abkehr von der Dominanz neoliberaler Politik, sondern eine Erweiterung des demokratischen Einflusses auf die Wirtschaft und die Erweiterung der staatlichen Interventionsmöglichkeiten. Re-Regulierung hat weiter eine andere Verteilungspolitik zur Voraussetzung. Ohne nachhaltige Umverteilung von oben nach unten gibt es kaum Spielräume für die Re-Regulierung des Sozialen und der Arbeitsbeziehungen. Letzteres könnte auch ein roter Faden für die politische Orientierung der nächsten Zeit sein, könnte eine Klammer bilden für Bündnisse der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, seien es Beschäftigte, Rentner/innen, Erwerbslose, Eltern oder Studierende. Entscheidend dürfte auch sein, ob es gelingt, Gewerkschaften, die sich in erster Linie in Abwehrkämpfen befinden, für eine mittelfristige Politik der Re-Regulierung zu gewinnen und die Linkspartei/WASG dazu zu bringen, diese Positionen im politischen Raum zu vertreten und sie gesellschaftlich zu verankern.

Bernd Riexinger ist Geschäftsführer des ver.di-Bezirks Stuttgart. Der Artikel beruht auf einem Vortrag bei einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und WISSENTransfer am 5.11.2005 in Berlin.

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