24. Juni 2019 Jan Opielka: Zum Tod des polnischen Sozialisten, Oppositionellen und Historikers Karol Modzelewski

Real praktizierender Utopist

Jacek Kuron (l.) und Karel Modezelewski (r.)

Es war ein langes, mäanderndes, ereignisreiches Leben, das am 28. April dieses Jahres den letzten Atemzug nahm. Der polnische Intellektuelle und Oppositionelle Karol Modzelewski war, als er 81-jährig verstarb, ein erfüllter Mensch – der trotz Wandlungen bis zuletzt an seinen sozialistischen Idealen festgehalten hat.

»Ich war Historiker, Rebell, ein Mensch jener ›Solidarność‹, die nicht mehr existiert. Ich hatte zwei Seelen – ich wollte humanistischer Forscher, Historiker sein. Aber als man zuschlagen musste, ja, dann musste man eben«, sagte er im Jahr 2017. »Im Grunde habe ich alles im Leben rechtzeitig geschafft.«


»Revolutionär in zweiter Generation«

Der 1937 in Moskau als Kind russischer Eltern unter dem Namen Cyril Budniewicz geborene Modzelewski gilt als einer der wohl wirkmächtigsten Intellektuellen und zugleich politisch konsequentesten Aktivisten im Nachkriegspolen – und als Galionsfigur der Opposition gegen das realsozialistische Regime, das er von linken und sozialistischen Positionen aus bekämpfte. Mit acht Jahren nach Polen übergesiedelt, wuchs er im Laufe seines Lebens in jene Kreise hinein, die in der russischen und auch polnischen Tradition als »Intelligenzija« bezeichnet werden: Personen meist höherer Bildung, die sich aktiv am gesellschaftlichen und politischen Leben beteiligen. Modzelewski repräsentiert dessen radikalen Archetypus, der sich vor allem in politisch mitunter gefährlicher Aktivität innerhalb autoritärer Regime vollends kristallisiert.

Achteinhalb Jahre saß der Sohn einer jüdischen Mutter für sein politisches Engagement in Gefängnissen, zweimal in den 1960er und frühen 1970er Jahren, ein drittes Mal nach der Ausrufung des Kriegsrechts Ende 1981, als Polens Staatsführung der ersten Solidarność-Bewegung auch angesichts eines möglichen Einmarsches von Sowjettruppen den Garaus machte. Dass Modzelewski, trotz dieser Haft-Triade, der Triade der Französischen Revolution bis zuletzt treu blieb, darauf verweist auch ein in Polen weithin bekanntes Bonmot: Als Lech Wałęsa 2008 bei einer Podiumsdiskussion sagte, man habe in und mit der Solidarność den Weg für den Kapitalismus ebnen müssen, weil es »keinen dritten Weg gibt«, antwortete der anwesende Modzelewski empört: »Ich denke, Lech Wałęsa war wohl der einzige, der damals an den Kapitalismus dachte. Ich habe ganz sicher nicht daran gedacht, und das aus vielen Gründen. Für den Kapitalismus hätte ich nicht nur keine achteinhalb Jahre, sondern nicht mal einen Monat oder eine Woche gesessen – weil er das nicht wert ist.« Polen, sagte er häufig, habe zwar nach 1989 die Freiheit gewonnen: »Aber Gleichheit und Solidarität blieben auf der Strecke.«

In Kindheit und Jugend während der stalinistischen Zeit parteikommunistisch erzogen, verwarf er auch nach seiner allmählichen Abkehr vom Regime-Kommunismus und dem Aufdecken des Stalin-Terrors das Streben nach Gleichheit und Solidarität nicht – auch wegen seines Stiefvaters Zygmunt Modzelewski, der 1947-1951 Außenminister war.

Jan Opielka arbeitet als Journalist für deutsche und polnische Printmedien, u.a. für Freitag, Frankfurter Rundschau, Wochenzeitung (CH), Die Furche (A), Aufklärung und Kritik, Nowy Obywatel (PL) sowie als Übersetzer (communication-opielka.com und poezofia8.blogspot.be).

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