26. Oktober 2016 Bernhard Müller
Rechtspopulismus und enthemmte Mitte
Der Rechtspopulismus ist in der Berliner Republik angekommen. Mit der »Alternative für Deutschland« hat sich eine rechtspopulistische Kraft festgesetzt, die schon jetzt nicht nur auf Länderebene die Kräfteverhältnisse gründlich durcheinanderrüttelt.
Sie hat gute Chancen, im nächsten Jahr auch bei den Bundestagswahlen zu reüssieren.[1]
Der Aufstieg des Rechtspopulismus ist seit Längerem Gegenstand der sozialwissenschaftlichen Forschung. Wilhelm Heitmeyer resümiert: »Es geht um ein Phänomen, das ich Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nenne. Die Zahlen und Entwicklungen sind bekannt. Es handelt sich um einen Eskalationsprozess, um den inzwischen mehr als 20 Jahre währenden Autismus in großen Teilen vor allem konservativer politischer und journalistischer Eliten sowie der Zivilgesellschaft ›aufzustören‹. Man muss sich als Wissenschaftler schon wundern, weshalb sich so viele Politiker, Journalisten etc. seit einiger Zeit so ›wundern‹, woher diese Entwicklung kommt. Es gibt dazu unsere Langzeitstudien des Bielefelder Instituts, die diese Entwicklung vorhergesagt haben.
Es ist lange klar: Der Rechtspopulismus kommt nicht aus dem Nichts. Deshalb sollte man endlich damit aufhören, von einem ›Wehret den Anfängen‹ zu sprechen. Das ist inzwischen eine realitätsblinde Floskel, die meist dann verwendet wird, wenn man nicht mehr weiterweiß.«[2] Es gibt – wie in anderen entwickelten kapitalistischen Gesellschaften auch – seit Längerem eine Stimmung für Wut und Entladung von Ressentiments sowie einen politischen Autismus bei den Eliten. Gleichwohl muss erklärt werden, warum sich diese sowohl ausweitet als auch in modernisierter Erscheinungsform die Strukturen der Repräsentation verändert.
Über die Ursachen, die soziale Basis und die Inhalte des Rechtspopulismus gibt es zudem eine kontroverse Debatte.
Bernhard Müller ist Redakteur von Sozialismus und Autor der Studie »Erosion der gesellschaftlichen Mitte. Mythen über die Mittelschicht, Zerklüftung der Lohnarbeit, Prekarisierung & Armut, Abstiegsängste«. Hamburg 2013 (VSA: Verlag). Zum folgenden Beitrag siehe ausführlicher: Joachim Bischoff/Bernhard Müller, Rechtspopulismus: Antwort auf die Krise des demokratischen Kapitalismus (im Erscheinen); Joachim Bischoff/Elisabeth Gauthier/Bernhard Müller, Europas Rechte. Das Konzept des »modernisierten« Rechtspopulismus, Hamburg 2015 (VSA: Verlag).
[1] Vgl. dazu aktuell Renate Köcher, Die AfD – Außenseiter mit Rückhalt, in FAZ vom 20.10.2016.
[2] Wilhelm Heitmeyer: Das Destruktive in der Normalität, in: Freitag vom 3.10. 2016.