27. September 2022 Mario Keßler: 80 Jahre »Casablanca«

»Round up the usual suspects«

Entgegen allen Klischees war Hollywood stets mehr als nur eine Traumfabrik. Zu erinnern ist an einen der größten Welterfolge des amerikanischen Films: Vor 80 Jahren, am 26. November 1942, fand im Hollywood Theater (heute: Mark Hellinger Theater) in New York-Manhattan die Uraufführung von Casablanca statt.

Der weltweite Ruhm dieses antifaschistischen Films war zunächst nicht selbstverständlich, denn bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs ließen sich die großen Hollywood-Studios auf profitable Geschäfte mit den Nazis ein. Wie eng das Beziehungsgeflecht zwischen der US-amerikanischen Filmindustrie und dem Hitler-Regime war, ist seit einigen Jahren Gegenstand der Forschung. So schrieb der Historiker Ben Urwand, die Nazis hätten erfolgreich wirtschaftliche Druckmittel gegen die amerikanische Filmindustrie einsetzen können; diese habe auf Deutschland als einen ihrer wichtigsten Absatzmärkte nicht verzichten wollen.

Über den deutschen Konsul in Los Angeles, Georg Gyssling, suchte Berlin auf Hollywood Druck auszuüben: Die Drohung, die deutschen Vermögen sämtlicher amerikanischer Produktionsfirmen zu konfiszieren und ein Embargo gegen US-Produktionen zu verhängen, habe, so Urwand, gewirkt. Geschäftsinteressen hätten schwerer gewogen als die Ablehnung des Nazi-Regimes durch die jüdischen Gründer und Inhaber vieler Produktionsfirmen wie Harry Cohn (Columbia), William Fox (Fox), Louis B. Mayer (MGM) oder Adolph Zukor (Paramount). So hätten sie »dafür Sorge getragen, dass sie in ihren Filmen weder die Nazis angriffen noch die Juden verteidigten.«[1]

Da ausländische Gewinne ab 1933 in Deutschland verbleiben mussten, vergab MGM Darlehen auch an deutsche Rüstungsbetriebe. Im Gegenzug erhielt die Firma von diesen Anteile, die ins Ausland verkauft werden durften. So finanzierten sich die amerikanische Film- und die deutsche Rüstungsindustrie in einem Geschäft zu gegenseitigem Vorteil. Lediglich Jack und Harry Warner (Warner Bros.) stellten sich quer und nahmen bedeutende finanzielle Einbußen in Kauf.

Die Interventionen des Nazi-Regimes verhinderten 1934 die Fertigstellung des Films The Mad Dog of Europe, dem ein Drehbuch von Herman J. Mankiewicz zugrunde lag, das die Lebensgeschichte des »housepainters« (›Anstreichers‹) Hitler dem Schicksal einer jüdischen Familie gegenüberstellt, die von ihren nichtjüdischen Freunden angesichts der Sogwirkung der Nazi-Bewegung verlassen wird.[2] Ebenso scheiterte im Jahr darauf die Verfilmung von Sinclair Lewis’ Roman It Can’t Happen Here (›Das ist bei uns nicht möglich‹), für den Lionel Barrymore als Verkörperung der Gestalt des faschistischen Diktators Buzz Windrip vorgesehen war.[3]

Das antifaschistische Hollywood

Dennoch reagierten schon in den Vorkriegsjahren viele Filmschaffende in den USA auf den Faschismus mit Filmen, die zum Teil in Eigenproduktion entstanden und Nazideutschland sowie den Spanienkrieg zum Thema hatten. Bereits 1934 drehte Regisseur Michael Mindlin mit Hitler’s Reign of Terror einen halbdokumentarischen Film, der auch Teile aus Originalinterviews mit Hitler enthielt. Der lange verschollene Film wurde erst 2013 in einer Kopie in Belgien wiederentdeckt. In ähnlicher Weise verarbeitete 1936 I Was a Captive of Nazi Germany das Schicksal einer nur knapp der Gewalt des Regimes entkommenen Gefangenen. Anatole Litvaks Film Confessions of a Nazi Spy behandelte 1939 das Gestapo-Spitzelnetz in den USA und den faschistischen Deutsch-Amerikanischen Bund.[4]

Der Spanienkrieg mobilisierte viele Produzenten, Regisseure und Schauspieler in bisher ungekanntem Maße. Sie suchten ein Gegengewicht zur Franco-freundlichen Kampagne der Rechtsradikalen zu bilden.

Mario Keßler ist Senior Fellow am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Zuletzt schrieb er in Heft 9-2022 von Sozialismus.de: »Träume und Albträume. Die Olympischen Spiele in München 1972 und ihre Folgen«.

[1] Ben Urwand, Der Pakt. Hollywoods Geschäfte mit Hitler. Übersetzt von Gisella Vonderobermeier, Darmstadt 2017, S. 232. Vgl. auch Markus Spieker, Hollywood unterm Hakenkreuz. Der amerikanische Spielfilm im Dritten Reich, Trier 1999; Thomas Doherty, Hollywood and Hitler. 1933–1939, New York 2013. Während Urwand im englischen Original von einer »collaboration« Hollywoods mit den Nazis schreibt, hält Doherty dies für ein überspitztes Urteil.
[2] Vgl. Sydney Ladensohn Stern, The Anti-Hitler Movie That Was Never Made, in: Commentary, December 2019, www.commentary.org/articles/sydney-ladensohn-stern/the-anti-hitler-movie-that-was-never-made/.
[3] Vgl. Ruth Vasey, The World According to Hollywood, 1918–1939, Exeter 1997, S. 205.
[4] In der Bundesrepublik wurde dieser Film unter dem Titel Ich war ein Spion der Nazis erst 1977 gezeigt, in der DDR (soweit bekannt) überhaupt nicht.

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