27. März 2012 Joachim Bischoff/Hasko Hüning/Björn Radke

Saarland-Wahlen – Im Schatten der Schuldenbremse

Mit über 35% der Stimmen ist die CDU als deutlich stärkste Kraft aus den Wahlen im Saarland hervorgegangen. Das bürgerliche Lager (CDU und FDP) hat zwar fast 60.000 Stimmen (bzw. 7,3%) gegenüber den Wahlen 2009 verloren, gleichwohl gelingt der Machterhalt mit Hilfe der SPD. So ist das Kalkül der Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer bei der vorzeitigen Aufkündigung der Jamaika-Koalition und der Festlegung auf eine große Koalition mit der SPD voll aufgegangen. Die SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Heiko Maas konnte zwar um mehr als sechs Prozentpunkte zulegen, hat aber mit 30,6% ihr Ziel, Seniorpartner in der Großen Koalition zu werden, nicht erreicht.

DIE LINKE schnitt mit 16,1% noch gut ab. Das ist zwar weniger als bei der letzten Landtagswahl (21,3%; Verlust von 36.000 Stimmen), angesichts der politischen Großwetterlage, parteiinterner Probleme und Umfragewerten in anderen westdeutschen Bundesländern allerdings ein sehr gutes Ergebnis. Es ist vor allem Oskar Lafontaine zuzuschreiben, der im Saarland aufgrund seiner Zeit als Oberbürgermeister von Saarbrücken und später als Ministerpräsident immer noch höchste Anerkennung findet. Lafontaine verdeutlicht zudem, dass es eine Alternative zur bürgerlich-sozialdemokratischen Austeritätspolitik gibt. Hinter dieser politisch-personellen Alternative sind viele Schwächen der Partei im Land zurückgetreten.

Die Liberalen haben als neoliberale politische Chaos-Truppe die verdiente Quittung erhalten und sind mit 1,2% auf das Niveau einer Sekte geschrumpft. Die Piraten haben mit 7,4% auf Anhieb den Einzug in den Landtag geschafft. Sie scheinen sich nach dem guten Wahlergebnis in Berlin (8,9%) zu konsolidieren und ein Einzug in den Bundestag ist nicht mehr ausgeschlossen.1 DIE GRÜNEN sind nach einer Zitterpartei noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen, nachdem ihr Führungspersonal bei der letzten Landtagswahl in letzter Sekunde auf eine schwarz-gelb-grüne Jamaika-Koalition eingeschwenkt war und damit ein vorher öffentlich angestrebtes rot-rot-grünes Bündnis verhindert hatte.

Die Wahlbeteiligung ist gegenüber den Wahlen 2009 um sechs Prozentpunkte auf 61,6% gesunken. Addiert man die Stimmen der beiden Partner einer zukünftigen großen Koalition, repräsentieren sie nur mehr 39,7% der Wahlberechtigten bzw. 64,7% der WählerInnen. Zwei Faktoren haben u.a. zu diesem Rückgang der Wählerbeteiligung und dem Ergebnis beigetragen:

Erstens: Die klare Option für eine große Koalition stand gegen eine mögliche Linksalternative bei der Sanierung der öffentlichen Finanzen. Schon vor der Landtagswahl hatten sich CDU und SPD darauf verständigt, die gefährdete Selbständigkeit des von Insolvenz bedrohten Saarlands durch einschneidende Sparmaßnahmen zu sichern.

Zweitens: SPD-Spitzenkandidat Maas hatte einem Bündnis aus SPD und LINKEN eine kategorische Absage erteilt. Die SPD sieht zwar den Widerspruch zwischen neoliberaler Austeritätspolitik und einem linksalternativen Entwicklungspfad, will sich aber eine Zerreißprobe ersparen und bleibt an der gleichfalls innerparteilich umstrittenen Seite der bürgerlichen Partei. Maas will die neue Schuldenregelung mit der CDU umsetzen. »Wir müssen die Schuldenbremse einhalten. Weil sie im Grundgesetz steht, aber auch, weil wir jedes Jahr Bundeshilfen in Höhe von 260 Millionen Euro bekommen. Vorausgesetzt, wir sparen in den kommenden Jahren pro Jahr rund 65 Millionen Euro ein. Wenn wir das nicht machen, wie die Linkspartei das für sich entschieden hat, dann verlieren wir den Anspruch auf die Bundeshilfen. Das wäre ein ganz schlechtes Geschäft, denn es würde dazu führen, dass wir die wenigen politischen Spielräume, die wir noch haben, auch noch verlieren. Deshalb ist das nicht zu verantworten.«

Maas begründet seine ablehnende Haltung gegenüber der LINKEN also in erster Linie damit, dass mit ihr die Einhaltung der neuen Schuldenregelung nicht zu realisieren sei. Lafontaine wies im Wahlkampf zu Recht darauf hin, dass es mit einer finanzpolitischen Rosskur keine Sanierung der öffentlichen Finanzen geben wird. »Die SPD schreibt selbst in ihrem Programm, dass die Schuldenbremse nur dann einzuhalten ist, wenn die Einnahmenseite verbessert wird.« Gleichwohl wäre dieser Entwicklungspfad nur realisierbar, wenn DIE LINKE selbst für eine längerfristige Entwicklungsperspektive mit einer sozialdemokratischen Partei organisatorisch und konzeptionell leidlich gut aufgestellt wäre. Das Argument der LINKEN: Eine große Koalition läuft wegen ihrer einseitigen Fixierung auf Ausgabenkürzungen bei der Haushaltssanierung auf eine drastische, unsoziale Sparpolitik hinaus. Die Alternative, deutliche Einnahmeerhöhungen, seien nur mit einer rot-roten Koalition zu haben. »Unsere Schuldenbremse ist die Millionärssteuer«, lautete denn auch die Kurzformel. Wie allerdings die dringend notwendige Veränderung der Wirtschaftsstruktur des Saarlands vorangebracht werden soll und wie die komplizierten Debatten angesichts einer hauchdünnen rot-roten Mehrheit bewältigt werden können, bleibt auch bei der LINKEN eher im Dunkeln.

Lafontaine hatte die Sozialdemokraten aufgerufen, sich für ein rot-rotes Bündnis zu öffnen. »Wenn die SPD ihr Programm ernst nimmt, kann sie nur mit uns koalieren.« Die Absage von SPD-Spitzenkandidat Maas hält die SPD in der politischen Subalternität. »Er will eine große Koalition für Hungerlöhne und Altersarmut, weil die CDU den gesetzlichen Mindestlohn ebenso ablehnt wie eine Änderung der Rentenformel.« Zugleich bekräftigt Lafontaine den Willen der Linkspartei, im Bund mit der SPD zu regieren: »Wir wollen regieren, um den Sozialstaat wieder aufzubauen.«

Ohne Zweifel spielten auch persönliche Differenzen eine Rolle: »Lafontaine geht es nicht um Veränderung, sondern die Linke soll so stark werden, dass die SPD ohne sie keinen Ministerpräsidenten mehr stellen kann. Das ist der strategische Ansatz von Lafontaine, der SPD zu schaden« (Maas). DIE LINKE verkenne jegliche finanzpolitische Realität, sagt der SPD-Chef. Die »Realität der Schuldenbremse« hat der einstige Schuldenbremsengegner Maas allerdings selbst erst seit vergangenem Herbst anerkannt und zugleich sind Teile der SPD mindestens von der Realitätstüchtigkeit einer neoliberalen Sanierung nicht überzeugt.

Tatsächlich ist die Situation im Saarland dramatisch. Das Bundesland steckt in der Schuldenfalle. Hinter dem desolaten Zustand der öffentlichen Finanzen lauert das entscheidende Problem: Wie kann die Strukturschwäche überwunden und eine zukunftsorientierte Wertschöpfung gesichert werden?

Schon am 30. November 2010 hatte das saarländische Finanzministerium dem »Evaluationsausschuss« des Stabilitätsrates2 mitgeteilt, »dass das Saarland sich nicht nur in einer drohenden Haushaltsnotlage befinde, sondern eine extreme Haushaltsnotlage vorliege. (…) Die Landesregierung habe darauf hingewiesen, dass es aus eigener Kraft keinen ausgeglichenen Haushalt bis 2020 erreichen könne. Die Föderalismuskommission II und der Bundesgesetzgeber hätten dem Saarland konditionierte Konsolidierungshilfen von 2011 bis 2019 zugesprochen.«

Im Oktober 2011 wurde dann zwischen Stabilitätsrat und Landesregierung eine »Vereinbarung« zum »Sanierungsprogramm« geschlossen, die die Haushaltshoheit faktisch an den Stabilitätsrat abgibt. Vor diesem Hintergrund wurden dem Bundesland für den Zeitraum 2011 bis 2019 Konsolidierungshilfen von jährlich 260 Mio. Euro zugesprochen. Bedingung ist, dass es dem Land ab 2011 gelingt, sein strukturelles Defizit gegenüber dem Jahr 2010 um jährlich 10% des Ausgangswertes zu senken (aus der Vereinbarung 10.2011).

Die Vorgaben der durchzuführenden Ausgabensenkung sind sozio-ökonomisch verheerend:

n  Die Obergrenze struktureller Finanzierungsdefizite soll von 2012 bis 2016 von 998 Mio. Euro fast um die Hälfte auf 499 Mio. Euro gesenkt werden.

n  Die Obergrenze der Nettokreditaufnahme soll im selben Zeitraum von 808 Mio. Euro auf 290 Mio. Euro gesenkt werden.

n  Auch im Saarland wird der Öffentliche Dienst als Sparschwein missbraucht. So soll durch Verzicht auf die Übernahme des Tarifergebnisses (lineare Erhöhung zum 1.4. 2011 um 1,5%) im Beamtenbereich der Haushalt 2011 um 12 Mio. Euro und im Jahr 2012 um die volle Jahreswirkung von 15 Mio. Euro entlastet werden.

n  Die Budgets für die Beförderung von Beamten und die Höhergruppierung von Beschäftigten werden ab 2011 grundsätzlich halbiert.

n  Im Rahmen einer allgemeinen Stelleneinsparquote werden zwei von drei der durch Altersabgänge frei werdenden Stellen gestrichen. Bis 2016 können durch die allgemeine Personaleinsparquote voraussichtlich 550 Stellen abgebaut werden. Durch Umorganisationen und einen verstärkten IT-Einsatz sollen die Aufgaben trotz Personalabbaus soweit als möglich weiterhin erfüllt werden. Im Klartext: Arbeitsversdichtung und Mehrarbeit für die Beschäftigten.

Insgesamt sollen die Haushaltseinnahmen von 2.278 Mio. Euro bis 2016 nur auf 2.637 Mio. Euro ansteigen und die (bereinigten) Ausgaben von 3.794 Mio. Euro bis 2016 geringfügig auf 3.779 Mio. Euro gesenkt werden. Da davon allein 532 Mio. Euro auf die Zinsen entfallen, die bis 2016 auf 623 Mio. Euro wachsen, ist absehbar, dass bei der kleinsten Veränderung der ökonomischen Rahmenbedingungen alles zu Makulatur wird.

Für die SPD zeichnet sich auch ein wachsender Konfliktkurs innerparteilich und in der künftigen Koalition ab: Bei der Einhaltung der Schuldenbremse wird es noch zu erheblichen Konflikten bei der Frage kommen, wo jährlich 65 Mio. Euro gespart werden. »Außer bei der Polizei und in der Bildung wird es keinen Bereich geben, der nicht überprüft wird«, so der künftige Minister Maas. Das werde von Jahr zu Jahr schwieriger werden.

Nach der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise hat die saarländische Wirtschaft zwar im Jahr 2010 wieder Tritt fassen können. Statistisch betrachtet ist die Krise der saarländischen Industrie inzwischen überwunden, denn die Nachfragesteigerung in 2010 und 2011 hat den Umsatzeinbruch des Jahres 2009 im Verarbeitenden Gewerbe inzwischen wieder wettgemacht. Infolge der erfreulichen Beschäftigungsentwicklung hat die Zahl der Arbeitslosen auch im Saarland deutlich abgenommen. Es gibt weiterhin erfolgreiche Stahlhütten im Saarland. Rund 10.000 Menschen haben Arbeit in der Metallerzeugung. Auch die Automobilbranche ist nach wie vor wichtig für die Region: Ford ist mit 6.500 Arbeitsplätzen einer der größten Arbeitgeber. Der boomende Automobilzulieferer ZF hat 7.000 Angestellte an der Saar, für 2012 wurden nach Angaben des Unternehmens 800 neue Stellen ausgeschrieben.

Gleichwohl: Eine Transformation der Wirtschaftsstruktur des Saarlands ist unumgänglich. Das einstige Land von Kohle und Stahl dient tendenziell nur noch als verlängerte Werkbank. Es krankt an strukturellen Problemen, die in dieser gehäuften Form nur in Ostdeutschland auftreten. »Verlängerte Werkbank«, »Entvölkerung«, »Haushaltsnotland« – alle diese Umstände belasten das Bundesland. Selbst aus den Unternehmen und ihren Verbänden kommt die eindeutige Forderung: Angesichts der großen Herausforderungen braucht das Saarland rasch eine stabile und handlungsfähige Regierung mit einer Konzeption, die über die Sanierung der öffentlichen Finanzen hinausgreift. Leider spielt diese Zukunftsorientierung in der politischen Auseinandersetzung nur eine Nebenrolle.

Die Saarwahlen machen deutlich: Hinter dem Diktat der Schuldenbremse steht die Frage nach der künftigen Entwicklungsrichtung in den sozio-ökonomischen Strukturen. Zumindesten im Saarland wäre eine andere Richtung – wenn auch mit großen Konflikten und Verständigungsproblemen – vorstellbar. Die SPD bleibt gegenwärtig noch in der Position des Steigbügelhalters für neoliberale Austeritätspolitik und begünstigt damit Konflikte in der Linkspartei, wo Teile eine entschiedene Reformpolitik mit der Sozialdemokratie als Politik des Arztes am Krankenbett des Kapitalismus ablehnen.

Allerdings steht nicht nur das Saarland unter dem Verdikt der Einhaltung der Schuldenbremse. Auch Schleswig-Holsteins Landesregierung muss, um die Konsolidierungshilfen von 720 Mio. Euro bis 2020 zu erhalten, nach der Verwaltungsvereinbarung mit dem Bund ein strukturelles Finanzierungsdefizit von 1,3 Mrd. Euro abbauen. Auch hier müsste es um eine grundlegende Alternative zur Austeritätspolitik unter bürgerlicher Hegemonie gehen. Allerdings lässt das zu erwartende Kräfteverhältnis eine solche Entwicklungsper­spektive nicht zu.

Am 13. Mai soll der neue Landtag von Nordrhein-Westfalen gewählt werden. Ebenfalls im Mai, spätestens jedoch im Juni, wird der Bundestag über den europäischen Fiskalpakt abstimmen, der den Staaten Europas die »griechische Rosskur« verschreibt, und die gesellschaftliche Aufspaltung billigend in Kauf nimmt. Beide Entscheidungen, die Wahl in NRW und die Abstimmung über den Fiskalpakt im Bundestag, hängen miteinander zusammen: Schon verschärfen CDU und FDP den Ton gegenüber der amtierenden Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (»Schuldenmutti«).

Für NRW zeichnet sich ein klarer Trend für die Fortführung der rot-grünen Koalition ab. Nach aktuellen Umfragen hätte eine rot-grüne Regierung eine eindeutige parlamentarische Mehrheit. Die FDP hätte momentan keine Chance, wieder in den Landtag zu kommen; sollte sich das bewahrheiten, wird das der Partei die Rückkehr in den Bundestag weiter erschweren, nicht aber automatisch den Sturz der schwarz-gelben Koalition in Berlin nach sich ziehen.

Auch für DIE LINKE sind die anstehenden Wahlen eine große Herausforderung: In Schleswig-Holstein scheint ein Wiedereinzug in den Landtag kaum möglich. Umfragen geben der Partei nur noch 3%. NRW stellt mit fast zehntausend Mitgliedern den zweitgrößten Landesverband der Partei nach Sachsen. Prognostiziert wird gegenwärtig aber nur ein Stimmenanteil von 4%. Auch hier hat die Landtagsfraktion erst spät zu einer politischen Linie und Strategie gegenüber der Sozialdemokratie gefunden. In jedem Fall wäre es sinnvoll, wenn die alternativen Entwicklungslinien zur Politik der Schuldenbremse verstärkt diskutiert und den WählerInnen gegenüber deutlich gemacht würden.

Geht die Wahl für die Linkspartei in Nordrhein-Westfalen verloren, wäre das ein gravierender Rückschlag für die Partei auf dem Weg von der ostdeutschen Regional- zur Bundespartei. Der Erfolg mit Oskar Lafontaine im Saarland wäre dann nur ein kleiner Trost. DIE LINKE steht also vor einer nicht zu unterschätzenden politischen Bewährungsprobe.

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