24. September 2020 Michael Brie/Gabi Zimmer: Zur Strategiediskussion der Partei DIE LINKE im Vorfeld der Bundestagswahl 2021

Sagen, was ist!

»Alle große politische Action besteht in dem Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit. Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist.«

Ferdinand Lassalle (1863: 35)

Der Bundesvorstand der Partei DIE LINKE hat Anfang September 2020 den Leitantrag für den kommenden Parteitag vorgelegt: »Wie wir gerecht aus der Krise kommen – Mit einem sozialen und ökologischen Systemwechsel.« Es dürfte in der Partei und bei ihren Anhänger*innen kaum allzu große Differenzen geben, was Inhalt und Zielrichtung des Systemwechsels betrifft. Der Leitantrag steht in Kontinuität zu jenen Positionen, die die PDS, WASG und dann die LINKE über jetzt drei Jahrzehnte erarbeitet haben, Positionen, die sich im Chemnitzer Parteiprogramm der PDS und im Erfurter Parteiprogramm der Partei DIE LINKE niederschlugen, und entwickelt diese konkret weiter. Dies ist eine gute Nachricht.

Auch Überlegungen, die ihre beiden langjährigen Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger in zwei jüngst erschienenen Büchern darlegten (Kipping 2020; Riexinger 2020), sind eingeflossen. Es scheint gelungen, Konzepte zu entwickeln, die verbinden, statt spalten, auf Solidarität setzen und Hoffnung statt Angst verbreiten. Es wurde ein Ansatz verbindender Klassenpolitik (Candeias 2017) entwickelt, der zugleich radikal emanzipativ und entwicklungsfähig ist. Ihm liegt ein Konzept zugrunde, das auf eine doppelte Transformation setzt – im Hier und Jetzt, im Kapitalismus, ansetzend und zugleich für Morgen und Übermorgen, über den Kapitalismus hinaus weist (Klein 2014).

Natürlich bleiben viele offene Fragen (Stache/Matzenau 2020), darunter die nach den Grundzügen einer alternativen, sozialistischen Gesellschaftsordnung (Dörre/Schickert 2019). Die Analyse der oligarchischen Machtstrukturen, die den gesamten gesellschaftlichen Reproduktionsprozess, die Produktions- wie die Lebensweise kontrollieren (Dellheim 2014), kommt im Leitantrag zu kurz, will man sich der gewaltigen Widerstände bewusst werden, auf die eine radikale Transformationspolitik treffen wird (Lehndorff 2020). Die Vorstellungen über alternative Eigentumsformen wurden präzisiert, auch wenn dies ein völlig unabgeschlossener Suchprozess bleibt. Eine wirkliche Systemtransformation wird radikale Experimente wagen müssen.

So positiv der Leitantrag erscheint, wenn es um die Zielvorstellung geht, so sehr bemäntelt er zugleich die zentralen strategischen wie taktischen Fragen im Vorfeld der Bundestagswahl. Dies aber ist bestenfalls grob fahrlässig.

Michael Brie ist Sozialphilosoph. Im VSA: Verlag erschien von ihm zuletzt: »Lenin neu entdecken« (2017), »Rosa Luxemburg neu entdecken« (2019). Gabi Zimmer war von 2000 bis 2003 Bundesvorsitzende der PDS, von 2012 bis 2019 Fraktionsvorsitzende der GUE/NGL-Fraktion im Europäischen Parlament.

Die komplette Leseprobe als pdf-Datei!

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