19. Dezember 2019 Redaktion Sozialismus
SPD: Aufbruch in eine neue Zeit?
Die SPD hat auf ihrem Bundesparteitag personell wie politisch-programmatisch Korrekturen an ihrem bisherigen Profil beschlossen. Die in einem Mitgliederentscheid gewählte Doppelspitze aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die sich gegen Klara Geywitz und Bundesfinanzminister Olaf Scholz durchgesetzt hatte, wurde in Berlin auch formell bestätigt.
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Im Zentrum der politischen Debatte sowohl in den Basiskonferenzen als auch auf dem Parteitag stand die Frage, ob die SPD aus der »großen Koalition« ausscheiden sollte, um das Potenzial der Erneuerung vergrößern zu können. Große Teile der Partei interpretierten die Einbindung in die Regierungskoalition als politische Blockierung. In der entscheidenden Abstimmung erhielt der Antrag der »Linken« jedoch nur eine äußerst geringe Unterstützung. Die deutliche Mehrheit des Parteitages sprach sich für eine inhaltliche Konfrontation aus, um das Veränderungspotenzial mit den bürgerlichen Parteien CDU und CSU auszuloten. Entsprechend dem verabschiedeten Leitantrag, der von einem Großteil der Strömungen unterstützt wurde – »Aufbruch in eine neue Zeit«– sollen in der nächsten Zeit Gespräche mit den Unionsparteien vor allem über die Themen Mindestlohn, öffentliche Investitionen und Klimapolitik geführt werden, um eine Präzisierung des Koalitionsvertrages zu erreichen. Das Thema »Ende der GroKo« wurde damit vertagt.
CDU/CSU stellten hingegen durch ihre Führung klar, dass es keine »Neuverhandlung« des Koalitionsvertrages geben werde. In »Gesprächen« könne allerdings geklärt werden, unter welchen Bedingungen die »Respekt-Rente« endlich umgesetzt wird. Angedeutet wurde zudem ein Kompromiss über ein Investitionsprogramm sowie eine Initiative zur Überprüfung des bisherigen Niveaus des gesetzlichen Mindestlohns. Über eine höhere CO2-Bepreisung im Rahmen des »Klimapakets« wurde in Bund-Länder-Verhandlungen im Beisein der neuen SPD-Führung bereits eine Einigung erzielt. Die Ablehnung von Verhandlungen über den laufenden Koalitionsvertrag hatte für die Unionsparteien den klar erkennbaren Hintergrund, dass diese auf keinen Fall in den Geruch kommen wollten, die Präferenz privatkapitalistischer Investitionen infrage zu stellen. Eine Ausweitung öffentlicher Investitionen steht unter dem Vorbehalt, dass deren Finanzierung nicht mit einem Eingriff in die Verteilungsverhältnisse verbunden sein dürfe. Ein umfassender Ansatz zum Ausbau und zur Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur wurde dagegen strikt verworfen, weil das zu einer Einschränkung der Investitionen seitens des Unternehmenssektors führen könnte. Die Forderung nach Nachverhandlungen wurde von der neuen SPD-Führung auch damit begründet, dass sich seit Abschluss des Koalitionsvertrages vor 20 Monaten die politischen Rahmenbedingungen nachhaltig verändert hätten. »So ist der Klimawandel insbesondere durch die Proteste von ›Fridays for Future‹ in das öffentliche Bewusstsein gerückt, die deutsche Wirtschaft erstmals seit zehn Jahren in eine Phase schwächeren Wachstums geraten und wichtige Industriebereiche erleben einen grundlegenden Strukturwandel.«[1]
Die Gewerkschaften hatten gleichermaßen gemeinsam mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie jüngst die Forderung nach einem umfassenden Investitionsprogramm erhoben. Auch hier wurden von der SPD die Schranken betont: »Dabei geht es nicht nur um zusätzliche Anstrengungen mit öffentlichen Mitteln, die in Zeiten einer abkühlenden Konjunktur das Wachstum stabilisieren. … Es geht aber neben der Konjunkturstützung vor allem um die Bewältigung der großen Transformation, die aus dem sozialen, technischen und ökologischen Wandel folgt.«[2] Dass letztlich die Transformation die Systemschwäche privatkapitalistischer Investitionen aufgedeckt hat, stand nicht zur Diskussion.
Im Mittelpunkt des Parteitags stand nach Klärung der GroKo-Frage die politisch-programmatische Neuausrichtung der SPD: ein systemimmanentes Konzept für die »Bewältigung der großen Transformation«.
[1] SPD: Ordentlicher Bundesparteitag, Berlin, 6.-8.12.2019, Beschluss Nr. 1, »Aufbruch in die neue Zeit«, https://indieneuezeit.spd.de/fileadmin/pv/Dokumente/BPT2019/Beschluesse/B1_Beschluss_Aufbruch_in_die_neue_Zeit.pdf, S. 10.
[2] Ebd., S. 11.
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