25. November 2021 Harald Wolf: Die Probleme der LINKEN sind struktureller Natur

Strategische Neuorientierung und ein neuer Grundkonsens

Neben der Union war DIE LINKE die große Verliererin der Bundestagswahl. Mit 4,9% verlor sie zwei Millionen Wähler:innen und schaffte nur mithilfe dreier Direktmandate noch den Einzug in den Bundestag. Blickt man auf das Ergebnis der Europawahlen und der letzten Landtagswahlen zurück, ist diese Entwicklung nicht völlig überraschend.

5,5% bei den Europawahlen, massive Verluste bei den Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern waren unübersehbare Warnsignale. Mittlerweile bewegen sich die Wahlergebnisse in Ostdeutschland – mit der Ausnahme Thüringen – nur noch um die 10%. Wahlerfolge im Westen der Republik waren – bis auf Hessen – nur in den Stadtstaaten zu verzeichnen. Deshalb würde es zu kurz greifen, die Ursachen der Wahlniederlage in möglichen Fehlern im Wahlkampf oder allein in besonderen Umständen, wie etwa Polarisierung der Wahlentscheidung zwischen Armin Laschet und Olaf Scholz in der Schlussphase zu suchen. Die Probleme der LINKEN sind grundlegender, struktureller Natur.

Lange Zeit konnte DIE LINKE und davor die PDS von hohen Wahlergebnissen in den ostdeutschen Bundesländern zehren. Konnte man von der PDS noch mit einigem Recht als ostdeutscher Volkspartei sprechen, sind diese Zeiten für DIE LINKE mittlerweile vorbei. Der alte – und in der Vergangenheit durchaus erfolgreiche – Slogan, wonach der Osten rot wähle, trifft schon längst nicht mehr zu. Die Profilierung der Partei als die ostdeutsche Interessenvertretung war eine Form der Identitätspolitik, die sich gegen die Abwertung ostdeutscher Biografien und die sozialen Verwerfungen und Ungerechtigkeiten im Gefolge der deutschen Vereinigung wandte. Sie war getragen von einem Milieu, das in der PDS/DIE LINKE die Partei sah, »sich ohne Demütigung mit ihrer Lebensgeschichte zu identifizieren – vielleicht auch auseinanderzusetzen«.[1] Aber diese die Partei ehemals tragenden Milieus sind – auch aus demografischen Gründen – zunehmend geschrumpft, während DIE LINKE gleichzeitig ihren Nimbus als alleinige ostdeutsche Protestpartei verlor. Das politisch diffuse, nicht inhaltlich linksorientierte Protestpotenzial findet heute in weiten Teilen ihr Ventil in der Wahl der rechtsradikalen AfD.

Das Gründungsmomentum der LINKEN, das zum Zusammenschluss von PDS und der »Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit« (WASG) führte – die Opposition gegen die Agenda-Politik der rot-grünen Bundesregierung Schröder/Fischer und Hartz IV als antineoliberale Sammlungsbewegung –, hat sich erschöpft. Es trägt nicht mehr als das zentrale, einigende Moment und Alleinstellungsmerkmal in einer veränderten politischen Situation und in neuen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen angesichts von Klimakatastrophe, Digitalisierung und der damit verbundenen Transformation.

Harald Wolf ist Bundesschatzmeister der Partei DIE LINKE. Von ihm erschien kürzlich im VSA: Verlag der Band »(Nicht)Regieren ist auch keine Lösung. Chancen, Risiken und Nebenwirkungen, wenn Linke sich beteiligen.« Von 1991 bis 2020 war er Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, von 1995 bis 2002 Vorsitzender der PDS-Fraktion, folgte im Sommer 2002 Gregor Gysi im Amt des Wirtschaftssenators nach und wurde Stellvertreter des Regierenden Bürgermeisters. Nach dem Ende der rot-roten Koalition im November 2011 wurde er verkehrs- und energiepolitischer Sprecher der Fraktion. 2016 veröffentlichte er ebenfalls im VSA: Verlag den Band »Rot-Rot in Berlin. 2002 bis 2011: eine (selbst-)kritische Bilanz.«

[1] Rainer Land/Ralf Possekel, PDS und moderner Sozialismus, in: Michael Brie/Martin Herzig/Thomas Koch (Hrsg.): Die PDS. Empirische Befunde und kontroverse Analysen, Köln 1995, S. 113.

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