24. Dezember 2023 Forum Gewerkschaften: Zur Erinnerung an Sybille Stamm (24.3.1945–14.12.2023)

Streiten – überzeugen – begeistern

Am 14. Dezember 2023 starb unsere Kollegin, Genossin und Freundin Sybille Stamm. Sie wurde plötzlich – wie man so sagt – »aus dem Leben gerissen«. Ohne Vorankündigung.

Als wir uns am 10. November das letzte Mal im Forum Gewerkschaften in den Räumen der IG Metall in Frankfurt a. M. trafen, war Sybille voller Elan für eine Idee: Gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung müsse das Forum 2024 eine Tagung zum 40. Jahrestag der 35-Stunden-Woche organisieren. In Stuttgart, das war klar, denn dort, im Tarifgebiet Nordwürttemberg/Nordbaden, hatte am 14. Mai 1984 jener Arbeitskampf begonnen, der erst nach fast sieben Wochen endete.

Erfolgreich, denn er brachte einen Durchbruch, wenn auch nicht mit jener Power, die Sybille sich erhofft hatte. Zunächst wurde die Wochenarbeitszeit von 40 auf 38,5 Stunden verkürzt, erst gut ein Jahrzehnt später, 1995, stand die 35 in den Tarifverträgen. Was sie am meisten kritisierte: erkauft durch eine weitergehende Flexibilisierung der Arbeitszeit. Das Zugeständnis hätte aus ihrer Sicht nicht sein müssen. Und dennoch: Die Tabu-Politik einer nahezu geschlossenen Front aus Unternehmerverbänden der Metall- und Druckindustrie, der schwarz-gelben Bundesregierung und der mächtigen Medienkonzerne war in einer großen sozialen Auseinandersetzung – mit Sybille an einer der vordersten Fronten – niedergerungen worden.

Sybille wurde am 24. März 1945 geboren – nicht, wie man aufgrund ihres Temperaments meinen könnte, im Süden, sondern im entferntesten Norden der Republik, in Flensburg. Nach der bedingungslosen Kapitulation der faschistischen Wehrmacht am 8. Mai 1945 residierte in der Marineschule Flensburg-Mürwik noch der von Hitler eingesetzte Großadmiral Karl Dönitz bis zum 23. Mai – dann war auch Sybilles Geburtsstadt befreit. Ihre Augen glänzten, wenn sie von der Stadt an der Förde, von der Ostsee, vom Meer überhaupt, sprach. Kam daher ihre Begeisterung für das Segeln, insbesondere auch dann, wenn der Wind mal etwas heftiger blies? Lebenslang waren die Flensburger »Mädels« an ihrer Seite – im Norden, in Italien, auf dem Wasser.

Der Süden kam nach der Schule. Zum Studium ging Sybille nach München, wo sie sich in Politikwissenschaften einschrieb. Dort war sie Teil der 68er-Bewegung, wohnte zeitweise mit der Rockgruppe Ammon Düül in einer WG, zeitweise auch mit Wim Wenders und Elke Heidenreich. Sie war Mitglied der Roten Zellen, aktiv in der studentischen Politik. Dort lernte sie ihren Ehemann Jürgen Stamm (später 1. Bevollmächtigter der IG Metall in Stuttgart), aber auch »ihren Marx« kennen, der ihr in ihrer späteren Gewerkschaftsarbeit zentrales Analyseinstrument und Politikratgeber blieb.

Nach dem Studium begann für Sybille, u.a. mit Gudrun Trautwein-Kalms und Franziska Wiethold, eine außerordentlich intensive und kontroverse Zeit in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit, zunächst an der DGB-Bundesjugendschule Oberursel (unter der Leitung von Hinrich Oetjen). [...]

Beide vollständigen Nachrufe zusammen als pdf-Datei!

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