23. November 2022 Otto König: Der Pilotabschluss in der Metall- und Elektroindustrie

Tarifpolitik in Inflationszeiten

Wie häufig zuvor erfolgte der Durchbruch inmitten der Nacht. Nach einem elfstündigen Verhandlungsmarathon einigten sich die Tarifkontrahenten IG Metall und Südwestmetall im schwäbischen Ludwigsburg auf einen Pilotabschluss in der Metall- und Elektroindustrie.

»Unterm Strich stehen Entgelterhöhungen von 8,5% bei 24 Monaten Laufzeit«, kommentierte der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann das Tarifergebnis. Für einen Facharbeiter seien das rund 7.000 Euro mehr – davon 3.000 Euro steuer- und abgabenfrei. Die Arbeitgeber setzten dafür eine lange Laufzeit von zwei Jahren bis September 2024 durch. Möglich wurde der Abschluss erst durch den enormen Druck der Beschäftigten aus den Betrieben. Rund 900.000 Metaller*innen hatten die Forderung der IG Metall bundesweit mit Warnstreiks, Kundgebungen, Demozügen, Menschenketten und Autokorsos unterstützt. Für den Fall eines Scheiterns der Verhandlungen hatte die Gewerkschaft mit einer Ausweitung des Arbeitskampfes durch sogenannte 24-Stunden-Streiks oder eine Urabstimmung über Erzwingungsstreiks gedroht.

Die Nachwehen der Corona-Pandemie, gestörte globale Lieferketten, explodierende Energie- und Lebenshaltungskosten sowie eine bevorstehende Rezession bilden die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Dennoch waren die Erwartungen der Beschäftigten hoch wie lange nicht. Nach mageren Pandemiejahren ohne prozentuale Lohnsteigerungen und schließlich hoher Inflation musste die Gewerkschaft für ihre Mitglieder endlich wieder stattliche Tariferhöhungen erreichen. Die IG Metall forderte eine Erhöhung um 8% bei zwölf Monaten Laufzeit. Sie begründete das mit dem Kaufkraftverlust – zuletzt lag die Inflation im Oktober 2022 bei 10,4%. Berechnungen des Bundeswirtschaftsministeriums zufolge wird sie in diesem Jahr im Durchschnitt bei rund 8% liegen, im nächsten noch bei 7%, die Wirtschaftsforschungsinstitute gehen von knapp 9% aus. Auch in den darauffolgenden Jahren wird die Preisentwicklung über dem Mittel der vergangenen Jahre liegen.


Verteilungskonflikte

Wirtschaftsliberale Ökonomen warnten alarmistisch vor einer »Lohn-Preis-Spirale«. »Das ist ökonomischer Unfug. Für das laufende Jahr wird ein republikweiter Tariflohnzuwachs von 3% erwartet. Dies bedeutet einen Reallohnverlust von 5%. Von Lohn- und Preisdruck weit und breit keine Spur«, stellt der ver.di-Ökonom Dierk Hirschel fest.[1] Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, bewertet das nicht anders.

Während die Teuerungsrate langsam nach oben kletterte, gingen die Arbeitgeber lange nicht auf die Gewerkschaftsforderung ein. Erst in der dritten Verhandlungsrunde boten sie eine steuer- und abgabenfreie 3.000-Euro-Pauschalzahlung über 30 Monate Laufzeit an.

Otto König ist Mitherausgeber von Sozialismus.de.

[1] Frankfurter Rundschau, 14.10.2022; siehe auch seinen Beitrag in Sozialismus.de 11-2022, S. 48–50.

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