23. Dezember 2010 Mona Tilgner (Hamburg): Filmkritik

The Kids are all right

Wie der Titel bereits ankündigt, geht es den beiden Kindern in diesem Film verhältnismäßig gut. Nein, sie haben trotz der Erziehung durch ein lesbisches Ehepaar keine besonderen Probleme, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden, und sind nicht anders als Kinder, die bei heterosexuellen Paaren aufwachsen.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sie aus einer künstlichen Befruchtung entstanden sind. Komplizierter wird es erst, als die volljährige Joni auf Wunsch ihres Bruders Laser Kontakt mit ihrem biologischen Vater aufnimmt. Nic, die eine Mutter, wird eifersüchtig, und Jules, ihre Ehefrau, fängt eine Sex-Affäre mit Paul, dem Samenspender, an. Es kommt zum Crash, als Nic davon erfährt. Abgeklärt geht Jules mit ihrem – ihrer Ansicht nach großen – Fehler um: Bei der Entschuldigungsrede vor versammelter Familie spricht sie von Projektion und der Verschiebung von ihren eigenen Problemen auf andere – ein wertvolles reflexives Element in der filmischen Handlung.

Solche Elemente, aber auch Situationsdarstellungen eines ehelichen Alltags, der sich von Tag zu Tag langweiliger anfühlt, setzt die US-amerikanische Regisseurin Lisa Cholodenko anschaulich um – einerseits mit Humor, andererseits mittels direkter Konfrontationen. Nun hat in einer kapitalistisch formierten Gesellschaft die Familie die Funktion inne, Reproduktion und Produktion ökonomisch zu trennen, und hält sie zugleich als ideelles Gebilde zusammen. In diesem Fall ist es ein lesbisches Ehepaar, das eine bürgerliche Kleinfamilie gründet. Na und? Die gesellschaftlich konstruierte, aber durchaus wirkungsmächtige geschlechtliche Rollenaufteilung zwischen oft gegensätzlichem »männlichen« und »weiblichen« Verhalten kann auch auf ein homosexuelles Paar zutreffen. Jules hält sich eher in der häuslichen Sphäre, der Reproduktion, auf und Nic in der öffentlichen Sphäre, der Produktion. Das heißt: Nic verdient das Geld. Daraus entstehen dieselben Probleme wie in einer heterosexuellen Ehe: Jules fühlt sich abhängig und will wieder beruflich aktiv werden.

In der herkömmlichen Struktur der Familie spiegelt sich zudem die Verbindung zwischen dem privaten, monogamen Liebesleben und der Rollenverteilung im öffentlichen Auftreten. Männlich und weiblich kodiertes Rollenverhalten werden auf zwei deutlich voneinander abgegrenzten Polen verteilt und im ökonomischen Zusammenhang realisiert, unabhängig davon, ob es sich um eine Mann-Frau- oder eine Frau-Frau-Beziehung handelt. Positiv ausgedrückt stellt Lisa Cholodenko gekonnt dar, dass ein homosexuelles Pärchen ein »normales« Leben führen kann, inklusive Szenen eines »klassischen« Abendessens, bei dem die ganze Familie am Tisch versammelt ist.

Eine große Rolle in diesem Film spielt Sex. Konfrontativ wird auf die sexuellen Vorlieben des lesbischen Paares eingegangen. Auch werden ausgiebig die Praktiken von Paul und seiner anfänglichen Bettpartnerin Tanya sowie von Paul und Jules gezeigt, während der Liebesakt zwischen Jules und Nic nicht ins Rampenlicht gerückt wird. Und obwohl die Familie aus der heterosexistischen Norm herausfällt, endet der Film mit einer konventionellen ehelichen Versöhnung.

»The kids are all right« hat 2010 den schwul-lesbischen Filmpreis der Berlinale (»Teddy«) abgesahnt. Regisseurin Lisa Cholodenko führte auch Regie bei einer Folge von L-Word, einer amerikanischen Lesben-Serie, die für Diskussionen innerhalb der Lesben- und Queer-Szene sorgte. Sie zeigt: Lesben sind nicht automatisch revolutionäre Subjekte. Genausowenig wie sexuelles Begehren gesellschaftskritische Auseinandersetzungen mit sich bringt, sondern eher Geschlechtsidentitäten festschreibt. Oder wie Judith Butler in »Das Unbehagen der Geschlechter« sagt: »Was für ein tragischer Fehler ist es dann, eine schwule/lesbische Identität durch die selben Mittel der Ausschließung zu konstruieren, als würde das Ausgeschlossene nicht gerade durch seine Ausschließung stets vorausgesetzt und damit sogar für die Konstruktion dieser Identität erfordert.« Das Resümee: Ein unterhaltsamer Film, der den Blick für Geschlechterrollen schärft.

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