26. April 2017 Redaktion Sozialismus

Türkei: Unsichere Zukunft

Das Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei war eine Entscheidung zwischen Demokratie und Diktatur. Zentrales Argument der Befürworter eines Präsidialregimes war die Stärkung der politischen und wirtschaftlichen Stabilität von türkischer Gesellschaft und türkischem Staat.

Mit einer Änderung der Verfassung bekommt Recep Tayyip Erdoğan alle Machthebel in die Hand, die er für seine Vorstellung von einem »effizienten« Regieren braucht. »Effizientes Regieren« heißt: Die Türkei soll sich noch stärker als Regionalmacht entwickeln. Erdoğan und die AKP wollen in Absetzung oder Dis­tanz zur EU, dem Westen und der NATO eine Aufwertung des türkischen Staates verwirklichen.

Erdoğan hat seinen AnhängerInnen versprochen, mit dem neuen Präsidialsystem für mehr Stabilität im Land zu sorgen. Doch auf dem Weg zu einer autokratisch regierten Regionalmacht wird die Spaltung der türkischen Gesellschaft verstärkt werden. Der Bürgerkrieg gegen die Kurden und die militärischen Operationen gegen autonome Gebiete der Kurden in Syrien und Irak werden die wirtschaftlichen Fundamente der Türkei weiter auszehren. Die weitere Einschränkung von politischen und gesellschaftlichen Freiheiten wird die Wirtschaft weiter schwächen, zumal schon jetzt die Selbstbereicherung und Korruption des Erdoğan-Clans einer Entfaltung der Ressourcen nicht förderlich ist. Der Ausbau eines autoritären Regimes wird der Türkei endgültig den Weg in die Europäische Union versperren.

Über 58 Mio. TürkInnen waren aufgerufen, über die künftige Machtfülle des Präsidenten abzustimmen. Die Wahlbeteiligung war mit 84,7% hoch. Von den rund 58,4 Mio. Wahlberechtigten haben rund 49,4 Mio. ihre Stimme abgegeben. Mit »Ja« haben 25.157.025 (51,4%) und mit »Nein« 23.777.091 (48,6%) Personen abgestimmt. Mit einer Mehrheit von rund 1,3 Mio. Stimmen (2,6% der abgegebenen Stimmen) wurde die Verfassungsänderung angenommen. Der knappe Ausgang des Referendums hat die tiefe Spaltung der Gesellschaft sichtbar gemacht.

Die vom Amtsinhaber Erdoğan (Regierungschef seit 2003, Staatschef seit 2014) eingebrachte Verfassungsreform wird ihm weitreichende und alleinige Machtbefugnisse verleihen und ist die Fortsetzung eines Weges zur Deformation einer noch unentwickelten kapitalistischen Ökonomie. Das Referendum hat nicht allein über die Einführung eines Präsidialsystems entschieden, sondern auch über die künftige Ausrichtung des Landes und sein Verhältnis zum Westen sowie vor allem zur EU.

Seit dem Putschversuch im Juli 2016 gilt in der Türkei der Notstand. Er erlaubt Erdoğan, per Dekret zu regieren. Durch die Zustimmung zur Verfassungsänderung wird das auch so bleiben – auch ohne Zustimmung der Regierung.

Die komplette Leseprobe als pdf-Datei!

Zurück