26. Juni 2020 Ulrich Brand: Strategien gegen einen autoritären Grünen Kapitalismus. Für ein linkes Verständnis von Freiheit

Umkämpfter Green Deal

Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie als globales Ereignis und den alles dominierenden Anstrengungen, sie einzudämmen, stand ein anderes ambitioniertes globales Ziel auf der politischen Agenda: die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bis 2050, um die schlimmsten Folgen der Klimakrise zu verhindern.

Die Hoffnungen, dass staatliche und internationale Politik dieses Ziel ernstnehmen könnten, wurden im Jahr 2019 aufgrund der unerwartet starken gesellschaftlichen Politisierung des Klimawandels nochmals verstärkt. Auch gibt es durchaus Versuche seitens der politischen und wirtschaftlichen Eliten, »grüne« Antworten auf die Krise zu finden – allerdings weitgehend in ihrem Sinne und entlang ihrer Interessen. Das Thema ist nicht neu, denn die Debatten um »nachhaltige Entwicklung« oder »grüne Ökonomie« werden seit vielen Jahren geführt. Sie bekommen aber mit dem Projekt des »Europäischen Grünen Deals« (EGD), den die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen im Dezember 2019 präsentierte, neuen Schwung.[1]

Doch diese Initiative wird in einem größeren gesellschaftspolitischen Kontext formuliert, nämlich zunehmender autoritärer Entwicklungen. Es ist daher ein Stück weit offen, ob der Europäische Grüne Deal und ähnliche Initiativen ein eher liberales oder ein eher autoritäres Projekt eines Grünen Kapitalismus stärken werden. Die zunehmend autoritäre Politik hat entsprechend auch Auswirkungen darauf, wie die ökologische Krise politisch bearbeitet wird.

Dazu kommt: Manchmal wissen die herrschenden politischen und wirtschaftlichen Akteur*innen selbst nicht so genau, wie es weitergehen kann; wie in der Krise ab 2008 oder aktuell in der Covid-19-Krise. Im Moment der Re-Stabilisierung der Verhältnisse wird dann oft auf »alte Rezepte« – sofern sie sich für die Herrschenden bewährt haben – zurückgegriffen. Für diesen durchaus umkämpften und unsicheren Veränderungsprozess, der weitgehend unter Kontrolle der wirtschaftlich und politisch Herrschenden bleibt, verwandte Antonio Gramsci den Begriff der »passiven Revolution«. Eine passive Revolution zeichnet sich dadurch aus, dass die herrschenden Kräfte fähig sind, auf tiefe Krisen und Verunsicherungen wie ökonomische Krisen, aktuell die ökologische Krise, zunehmende Migrationsbewegungen – auch die Corona-Krise – in gewisser Weise zu ihren Bedingungen zu reagieren: »Die führende Klasse … wechselt Menschen und Programme aus und gewinnt die Kontrolle wieder …« (GH 1578).[2]

Ein neuer grün-kapitalistischer Machtblock könnte entstehen, d.h. eine durchaus heterogene Allianz der dominanten gesellschaftlichen Gruppen unter Führung »grüner« Kapitalfraktionen und in enger Verbindung mit dem Staat. Dieser Machtblock könnte sich als »autoritärer Grüner Kapitalismus« stabilisieren. Doch das ist umkämpft. Welchen Anteil die aktuelle durch Sars-CoV-2 verursachte Krise dabei hat, lässt sich noch nicht beurteilen.

Die aktuelle Konstellation zeichnet sich auch dadurch aus, dass die linken und insbesondere die emanzipatorischen und kapitalismuskritischen Kräfte schwach sind.

Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Außerdem ist er u.a. Mitherausgeber der »Blätter für deutsche und internationale Politik« und Mitglied im Redaktionsbeirat von »Tagebuch. Zeitschrift für Auseinandersetzung«. Gemeinsam mit Markus Wissen verfasste er das Buch: »Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus« (oekom-Verlag München 2017). Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das stark gekürzte und sprachlich leicht bearbeitete 2. Kapitel aus seinem soeben im VSA: Verlag erschienenen Buch: Post-Wachstum und Gegen-Hegemonie. Klimastreiks und Alternativen zur imperialen Lebensweise. Mit einem Beitrag zur Corona-Krise.

[1] Europäische Kommission (2019). Vgl. dazu Busch 2020; Bischoff/Radke 2020; EuroMemo 2020.
[2] Vgl. zu den möglichen Entwicklungsrichtungen von Bearbeitung und Wahrnehmung der Corona-Krise auch Lieber 2020.

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