1. Mai 2003 Pertti Hynynen

Unsere Banane heißt Nokia

Nach den Parlamentswahlen in Finnland vom 16. März zerbrach die breite Regenbogenkoalition, weil die beiden Randparteien – die Nationale Sammlungspartei (KOK) und die Linksallianz (VAS) – in die Opposition gingen. Warum gehen nun die beiden großen Parteien – die Sozialdemokratische Partei (SDP) und die Zentrumspartei (KESK) –, die im Wahlkampf sehr hart gegeneinander gekämpft haben, in einer neuen Koalition zusammen? Die politische Konstellation der "roten Erde", einer Zusammenarbeit von "Arbeitern und Bauern", hat in der finnischen Geschichte seit 1937 eine große Rolle gespielt. Nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmte diese Volksfront das politische Geschehen. Die Kooperation von Sozialdemokraten und agrarischem Zentrum wurde nach der Periode des Kalten Krieges durch die Kommunisten erweitert.

Die Neuauflage einer so geschichtsbelasteten Zusammenarbeit von Sozialdemokraten und Zentrum muss im Kontext der schwierigen Veränderungen der finnischen Wohlfahrtsgesellschaft und eines Paradigmenwechsels in der politischen Agenda gesehen werden. Der frühere Parteisekretär der Linksallianz, Ralf Sund, hatte vor den Wahlen die Frage aufgeworfen, warum die Volksfrontpolitik der roten Erde keine Chance mehr hat und warum es für die finnische Linke eher möglich ist, mit der Sammlungsbewegung KOK eine Übereinstimmung zu entwickeln. Seine These: Die reaktionären Strömungen haben sich in den letzten Jahren im Zentrum zusammengefunden und deshalb repräsentierte die Regenbogen-Koalition unter Lipponen die moderne Form der Volksfront.

Mit Blick auf die neuen urbanen Mittelschichten und ihre modernen Lebensstile überzeugt diese Argumentation; die KOK hat eine gesellschaftliche Öffnung der Frauenpolitik mitgetragen und zugleich bei der Aufhebung von diskriminierenden Regelungen gegenüber Minderheiten mitgeholfen. Allerdings sollte man auch die Bedeutung von gewerkschaftlichen Positionen innerhalb der KOK nicht übersehen. Berufstätige Frauen – vor allem im Gesundheits- und Bildungssektor, den Sozialdiensten – haben in den innerparteilichen Auseinandersetzungen der KOK ein starkes Gewicht. Selbstverständlich überwiegt in der KOK die Steuersenkungsideologie, aber am Wohlfahrtsstaat soll gleichwohl festgehalten werden. Beispielsweise wird von der KOK ein Gesundheitssystem angestrebt, das eher gemeinsame Züge mit jenem der ehemaligen DDR als etwa dem der jetzigen Bundesrepublik aufweist. Innerhalb der KOK gibt es deutliche Schranken im Hinblick auf Privatisierungsfantasien des bürgerlichen Lagers.

Die Führung der SDP hatte gehofft, dass diese moderne Zusammenarbeit mit der urbanen KOK und der Linksallianz fortgesetzt werden könnte. Die Linksallianz war hingegen erleichtert, dass eine Neuauflage dieser modernen Volksfrontversion nicht zustande kam. Zwei Punkte stehen für die Linksallianz im Zentrum: Sie hat sich konsequent gegen Steuersenkungen gestellt; erst danach sind auch andere Parteien von dieser politischen Orientierung abgerückt. Zum anderen hat sich die Linkspartei für die Interessen der sozialen Schichten mit niedrigen Einkommen stark gemacht. Diese Kritik an der weithin als ungerecht empfundenen Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums hat auch die innerparteiliche Debatte und die politische Programmatik der SDP beeinflusst.

Zunächst hatte die Regenbogenkoalition nur den durch die massive industrielle Strukturkrise hervorgerufenen Notstand übernommen und keine überzeugenden Zielsetzungen parat. Ende der 90er entwickelte sich dann die Vision einer "Wissensgesellschaft", die aus den Trümmern der Industriegesellschaft heraus entsteht. Dies markiert zugleich einen ideologischen "Raison d’être" der Koalitionsregierung. Speziell in den Jahren 1998-2000 wurde die Idee propagiert, Finnland sei der Vorreiter der Wissensgesellschaft. Manuel Castells hat zusammen mit dem jungen finnischen Philosophen Pekka Himanen dieser Entwicklungsetappe ein intellektuelles Denkmal errichtet: "The Information Society and the Welfare State. The Finnish Model". Über diesen neuen Wunderglauben sagt Wolfgang Fritz Haug: "In ihm desinformiert sich die vermeintliche Informationsgesellschaft, und die sich als ›Wissensgesellschaft‹ aufspielende liefert sich der Spekulation aus, in der Geld und Geist sich in toller Promiskuität jagen." (Argument 5/6 2000, 620)

Die Wissensgesellschaft fungierte innerhalb der Linken und SDP als "Ersatzideologie". Unter praktisch-politischem Blickwinkel gilt: Die wirtschaftlichen Erfolge der letzten Jahre haben einen bestimmten Zusammenhang mit den IuK-Technologien. Das finnische Volk ist so klein, dass hier ein Versuchslabor etabliert werden konnte. Finnland mit seinem hohen Bildungsniveau ist ein ideales Testgelände für entsprechende Erfindungen. Nokia und andere Firmen können hier ihre neuen Produkte ausprobieren, die dann in die Weltmarktproduktion gehen.

Die Kehrseite dieser Konjunktur der Jahre 1998-2000 ist offensichtlich: Auch in Finnland ist der Anstieg von Armut und Arbeitslosigkeit in einigen städtischen Brennpunkten unübersehbar. Die Saga von Nokia hat eine ökonomische Seite: Im Jahre 2000 waren die zehn stärksten Steuerzahler als Direktoren bei Nokia angestellt. Das Unternehmen hat als wichtiger Arbeitgeber und ökonomischer Faktor ein großes Drohpotenzial. Mit Verweis auf die Möglichkeit einer Standortverlagerung fordert die Firmenleitung wirksame Steuersenkungen.

Der Handy-Konjunktur folgen weitere Nokia-Projekte: In den nächsten Jahren soll die Digitalisierung des Fernsehens (Digi-TV) umgesetzt werden. Auch hier will das Großunternehmen den finnischen Markt als Testfeld; viele Menschen sollen die neuen Produkte kaufen, damit Nokia in diesem Prozess entsprechende Erfahrungen machen kann. Die Parole "Unsere Banane heißt Nokia" fasst diese Stimmung zusammen. Im Schatten von Nokia wird in der öffentlichen Meinung die negative Seite des finnischen Kapitalismus übersehen, d.h. die Rolle der traditionellen Industrien wie Metso, Kemira, Fortum, KCI, Nokian Renkaat etc. Diese Firmen haben einen massiven Strukturwandel (Stahl, Metall, Maschinenbau, Chemie, Energie) hinter sich. Teils sind sie privatisiert, aber der Staat bleibt überall als wichtiger Mit-Eigentümer im Geschäft.

Begriffe wie "Arbeiterbewegung" und "Zusammenarbeit der Linken" bedeuten noch etwas in Finnland. Das Rückgrat ist eine Zusammenarbeit zwischen Sozialdemokraten und Linksallianz in den Gewerkschaften und besonders der Zentralorganisation SAK. Doch überwiegt hier meistens der Widerstand ohne neue Visionen.

Vor den Wahlen von 1999 hatte das Zentrum eine "Arbeitsreform" propagiert. Es war ein provokatives Deregulierungsprogramm gegen die Rolle der Gewerkschaften. Darum erfand der SAK im Jahr 2002 das Gespenst einer "Bürgerregierung" von KOK und Zentrum. Diese Parole "Regierung der Rechten" mobilisierte mit dem Ziel einer höheren Wahlbeteiligung: "Du musst wählen, sonst geht es dir schlecht." Im Endeffekt ist die Wahlbeteiligung leicht höher ausgefallen; ob dies an der Gewerkschaftskampagne lag, muss offen bleiben. Aber für eine solche Bürgerregierung gab es nicht einmal unter den Vertretern und Organisationen der Wirtschaft stärkere Resonanz, weil die Regierungspolitik der SDP positiv beurteilt wurde. Insofern war eine Bürgerregierung letztlich eine politische Schimäre.

Die Schlussphase der Wahlkampfauseinandersetzungen wurde vom Irak-Krieg und der Außenpolitik beherrscht. Es dominierte in der politischen Öffentlichkeit freilich die bekannte Ohnmachtstimmung mit der Schlussfolgerung: Finnland sollte sich nicht in die euro-amerikanischen Angelegenheiten einmischen. Grob gesagt, läuft dies auf folgende Politik hinaus: Nicht mit Russland gegen Amerika und nicht mit Estland für Amerika.

Michael Schwelien fasste in der "Zeit" zutreffend zusammen: "Das finnische Volk ist trotz Nokia und Pisa nicht weltoffen, sondern ängstlich und verschlossen." Nach den Wahlen war alles schnell vergessen und ziemlich einheitlich fand man zur Haltung zurück: "Dort die Willigen, gegenüber die Unwilligen, und wir bedauern." Staatspräsidentin Halonen drückte dies diplomatischer aus: Nach Meinung "vieler" Spezialisten sei der Krieg völkerrechtswidrig. Unterhalb der offiziellen politischen Ebene gibt es freilich viele kritische Stimmen.

Ursprünglich sollte die neue Regierung von fünf Parteien getragen werden. Besonders in den gewerkschaftsnahen SDP-Kreisen wollte man, dass auch die Linksallianz wiederum beteiligt wird. Die Parteivorsitzende der Linksallianz, Siimes, ging jedoch stets davon aus, dass das Zentrum eine solche Drei-Parteien-Koalition nicht wollte. In der Opposition besteht nun die Chance zur Überprüfung der eigenen Reformvorstellungen und der strategischen Konzeption.

Die entscheidende Frage für die sozialistische Linke bleibt, ob man die Zusammenarbeit innerhalb der Gewerkschaften erhalten kann. Und: Wie können unter dieser Voraussetzung die Gewerkschaften die Politik der Regierung beeinflussen? Unmittelbar nach den Wahlen wurde ein Kommissionsbericht mit Vorschlägen vorgelegt, wie man die Arbeitslosigkeit für die Gesellschaft billiger machen kann. Es liegen damit auch in Finnland Pläne vor, die soziale Sicherheit für Arbeitslose deutlich abzusenken. Aber vielleicht ist dies ein zu düsteres Bild, geprägt von den Verhältnissen in Deutschland.

Kaurismäki hat mit seinem Film "Der Mann ohne Vergangenheit" die politische Entwicklung vorweggenommen. Finnland bewegte sich mit Gedächtnisverlust zurück zu den 70er Jahren. Zurück zur Vergangenheit bedeutet: weniger Minderheitenpolitik und Umweltschutz; der Gegensatz von Agrikultur/Natur und Industrie wird wiederbelebt, und die angedrohte Neujustierung des Sozialstaates verheißt nichts Gutes.

Pertti Hynynen ist Politikwissenschaftler, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Helsinki.

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