24. Dezember 2023 Tom Strohschneider: 50 Jahre danach. Ein Rückblick auf die kurze Ära des Sozialliberalismus in der FDP

Vergessene Zeiten

Anfang Januar 1974 verschickte der SPD-Pressedienst »einige Bemerkungen zum Dreikönigstreffen der Liberalen«. In Umfragen stand die FDP seinerzeit bei 13% im Bund; die seit 1969 bestehende Koalition mit den Sozial­demokraten hatte gerade das Jahr der Ölkrise hinter sich gebracht. »Ist die FDP zu selbstbewusst?«, fragte Claus Preller im SPD-Pressedienst nicht nur mit Blick auf deren traditionelles Parteitreffen.

Im Rückblick wird die kritische Vorahnung deutlich, Prellers Kommentar nimmt die »Parolen« des Koalitionspartners »vor allem im Hinblick auf den Anspruch, den Altliberalismus zugunsten der sozialen Liberalität überwunden zu haben« ins Visier: »Ob dies Wirklichkeit ist, kann sich freilich stets nur in der praktischen Politik erweisen.«[1]

Unter den Sozialdemokraten hatte das Zutrauen darin offenbar schon länger abgenommen; vom sozialliberalen Effet der erst drei Jahre alten Freiburger Thesen war schon nicht mehr viel zu spüren. In der »Zeit« berichtete Eduard Neumaier von der »Zurückdrängung der Linken in der FDP«; beim Dreikönigstreffen 1974 hatte er beobachtet, wie »Mitglieder des FDP-Bundesvorstandes von Mitleid befallen« werden, »wenn sie sehen, wie der Vorsitzende der Jungdemokraten, Friedrich Neunhoefer, im besten Fall abgebürstet, im Normalfall ignoriert wird«. Es habe zwar »lange Zeit« so ausgesehen, »als gingen SPD und FDP in ihren programmatischen Aussagen aufeinander zu, wird jetzt deutlich, dass sie sich allmählich wieder auseinander bewegen«.[2]

Hinzu kam für Neunhoefer: »Eine der sichersten Garantien der Koalition«, ein »männlich-freundschaftliches Verhältnis« zwischen Willy Brandt und Walter Scheel, würde absehbar zu Ende gehen. Im Falle von Scheel war das zu Jahresbeginn 1974 keine offene Frage mehr, der Mann, der die Liberalen in die Koalition mit der SPD geführt hatte, stand vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten; im Amt des Parteivorsitzenden lief alles auf eine Nachfolge durch Hans-Dietrich Genscher hinaus. Im anderen Falle, in dem von Brandt bald die Guillaume-Affäre zum Rücktritt des SPD-Kanzlers führen würde, davon war der Jahresbeginn 1974 noch unbelastet. Anders das Verhältnis der Sozialdemokraten zur FDP: Kurz nach deren Dreikönigstreffen wurden Mitarbeiter des SPD-Vorstandes beauftragt, »regelmäßig Berichte über die Entwicklung des liberalen Koalitionspartners auszuarbeiten. Derlei Papiere wurden in der SPD-Zentrale bislang nur über die christdemokratische Opposition verfertigt«, staunte der »Spiegel«. [...]

Tom Strohschneider lebt im Oderbruch.

[1] Claus Preller (1974): Ist die FDP zu selbstbewusst?, in: SPD-Pressedienst vom 7.1.1974.
[2] Eduard Neumaier: Prall in weichen Daunen, in: Die Zeit, Nr. 2.

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